1.

Ein Weib

[281] Sie hatten sich beide so herzlich lieb,

Spitzbübin war sie, er war ein Dieb.

Wenn er Schelmenstreiche machte,

Sie warf sich aufs Bette und lachte.


Der Tag verging in Freud und Lust,

Des Nachts lag sie an seiner Brust.

Als man ins Gefängnis ihn brachte,

Sie stand am Fenster und lachte.


Er ließ ihr sagen: »O komm zu mir,

Ich sehne mich so sehr nach dir,

Ich rufe nach dir, ich schmachte« –

Sie schüttelt' das Haupt und lachte.


Um sechse des Morgens ward er gehenkt,

Um sieben ward er ins Grab gesenkt;

Sie aber schon um achte

Trank roten Wein und lachte.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 281.
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