Caput XXVII

[504] Was sich in jener Wundernacht

Des weitern zugetragen,

Erzähl ich euch ein andermal,

In warmen Sommertagen.


Das alte Geschlecht der Heuchelei

Verschwindet, Gott sei Dank, heut,

Es sinkt allmählich ins Grab, es stirbt

An seiner Lügenkrankheit.


Es wächst heran ein neues Geschlecht,

Ganz ohne Schminke und Sünden,

Mit freien Gedanken, mit freier Lust –

Dem werde ich alles verkünden.
[504]

Schon knospet die Jugend, welche versteht

Des Dichters Stolz und Güte,

Und sich an seinem Herzen wärmt,

An seinem Sonnengemüte.


Mein Herz ist liebend wie das Licht,

Und rein und keusch wie das Feuer;

Die edelsten Grazien haben gestimmt

Die Saiten meiner Leier.


Es ist dieselbe Leier, die einst

Mein Vater ließ ertönen,

Der selige Herr Aristophanes,

Der Liebling der Kamönen.


Es ist die Leier, worauf er einst

Den Paisteteros besungen,

Der um die Basileia gefreit,

Mit ihr sich emporgeschwungen.


Im letzten Kapitel hab ich versucht,

Ein bißchen nachzuahmen

Den Schluß der »Vögel«, die sind gewiß

Das beste von Vaters Dramen.


Die »Frösche« sind auch vortrefflich. Man gibt

In deutscher Übersetzung

Sie jetzt auf der Bühne von Berlin,

Zu königlicher Ergetzung.


Der König liebt das Stück. Das zeugt

Von gutem antiken Geschmacke;

Den Alten amüsierte weit mehr

Modernes Froschgequacke.
[505]

Der König liebt das Stück. Jedoch

Wär noch der Autor am Leben,

Ich riete ihm nicht, sich in Person

Nach Preußen zu begeben.


Dem wirklichen Aristophanes,

Dem ginge es schlecht, dem Armen;

Wir würden ihn bald begleitet sehn

Mit Chören von Gendarmen.


Der Pöbel bekäm die Erlaubnis bald,

Zu schimpfen statt zu wedeln;

Die Polizei erhielte Befehl,

Zu fahnden auf den Edeln.


O König! Ich meine es gut mit dir,

Und will einen Rat dir geben:

Die toten Dichter, verehre sie nur,

Doch schone, die da leben.


Beleid'ge lebendige Dichter nicht,

Sie haben Flammen und Waffen,

Die furchtbarer sind als Jovis Blitz,

Den ja der Poet erschaffen.


Beleid'ge die Götter, die alten und neu'n,

Des ganzen Olymps Gelichter,

Und den höchsten Jehova obendrein –

Beleid'ge nur nicht den Dichter!


Die Götter bestrafen freilich sehr hart

Des Menschen Missetaten,

Das Höllenfeuer ist ziemlich heiß,

Dort muß man schmoren und braten –
[506]

Doch Heilige gibt es, die aus der Glut

Losbeten den Sünder; durch Spenden

An Kirchen und Seelenmessen wird

Erworben ein hohes Verwenden.


Und am Ende der Tage kommt Christus herab

Und bricht die Pforten der Hölle;

Und hält er auch ein strenges Gericht,

Entschlüpfen wird mancher Geselle.


Doch gibt es Höllen, aus deren Haft

Unmöglich jede Befreiung;

Hier hilft kein Beten, ohnmächtig ist hier

Des Welterlösers Verzeihung.


Kennst du die Hölle des Dante nicht,

Die schrecklichen Terzetten?

Wen da der Dichter hineingesperrt,

Den kann kein Gott mehr retten –


Kein Gott, kein Heiland erlöst ihn je

Aus diesen singenden Flammen!

Nimm dich in acht, daß wir dich nicht

Zu solcher Hölle verdammen.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 504-507.
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