16.

Im Oktober 1849

[119] Gelegt hat sich der starke Wind,

Und wieder stille wird's daheime;

Germania, das große Kind,

Erfreut sich wieder seiner Weihnachtsbäume.


Wir treiben jetzt Familienglück –

Was höher lockt, das ist vom Übel –

Die Friedensschwalbe kehrt zurück,

Die einst genistet in des Hauses Giebel.
[119]

Gemütlich ruhen Wald und Fluß,

Von sanftem Mondlicht übergossen;

Nur manchmal knallt's – Ist das ein Schuß? –

Es ist vielleicht ein Freund, den man erschossen.


Vielleicht mit Waffen in der Hand

Hat man den Tollkopf angetroffen

(Nicht jeder hat soviel Verstand

Wie Flaccus, der so kühn davongeloffen).


Es knallt. Es ist ein Fest vielleicht,

Ein Feuerwerk zur Goethefeier! –

Die Sontag, die dem Grab entsteigt,

Begrüßt Raketenlärm – die alte Leier.


Auch Liszt taucht wieder auf, der Franz,

Er lebt, er liegt nicht blutgerötet

Auf einem Schlachtfeld Ungarlands;

Kein Russe noch Kroat' hat ihn getötet.


Es fiel der Freiheit letzte Schanz',

Und Ungarn blutet sich zu Tode –

Doch unversehrt blieb Ritter Franz,

Sein Säbel auch – er liegt in der Kommode.


Er lebt, der Franz, und wird als Greis

Vom Ungarkriege Wunderdinge

Erzählen in der Enkel Kreis –

»So lag ich und so führt ich meine Klinge!«


Wenn ich den Namen Ungarn hör,

Wird mir das deutsche Wams zu enge,

Es braust darunter wie ein Meer,

Mir ist, als grüßten mich Trompetenklänge!


Es klirrt mir wieder im Gemüt

Die Heldensage, längst verklungen,[120]

Das eisern wilde Kämpenlied –

Das Lied vom Untergang der Nibelungen.


Es ist dasselbe Heldenlos,

Es sind dieselben alten Mären,

Die Namen sind verändert bloß,

Doch sind's dieselben »Helden lobebären«.


Es ist dasselbe Schicksal auch –

Wie stolz und frei die Fahnen fliegen,

Es muß der Held, nach altem Brauch,

Den tierisch rohen Mächten unterliegen.


Und diesmal hat der Ochse gar

Mit Bären einen Bund geschlossen –

Du fällst; doch tröste dich, Magyar,

Wir andre haben schlimmre Schmach genossen.


Anständ'ge Bestien sind es doch,

Die ganz honett dich überwunden;

Doch wir geraten in das Joch

Von Wölfen, Schweinen und gemeinen Hunden.


Das heult und bellt und grunzt – ich kann

Ertragen kaum den Duft der Sieger.

Doch still, Poet, das greift dich an –

Du bist so krank, und schweigen wäre klüger.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 119-121.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Romanzero
Romanzero
Romanzero
Romanzero (Dodo Press)
Romanzero
Romanzero

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon