3.

[73] Blasser schimmern schon die Sterne,

Und die Morgennebel steigen

Aus der Seeflut, wie Gespenster,

Mit hinschleppend weißen Laken.


Fest und Lichter sind erloschen

Auf dem Dach des Götzentempels,

Wo am blutgetränkten Estrich

Schnarchend liegen Pfaff' und Laie.


Nur die rote Jacke wacht.

Bei dem Schein der letzten Lampe,

Süßlich grinsend, grimmig schäkernd,

Spricht der Priester zu dem Gotte:


»Vitzliputzli, Putzlivitzli,

Liebstes Göttchen Vitzliputzli!

Hast dich heute amüsieret,

Hast gerochen Wohlgerüche!


Heute gab es Spanierblut –

Oh, das dampfte so app'titlich,

Und dein feines Leckernäschen

Sog den Duft ein, wollustglänzend.


Morgen opfern wir die Pferde,

Wiehernd edle Ungetüme,

Die des Windes Geister zeugten,

Buhlschaft treibend mit der Seekuh.


Willst du artig sein, so schlacht ich

Dir auch meine beiden Enkel,

Hübsche Bübchen, süßes Blut,

Meines Alters einz'ge Freude.
[73]

Aber artig mußt du sein,

Mußt uns neue Siege schenken –

Laß uns siegen, liebes Göttchen,

Putzlivitzli, Vitzliputzli!


O verderbe unsre Feinde,

Diese Fremden, die aus fernen

Und noch unentdeckten Ländern

Zu uns kamen übers Weltmeer –


Warum ließen sie die Heimat?

Trieb sie Hunger oder Blutschuld?

Bleib im Land und nähr dich redlich,

Ist ein sinnig altes Sprüchwort.


Was ist ihr Begehr? Sie stecken

Unser Gold in ihre Taschen,

Und sie wollen, daß wir droben

Einst im Himmel glücklich werden!


Anfangs glaubten wir, sie wären

Wesen von der höchsten Gattung,

Sonnensöhne, die unsterblich

Und bewehrt mit Blitz und Donner.


Aber Menschen sind sie, tötbar

Wie wir andre, und mein Messer

Hat erprobet heute nacht

Ihre Menschensterblichkeit.


Menschen sind sie und nicht schöner

Als wir andre, manche drunter

Sind so häßlich wie die Affen;

Wie bei diesen sind behaart
[74]

Die Gesichter, und es heißt,

Manche trügen in den Hosen

Auch verborgne Affenschwänze –

Wer kein Aff', braucht keine Hosen.


Auch moralisch häßlich sind sie,

Wissen nichts von Pietät,

Und es heißt, daß sie sogar

Ihre eignen Götter fräßen!


O vertilge diese ruchlos

Böse Brut, die Götterfresser –

Vitzliputzli, Putzlivitzli,

Laß uns siegen, Vitzliputzli!« –


Also sprach zum Gott der Priester,

Und des Gottes Antwort tönt

Seufzend, röchelnd, wie der Nachtwind,

Welcher koset mit dem Seeschilf:


»Rotjack', Rotjack', blut'ger Schlächter,

Hast geschlachtet viele Tausend,

Bohre jetzt das Opfermesser

In den eignen alten Leib.


Aus dem aufgeschlitzten Leib

Schlüpft alsdann hervor die Seele;

Über Kiesel, über Wurzel

Trippelt sie zum Laubfroschteiche.


Dorten hocket meine Muhme

Rattenkön'gin – sie wird sagen:

›Guten Morgen, nackte Seele,

Wie ergeht es meinem Neffen?
[75]

Vitzliputzelt er vergnügt

In dem honigsüßen Goldlicht?

Wedelt ihm das Glück die Fliegen

Und die Sorgen von der Stirne?


Oder kratzt ihn Katzlagara,

Die verhaßte Unheilsgöttin

Mit den schwarzen Eisenpfoten,

Die in Otterngift getränket?‹


Nackte Seele, gib zur Antwort:

›Vitzliputzli läßt dich grüßen,

Und er wünscht dir Pestilenz

In den Bauch, Vermaledeite!


Denn du rietest ihm zum Kriege,

Und dein Rat, es war ein Abgrund –

In Erfüllung geht die böse,

Uralt böse Prophezeiung.


Von des Reiches Untergang

Durch die furchtbar bärt'gen Männer,

Die auf hölzernem Gevögel

Hergeflogen aus dem Osten.


Auch ein altes Sprüchwort gibt es:

Weiberwille, Gotteswille –

Doppelt ist der Gotteswille,

Wenn das Weib die Muttergottes.


Diese ist es, die mir zürnet,

Sie, die stolze Himmelsfürstin,

Eine Jungfrau sonder Makel,

Zauberkundig, wundertätig.
[76]

Sie beschützt das Spaniervolk,

Und wir müssen untergehen,

Ich, der ärmste aller Götter,

Und mein armes Mexiko.‹


Nach vollbrachtem Auftrag, Rotjack',

Krieche deine nackte Seele

In ein Sandloch – Schlafe wohl!

Daß du nicht mein Unglück schauest!


Dieser Tempel stürzt zusammen,

Und ich selber, ich versinke

In dem Qualm – nur Rauch und Trümmer –

Keiner wird mich wiedersehen.


Doch ich sterbe nicht; wir Götter

Werden alt wie Papageien,

Und wir mausern nur und wechseln

Auch wie diese das Gefieder.


Nach der Heimat meiner Feinde,

Die Europa ist geheißen,

Will ich flüchten, dort beginn ich

Eine neue Karriere.


Ich verteufle mich, der Gott

Wird jetzund ein Gottseibeiuns;

Als der Feinde böser Feind,

Kann ich dorten wirken, schaffen.


Quälen will ich dort die Feinde,

Mit Phantomen sie erschrecken –

Vorgeschmack der Hölle, Schwefel

Sollen sie beständig riechen.
[77]

Ihre Weisen, ihre Narren

Will ich ködern und verlocken;

Ihre Tugend will ich kitzeln,

Bis sie lacht wie ein Metze.


Ja, ein Teufel will ich werden,

Und als Kameraden grüß ich

Satanas und Belial,

Astaroth und Beelzebub.


Dich zumal begrüß ich, Lilis,

Sündenmutter, glatte Schlange!

Lehr mich deine Grausamkeiten

Und die schöne Kunst der Lüge!


Mein geliebtes Mexiko,

Nimmermehr kann ich es retten,

Aber rächen will ich furchtbar

Mein geliebtes Mexiko.«
[78]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 73-79.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Romanzero
Romanzero
Romanzero
Romanzero (Dodo Press)
Romanzero
Romanzero

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der Vorzugsschüler / Der Herr Hofrat. Zwei Erzählungen

Der Vorzugsschüler / Der Herr Hofrat. Zwei Erzählungen

Zwei späte Novellen der Autorin, die feststellte: »Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde: alle dummen Männer.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon