17.

Der Kaiser von China

[333] Mein Vater war ein trockner Taps,

Ein nüchterner Duckmäuser,

Ich aber trinke meinen Schnaps

Und bin ein großer Kaiser.


Das ist ein Zaubertrank! Ich hab's

Entdeckt in meinem Gemüte:

Sobald ich getrunken meinen Schnaps,

Steht China ganz in Blüte.


Das Reich der Mitte verwandelt sich dann

In einen Blumenanger,

Ich selber werde fast ein Mann,

Und meine Frau wird schwanger.


Allüberall ist Überfluß,

Und es gesunden die Kranken;

Mein Hofweltweiser Confusius

Bekömmt die klarsten Gedanken.


Der Pumpernickel des Soldats

Wird Mandelkuchen – O Freude!

Und alle Lumpen meines Staats

Spazieren in Samt und Seide.


Die Mandarinenritterschaft,

Die invaliden Köpfe,

Gewinnen wieder Jugendkraft

Und schütteln ihre Zöpfe.


Die große Pagode, Symbol und Hort

Des Glaubens, ist fertig geworden;

Die letzten Juden taufen sich dort

Und kriegen den Drachenorden.
[333]

Es schwindet der Geist der Revolution,

Und es rufen die edelsten Mandschu:

»Wir wollen keine Konstitution,

Wir wollen den Stock, den Kantschu!«


Wohl haben die Schüler Äskulaps

Das Trinken mir widerraten,

Ich aber trinke meinen Schnaps

Zum Besten meiner Staaten.


Und noch einen Schnaps, und noch einen Schnaps!

Das schmeckt wie lauter Manna!

Mein Volk ist glücklich, hat's auch den Raps,

Und jubelt: »Hosianna!«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 333-334.
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