Untreue schlägt den eigenen Herrn

[114] Als in dem Krieg zwischen Frankreich und Preußen ein Teil der französischen Armee nach Schlesien einrückte, waren auch Truppen vom rheinischen Bundesheer dabei, und ein bayerischer oder württembergischer Offizier wurde zu einem Edelmann einquartiert, und bekam eine Stube zur Wohnung, wo viele sehr schöne und kostbare Gemälde hingen. Der Offizier schien recht große Freude daran zu haben, und als er etliche Tage bei diesem Mann gewesen und freundlich behandelt worden war, verlangte er einmal von seinem Hauswirt, daß er ihm eins von diesen Gemälden zum Andenken schenken möchte. Der Hauswirt sagte, daß er das mit Vergnügen tun wollte, und stellte seinem Gaste frei, dasjenige selber zu wählen, welches ihm die größte Freude machen könnte.

Nun, wenn man die Wahl hat, sich selber ein Geschenk von jemand auszusuchen, so erfordern Verstand und Artigkeit, daß man nicht gerade das Vornehmste und Kostbarste wegnehme, und so ist es auch nicht gemeint. Daran schien dieser Mann auch zu denken, denn er wählte unter allen Gemälden fast das schlechteste. Aber das war unserm schlesischen Edelmann nichts desto lieber, und er hätte ihm gern das kostbarste dafür gelassen. »Mein Herr Obrist«, so sprach er mit sichtbarer Unruhe, »warum wollen Sie gerade das geringste wählen, das mir noch dazu wegen einer andern Ursache wert ist? Nehmen Sie doch lieber dieses hier oder jenes dort.« Der Offizier gab aber darauf kein Gehör, schien auch nicht zu merken, daß sein Hauswirt immer mehr und mehr in Angst geriet, sondern nahm geradezu das gewählte Gemälde herunter. Jetzt erschien an der Mauer, wo dasselbe gewesen war, ein großer feuchter Fleck. »Was soll das sein?«[114] sprach der Offizier, wie erzürnt, zu seinem todblassen Wirt, tat einen Stoß, und auf einmal fielen ein paar frisch gemauerte und übertünchte Backsteine zusammen, hinter welchen alles Geld und Gold und Silber des Edelmanns eingemauert war. Der gute Mann hielt nun sein Eigentum für verloren, wenigstens erwartete er, daß der feindliche Kriegsmann eine namhafte Teilung ohne Inventarium und ohne Kommissarius vornehmen werde, ergab sich gedultig darein, und verlangte nur von ihm zu erfahren, woher er habe wissen können, daß hinter diesem Gemälde sein Geld in der Mauer verborgen war. Der Offizier erwiderte: »Ich werde den Entdecker sogleich holen lassen, dem ich ohnehin eine Belohnung schuldig bin«; und in kurzer Zeit brachte sein Bedienter – sollte man's glauben – den Maurermeister selber, den nämlichen, der die Vertiefung in der Mauer zugemauert und die Bezahlung dafür erhalten hatte.

Das ist nun einer von den größten Spitzbubenstreichen, die der Satan auf ein Sündenregister setzen kann. Denn ein Handwerksmann ist seinen Kunden die größte Treue, und in Geheimnissen, wenn es nichts Unrechtes ist, so viel Verschwiegenheit schuldig, als wenn er einen Eid darauf hätte.

Aber was tut man nicht um des Geldes willen! Oft gerade das nämliche, was man um der Schläge, oder um des Zuchthauses willen tut, oder für den Galgen, obgleich ein großer Unterschied dazwischen ist. So etwas erfuhr unser Meister Spitzbub. Denn der brave Offizier ließ ihn jetzt hinaus vor die Stube führen, und ihm von frischer Hand 100, sage hundert Prügel bar ausbezahlen, lauter gute Valuta, und war kein einziger falsch darunter. Dem Edelmann aber gab er unbetastet sein Eigentum zurück. – Das wollen wir beides gutheißen, und wünschen, daß jedem, der Einquartierung haben muß, ein so rechtschaffener Gast, und jedem Verräter eine solche Belohnung zuteil werden möge.

[1808][115]

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Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 114-116.
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