Caput VI

[449] Den Paganini begleitete stets

Ein Spiritus familiaris,

Manchmal als Hund, manchmal in Gestalt

Des seligen Georg Harrys.


Napoleon sah einen roten Mann

Vor jedem wicht'gen Ereignis.

Sokrates hatte seinen Dämon,

Das war kein Hirnerzeugnis.


Ich selbst, wenn ich am Schreibtisch saß

Des Nachts, hab ich gesehen

Zuweilen einen vermummten Gast

Unheimlich hinter mir stehen.


Unter dem Mantel hielt er etwas

Verborgen, das seltsam blinkte,

Wenn es zum Vorschein kam, und ein Beil,

Ein Richtbeil, zu sein mir dünkte.


Er schien von untersetzter Statur,

Die Augen wie zwei Sterne;

Er störte mich im Schreiben nie,

Blieb ruhig stehn in der Ferne.


Seit Jahren hatte ich nicht gesehn

Den sonderbaren Gesellen,

Da fand ich ihn plötzlich wieder hier

In der stillen Mondnacht zu Köllen.


Ich schlenderte sinnend die Straßen entlang,

Da sah ich ihn hinter mir gehen,

Als ob er mein Schatten wäre, und stand

Ich still, so blieb er stehen.
[449]

Blieb stehen, als wartete er auf was,

Und förderte ich die Schritte,

Dann folgte er wieder. So kamen wir

Bis auf des Domplatz' Mitte.


Es ward mir unleidlich, ich drehte mich um

Und sprach: »Jetzt steh mir Rede,

Was folgst du mir auf Weg und Steg

Hier in der nächtlichen Öde?


Ich treffe dich immer in der Stund',

Wo Weltgefühle sprießen

In meiner Brust und durch das Hirn

Die Geistesblitze schießen.


Du siehst mich an so stier und fest –

Steh Rede: Was verhüllst du

Hier unter dem Mantel, das heimlich blinkt?

Wer bist du und was willst du?«


Doch jener erwiderte trockenen Tons,

Sogar ein bißchen phlegmatisch:

»Ich bitte dich, exorziere mich nicht,

Und werde nur nicht emphatisch!


Ich bin kein Gespenst der Vergangenheit,

Kein grabentstiegener Strohwisch,

Und von Rhetorik bin ich kein Freund,

Bin auch nicht sehr philosophisch.


Ich bin von praktischer Natur,

Und immer schweigsam und ruhig.

Doch wisse: was du ersonnen im Geist,

Das führ ich aus, das tu ich.
[450]

Und gehn auch Jahre drüber hin,

Ich raste nicht, bis ich verwandle

In Wirklichkeit, was du gedacht;

Du denkst, und ich, ich handle.


Du bist der Richter, der Büttel bin ich,

Und mit dem Gehorsam des Knechtes

Vollstreck ich das Urteil, das du gefällt,

Und sei es ein ungerechtes.


Dem Konsul trug man ein Beil voran

Zu Rom, in alten Tagen.

Auch du hast deinen Liktor, doch wird

Das Beil dir nachgetragen.


Ich bin dein Liktor, und ich geh

Beständig mit dem blanken

Richtbeile hinter dir – ich bin

Die Tat von deinem Gedanken.«

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 449-451.
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