3. Zwei Brüder

[41] Oben auf der Bergesspitze

Liegt das Schloß in Nacht gehüllt,

Doch im Tale leuchten Blitze,

Helle Schwerter klirren wild.


Das sind Brüder, die dort fechten

Grimmen Zweikampf, wutentbrannt.

Sprich, warum die Brüder rechten

Mit dem Schwerte in der Hand?


Gräfin Lauras Augenfunken

Zündeten den Brüderstreit.

Beide glühen liebestrunken

Für die adlig holde Maid.


Welchem aber von den beiden

Wendet sich ihr Herze zu?

Kein Ergrübeln kann's entscheiden –

Schwert heraus, entscheide du!


Und sie fechten kühn verwegen,

Hieb' auf Hiebe niederkracht's.

Hütet euch, ihr wilden Degen,

Böses Blendwerk schleicht des Nachts.


Wehe! Wehe! blut'ge Brüder!

Wehe! Wehe! blut'ges Tal!

Beide Kämpfer stürzen nieder,

Einer in des andern Stahl. –


Viel Jahrhunderte verwehen,

Viel Geschlechter deckt das Grab;

Traurig von des Berges Höhen

Schaut das öde Schloß herab.
[41]

Aber nachts, im Talesgrunde,

Wandelt's heimlich, wunderbar;

Wenn da kommt die zwölfte Stunde,

Kämpfet dort das Brüderpaar.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 41-42.
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