19.

An den Nachtwächter

[335] Bei späterer Gelegenheit


Verschlechtert sich nicht dein Herz und dein Stil,

So magst du treiben jedwedes Spiel;

Mein Freund, ich werde dich nie verkennen,

Und sollt ich dich auch Herr Hofrat nennen.


Sie machen jetzt ein großes Geschrei,

Von wegen deiner Verhofräterei,

Vom Seinestrand bis an der Elbe

Hört ich seit Monden immer dasselbe:


Die Fortschrittsbeine hätten sich

In Rückschrittsbeine verwandelt – Oh, sprich,

Reitest du wirklich auf schwäbischen Krebsen?

Äugelst du wirklich mit fürstlichen Kebsen?


Vielleicht bist du müde und sehnst dich nach Schlaf.

Du hast die Nacht hindurch so brav

Geblasen, jetzt hängst du das Horn an den Nagel,

Mag tuten, wer will, für den deutschen Janhagel!


Du legst dich zu Bette und schließest zu

Die Augen, doch läßt man dich nicht in Ruh'.

Vor deinem Fenster spotten die Schreier:

»Brutus, du schläfst? Wach auf, Befreier!«


Ach! so ein Schreier weiß nicht, warum

Der beste Nachtwächter wird endlich stumm,

Es ahndet nicht so ein junger Maulheld,

Warum der Mensch am End' das Maul hält.


Du fragst mich, wie es uns hier ergeht?

Hier ist es still, kein Windchen weht,

Die Wetterfahnen sind sehr verlegen,

Sie wissen nicht, wohin sich bewegen...
[335]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 335-336.
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