Caput I

[348] Rings umragt von dunklen Bergen,

Die sich trotzig übergipfeln,

Und von wilden Wasserstürzen

Eingelullet, wie ein Traumbild,


Liegt im Tal das elegante

Cauterets. Die weißen Häuschen

Mit Balkonen; schöne Damen

Stehn darauf und lachen herzlich.


Herzlich lachend schaun sie nieder

Auf den wimmelnd bunten Marktplatz,

Wo da tanzen Bär und Bärin

Bei des Dudelsackes Klängen.


Atta Troll und seine Gattin,

Die geheißen schwarze Mumma,

Sind die Tänzer, und es jubeln

Vor Bewundrung die Baskesen.


Steif und ernsthaft, mit Grandezza,

Tanzt der edle Atta Troll,

Doch der zott'gen Ehehälfte

Fehlt die Würde, fehlt der Anstand.


Ja, es will mich schier bedünken,

Daß sie manchmal cancaniere,

Und gemütlos frechen Steißwurfs

An die Grand'-Chaumière erinnre.
[349]

Auch der wackre Bärenführer,

Der sie an der Kette leitet,

Scheint die Immoralität

Ihres Tanzes zu bemerken.


Und er langt ihr manchmal über

Ein'ge Hiebe mit der Peitsche,

Und die schwarze Mumma heult dann,

Daß die Berge widerhallen.


Dieser Bärenführer trägt

Sechs Madonnen auf dem Spitzhut,

Die sein Haupt vor Feindeskugeln

Oder Läusen schützen sollen.


Über seine Schulter hängt

Eine bunte Altardecke,

Die als Mantel sich gebärdet;

Drunter lauscht Pistol und Messer.


War ein Mönch in seiner Jugend,

Später ward er Räuberhauptmann;

Beides zu verein'gen, nahm er

Endlich Dienste bei Don Carlos.


Als Don Carlos fliehen mußte

Mit der ganzen Tafelrunde,

Und die meisten Paladine

Nach honettem Handwerk griffen –


(Herr Schnapphahnski wurde Autor) –,

Da ward unser Glaubensritter

Bärenführer, zog durchs Land

Mit dem Atta Troll und Mumma.


Und er läßt die beiden tanzen

Vor dem Volke, auf den Märkten; –[350]

Auf dem Markt von Cauterets

Tanzt gefesselt Atta Troll!


Atta Troll, der einst gehauset,

Wie ein stolzer Fürst der Wildnis,

Auf den freien Bergeshöhen,

Tanzt im Tal vor Menschenpöbel!


Und sogar für schnödes Geld

Muß er tanzen, er, der weiland,

In des Schreckens Majestät,

Sich so welterhaben fühlte!


Denkt er seiner Jugendtage,

Der verlornen Waldesherrschaft,

Dann erbrummen dunkle Laute

Aus der Seele Atta Trolls;


Finster schaut er wie ein schwarzer

Freiligräthscher Mohrenfürst,

Und wie dieser schlecht getrommelt,

Also tanzt er schlecht vor Ingrimm.


Doch statt Mitgefühl erregt er

Nur Gelächter. Selbst Juliette

Lacht herunter vom Balkone

Ob den Sprüngen der Verzweiflung. – –


Juliette hat im Busen

Kein Gemüt, sie ist Französin,

Lebt nach außen; doch ihr Äußres

Ist entzückend, ist bezaubernd.


Ihre Blicke sind ein süßes

Strahlennetz, in dessen Maschen

Unser Herz, gleich einem Fischlein,

Sich verfängt und zärtlich zappelt.
[351]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 348-352.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Atta Troll
Gedichte Von Heinrich Heine, Vierter Band. Deutschland. Atta Troll
Atta Troll. Ein Sommernachtstraum
Atta Troll - Ein Sommernachtstraum Deutschland - Ein Wintermärchen
Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Düsseldorfer Ausgabe / Atta Troll Ein Sommernachtstraum. Deutschland Ein Wintermärchen
Neue Gedichte: Deutschland. Ein Wintermärchen. Atta Troll (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon