4.

Die Beschwörung

[283] Der junge Franziskaner sitzt

Einsam in der Klosterzelle,

Er liest im alten Zauberbuch,

Genannt der Zwang der Hölle.


Und als die Mitternachtstunde schlug,

Da konnt er nicht länger sich halten,

Mit bleichen Lippen ruft er an

Die Unterweltsgewalten.


»Ihr Geister! holt mir aus dem Grab

Die Leiche der schönsten Frauen,

Belebt sie mir für diese Nacht,

Ich will mich dran erbauen.«


Er spricht das grause Beschwörungswort,

Da wird sein Wunsch erfüllet,

Die arme verstorbene Schönheit kommt,

In weißen Laken gehüllet.


Ihr Blick ist traurig. Aus kalter Brust

Die schmerzlichen Seufzer steigen.

Die Tote setzt sich zu dem Mönch,

Sie schauen sich an und schweigen.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 283.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Neue Gedichte
Neue Gedichte
Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Düsseldorfer Ausgabe / Neue Gedichte
Neue Melodien spiel ich: Gedichte (Insel Bücherei)
Neue Gedichte: Deutschland. Ein Wintermärchen. Atta Troll (insel taschenbuch)
Neue Gedichte