[337] Ein Saal im Kreml. Die Tapeten einfarbig dunkel. Von den Lampen und Kerzen, die hinter großen grünen Schirmen brennen, kommt ein mattes Licht. Die Fenster sind verhängt. Im Vordergrund in einem Sessel Awdótja, eine schöne ältere Frau in Trauerkleidung. Neben ihr, den Arm auf die Lehne des Sessels gestützt, steht Alexéj. Sie hat sich zurückgelehnt und sieht zu ihm empor, er, leicht gebückt, spricht auf sie ein. Hinten flüsternde Gruppen von Bojaren, teils in Uniform, teils in französischer Hoftracht, darunter Glébof, Kíkin und Dolgorúki.
ALEXÉJ.
Nein, Mutter, nein. Ich bin das Kind nicht mehr,
Du nicht die Frau, die ich gekannt. Ich bitte
Bedenke, Mutter, daß dein Kloster mir
Nicht mehr ist als ein Wort. Es gibt noch eins
Was ich nie nennen möchte ... nichts davon,
Wenn es auch immer, mächtig aufgerichtet,
Dasteht, wo wir uns treffen – sage nicht
Daß dies dich kränkt! ich sehe doch, zu wem
Dein Blick hinüberläuft und daß aus dir
Das Wort nicht kommen wird, das ich vorher
Erwartete – und Jetzt nicht mehr. Es ist
Viel besser so, daß du erfährst, wieweit
Ihr auf mich rechnen könnt in euren Plänen.
AWDÓTJA.
Ich sah noch nichts von einem Plan. Und – rechnen?
Mein Kind, mir scheint, hier bist du eine Zahl
Die fortzustreichen ist, damit kein Fehler
In unsre Rechnung komme.
ALEXÉJ.
Nimm es so
Und laß mich gehn.
AWDÓTJA.
Wohin? doch nicht –
ALEXÉJ.
Du denkst,
Zu meinem Vater? denkst du's?
Awdótja schweigt verwirrt.
Mutter, sieh,
Was hast du doch gesagt? den Sohn verstehe
Die Mutter, wenn er schweigt und – war's nicht so? –
Auch wenn er lügt und stiehlt. Nun hab ich kaum
Ein Wort gesagt, springt schon der Zweifel auf –
Nur einen Schritt zur Seite, wäre schon
Aus dir der Schrei gekommen: haltet ihn![338]
Und sagte ich von eurem Bund mich los
So wärst du rasch bereit, mir mit Gericht
Und Blutgerüst zu drohen so wie – Er –
Plötzlich heftig.
Ich bitte, Mutter, sende nicht den Blick
Zu dem da drüben, der dir Zeichen macht,
Was soll er zwischen uns? hat er das Recht
Dir zu befehlen: dieses ist zu tun
Und das zu lassen? – muß ich den dort fragen:
Was habt Ihr meiner Mutter, Herr, erlaubt
Und was verboten?
AWDÓTJA.
Sprich nicht so.
ALEXÉJ.
Ich wäre
Viel lieber stumm – du zwingst mich –
Mutter, nein,
Dazu nicht kamen wir –
Hinüberrufend.
ist denn der Kreis,
Der ganze, nicht beisammen?
GLÉBOF.
Dossiféj
Wird noch erwartet – und der Zarin Bruder –
Laßt sehn, wer noch?
KÍKIN.
Der Erzbischof kommt nicht.
Ein Bote war bei mir.
1. BOJAR.
Was, Dossiféj?
Kommt nicht?
Abrám, Awdótjas Bruder, tritt ein mit mehreren Bojaren, berauscht und lärmend.
ABRÁM.
Wer ist es der nicht kommt?
GLÉBOF.
Abrám,
Nun endlich!
ABRÁM.
Einer fehlt, wer ist's? ihr spracht
Von einem, der nicht kommt –
KÍKIN.
Der Erzbischof –
ABRÁM.
Der Fuchs! er rettet sich!
3. BOJAR ängstlich.
So ist Gefahr,
Meint ihr, wenn Dossiféj der Kluge –?
ABRÁM.
Was
Gefahr! was da Gefahr! wenn Peter kommt –
Das mag ja sein – so haben wir –
GLÉBOF.
Sei still,[339]
Was redest du!
ABRÁM lauter.
So haben wir Pistolen
Und Degen und –
GLÉBOF.
Abrám, du schweigst!
ABRÁM.
Ich nicht –
GLÉBOF.
Der Sohn ist hier, so schweig!
ALEXÉJ ungeduldig.
Ihr Herrn, zur Sache.
GLÉBOF.
Zur Sache denn! ihr Herrn, ich bitte um Gehör.
ALEXÉJ.
Der Generalmajor Glébof hat das Wort.
2. BOJAR.
Still jetzt. Hört den Generalmajor.
GLÉBOF. Es sind hier Stimmen laut geworden, die uns die Nachricht brachten, Zar Peter sei in der Stadt und wisse um unseren Rat. Ich will diese Stimmen nicht widerlegen –
3. BOJAR. Seht ihr's!
MEHRERE. Zar Peter in der Stadt! Ihr glaubt daran, Glébof?
GLÉBOF. Steht uns das Wort »Verschwörer« auf der Stirn geschrieben? das einzige, was uns verraten könnte, ist die Anwesenheit unserer edlen Herrin, der Zarin Awdótja, in diesem gesellig freundschaftlichen Kreis.
1. BOJAR. Sehr gut.
3. BOJAR. So müssen wir die Zarin bitten –
GLÉBOF. Dafür ist gesorgt. Beim ersten Alarmzeichen führt ein zuverlässiger Mann, den ich nebenan verborgen halte, die Zarin durch den geheimen Gang ins Freie, wo ein Viergespann mit Eskorte bereitsteht. Darum keine Sorge, Bojaren.
ALEXÉJ.
Seht mich erstaunt, ihr Herrn. Ich höre viel
Von Schutz und Deckung reden, warum nichts
Von Tat und Mut – und war es Übermut?
Ich kam nicht her, um mich vor meinem Vater
Ins Dunkel zu verkriechen, noch vor ihm
Den Freund zu spielen, der mit Freunden tafelt.
Hier wird geheuchelt nicht und nicht verschwiegen,
Wir kämpfen heut. Er gebe mir, was mein,
Und wenn das Wort nicht hilft, dann spricht der Zwang
Und hilft Gewalt. Wer sich verbergen will,
Der gehe gleich, bald mag die Zeit ihm fehlen.
1. BOJAR. Er hat recht. Verdammt und verloren ist, wer sich im Kampf umsieht nach Hintertüren.
3. BOJAR. Wie denkt Ihr darüber, Zaréwitsch? Eure Mutter sollte bleiben?[340]
ALEXÉJ. Keine Änderungen in letzter Stunde! sie geht, da; ist beschlossen. Jetzt aber handelt es sich um uns –
3. BOJAR. Warum nur ward es beschlossen? uns wird etwas verheimlicht.
KÍKIN. Was wäre zu verheimlichen? wenn unser Freund Glébof der hohen Frau die Aufregung ersparen wollte –
2. BOJAR. So ist das begreiflich –
MEHRERE. Ja, ja.
Lachen im Hintergrund.
ALEXÉJ dankelrot vor Zorn.
Schweigt, schweigt, bei eurem Leben! wollt ihr mich
Als euren Führer sehn – hier bin ich. Eins
Doch müßt ihr wissen: wer sich wider mich
Und meinen Willen setzt, wer mir von Flucht
Zu reden wagt, wer mir in Rat und Kampf
Den Mißklang seiner Narrheit bringt, ein Lachen
Das mir zuwider ist, ein freches Wort
Das nach der Pfütze stinkt, empfängt den Stempel
Der ihm gebührt: ich stoße ihn hinaus
Und jag ihn mit der Peitsche zu den Hunden!
Ich mustre meine Schar und mustre so
Wie ich's von einem lernte, der die Kunst
Zuerst bei uns erfand und Meister ist.
ABRÁM.
Gut spricht mein Neffe –
1. BOJAR.
Gut? das wäre gut?
Man spricht zu Knechten also –
GLÉBOF.
Wartet noch
Und hört ihn an:
ALEXÉJ.
Nun zum Beschluß. Wir setzen
Ein Schriftstück auf, des Inhalts den ihr kennt:
Wir bitten –
ABRÁM.
Fordern!
ALEXÉJ.
Die verbrieften Rechte
Verlangen wir zurück für Adel, Volk
Und Kirche, Schutz dem alten Glauben, auch
Für jeden Untertan den ersten Anspruch
Auf alle Ämter vor den Fremden –
2. BOJAR.
Recht,
Den ersten Anspruch.
ALEXÉJ.
Des zum Zeichen werde
Die Krone mir verliehn nach seinem Tode
Und weigert er's –[341]
ABRÁM.
So recht, das fordern wir!
ALEXÉJ.
Und weigert er's, wird die Gefangenschaft
Ihn unsrem Willen beugen.
AWDÓTJA fährt auf und tritt dazwischen.
Bist du rasend?
Ihn denkst du so zu beugen?
ALEXÉJ.
Was? ihn nicht?
Gefangenschaft – was willst du sagen?
AWDÓTJA.
Ihn –
Wie sagst du? – beugen? – töten!
ABRÁM.
Schießen! stechen!
AWDÓTJA.
Hast du ihn ganz vergessen? kennst ihn nicht?
So denk dir doch, er wäre hier, vor uns,
In unsrer Mitte, nimm ihn dann gefangen –
Siehst du den Menschen nicht?
Alexéj nickt unwillkürlich.
du mußt ihn töten,
Wenn du ihn zwingen willst. Er hungert sich
Zu Tod im Kerker, er, und beugt sich nicht
Und sieht dich immer an mit dem verhaßten,
Zehnfach verhaßten Blick, den ich so kenne,
Der alle bösen Wünsche in der Brust
Aufstachelt wider ihn ... du zwingst ihn nicht,
Als durch den Tod –
ALEXÉJ.
Ihn töten –
ABRÁM.
Wenn er kommt,
Dann alle Degen hoch, gespannt die Hähne
Und alle Kugeln durch sein Herz, dazu
Ins Herz ihm alle Klingen –
ALEXÉJ.
Ich – ich will's nicht –
ABRÁM.
Du brauchst es nicht zu tun –
GLÉBOF.
Ich habe mir
Das Werk gespart – der erste will ich sein –
AWDÓTJA.
Du wirst der erste sein –
ALEXÉJ.
Nichts – nichts dergleichen –
Ich will's nicht – hört ihr? – will's nicht –
GLÉBOF wild.
Dann, Zaréwitsch,
Zum Richtbeil ohne uns, mit uns zur Krone!
Tumult.
ALEXÉJ seine Stimme überschlägt sich.
Den Tod auf deine Seele! Pest und Siechtum
In euer Blut! wie steigt sie um mich auf,[342]
Die nackte Scheußlichkeit! doch wird das Gift
Ihn nicht erreichen, den es fressen will,
Mein Wort darauf, es wird nicht! eher laß ich
Den Schurken Ménschikof mit seinen Hunden,
Den roten Knechten, los auf euch und mich
Und lieg an eurer Seite auf der Folter –
Und so wird das geschehn – und müßte ich's
Als letzten Wunsch erbitten vor dem Sterben!
GLÉBOF.
Den Kampf mit Euch zu kämpfen sind wir lachend
Bereit, Zaréwitsch, lachend! sagt uns denn
Zum letztenmal: wollt Ihr den Weg mit uns
Zu Ende gehn, bis zu dem Punkt wo blutig
Des Zaren Leiche liegt – und eine Krone –
ALEXÉJ.
Zu viel! zu viel! ich kenne meinen Weg.
GLÉBOF.
Dann lad ich Euch zum Kampf mit mir. Bojaren!
Bei eurem Leben! eh er euch verrät,
Nehmt ihn gefangen!
ALEXÉJ auf ihn zu.
Mich!
VIELE.
Zum Kerker! Glébof
Hat recht! Verrat! nehmt ihn gefangen!
GLÉBOF.
Auf ihn!
Die Menge dringt vor. Alexéj reißt dem ihm zunächst stehenden Bojaren den Degen von der Seite, zieht mit der Waffe einen blitzenden Kreis um sich und steht im nächsten Augenblick vor der Eingangstür.
ALEXÉJ.
Versucht es! Teufel!
Eine kurze Pause der Überraschung. Dann mitten in die Stille hinein drei – vier – fünf starke Schläge an die Tür.
COSTAS STIMME ängstlich.
Prinz – um Gottes willen –
Macht auf – macht auf –
ALEXÉJ.
Was ist – was ist mir ihr –
Mit ihr geschehn –
Er schließt auf. Costa tritt rasch ein.
COSTA atemlos.
Der Zar –
ALEXÉJ schreiend.
Was hat er ihr
Getan?
COSTA.
Ihr – nichts – der Zar ist hinter mir –
Er folgt mir auf dem Fuß –
ALLE.
Der Zar! der Zar!
GLÉBOF.
Awdótja, folge mir! den Prinzen laßt
Nicht fort, habt acht auf ihn!
Er führt Awdótja zu einer Seitentür links. Die Zarin geht ab.
[343]
COSTA.
Daß ich dem Zaren
Zuvorkam, glaubt mir, ist ein Wunder fast –
Der Schotte war bei ihm – sie standen plötzlich
In Eurem Zimmer, Prinz – er fragte dann
Nach Euch – und ging – vielleicht sieht er zuerst
Nach den Soldaten –
1. BOJAR.
Sprachen sie davon?
2. BOJAR.
Von uns? wie sah er aus?
KÍKIN.
Sprachst du mit ihm?
3. BOJAR.
Mein Gott, wir sind verloren!
COSTA.
Prinz Ihr dürft
Nicht bleiben – geht – ich bitte, geht – Afróssja
Hat mir gesagt und fest mir aufgetragen
Ihr solltet fliehen –
ALEXÉJ.
Sag, mein Vater kommt
Mit den Soldaten?
Costa nickt hastig.
dann ist alles gut,
Dann ist er sicher –
COSTA.
Liebster Prinz, das denkt Ihr,
Was sagt Ihr da!
ALEXÉJ laut zur Versammlung.
Seht, meine werten Freunde
Und Mörder, seht! da liegen wir im Netz
Und zappeln uns nicht los –
3. BOJAR.
Wir müssen fliehen,
Vielleicht gelingt es uns –
ALEXÉJ.
Ihr kennt ihn schlecht.
Wir sind umzingelt. Keine Maus kann durch
Denn lauter Katzen hat er aufgestellt
Rings um das ganze Haus –
Seine Erregung macht sich Luft in einem heftigen lautlosen Lachen.
COSTA.
Zaréwitsch, flieht!
Das ist nicht zu ertragen!
ALEXÉJ noch lachend.
Und es rückt
Heran – auf Katzenpfoten – lautlos näher –
Der Tod und seine Truppe – fühlt ihr's nicht? –
Ich fühl's – was wettet ihr! eh ich bis drei
Gezählt, kommt's über uns – es legt die Hand
Schon auf die Klinke – soll ich zählen – da –
[344] Die Tür geht auf, Zar Peter in einfacher Uniform ohne Mantel, und Gordon treten ein. Alle stehen unbeweglich.
PETER.
Gruß euch, ihr Herrn.
ALEXÉJ tödlich erschrocken, mit versagender Stimme.
Allein –
KÍKIN fragend.
Allein?
GLÉBOF wild triumphierend.
Allein!
PETER.
Seltsame Antwort!
GLÉBOF halblaut, rasch.
Nehmt den Prinzen fest,
Er darf nicht sprechen –
PETER.
Welch ein stolzer Kreis!
Die Edlen meines Landes, etliche
Verwandte wie mich dünkt ... kann sein, ich komme
Nicht sehr gelegen –
3. BOJAR.
O das ist nicht möglich!
Die Überraschung nur, das dürft Ihr glauben,
Die Freude, edler Herr –
PETER hochmütig über ihn weg.
Bemüht Euch nicht.
Gelegen oder nicht, ich bin der Zar
Und komme, wann ich will.
3. BOJAR.
Wer zweifelt auch –!
GLÉBOF murmelt.
Nur daß es hie und da gefährlich ist –
PETER.
Ihr wollt bemerken, Generalmajor –
Was war es? wollt Euch doch bemühen, Herr,
Die Stimme nur ein wenig zu erheben,
Ein wenig, oder ganz zu schweigen, Herr,
Wenn Euch zum Reden etwas fehlen sollte,
Wohlklang der Stimme – oder etwa Mut –
GLÉBOF schreit wie rasend.
Wollt ihr geschlachtet werden? seht ihr nicht
Auf seiner Stirne, was er euch bereitet?
Bei mir ist Rettung – und beim Degen – auf ihn!
PETER.
Zurück, zurück, ihr zaudertet zu lang –
Ich zeig euch meinen Schutz.
Er stößt die Tür auf, Soldaten drängen im Laufschritt in den Raum und besetzen alle Ausgänge.
Da seid ihr ja.
So recht, ihr kamt zur Stunde. Kennst du mich?
Du da, tritt her – weiß Gott, da lacht der Mensch
Und zeigt mir alle Zähne – ja, wir haben
Uns einen Dienst getan, du mir, ich dir,
Das war am Ufer, wo der Schwede ... siehst du[345]
Das weiß ich gut – jetzt geh nur zu mit Gott –
Wo ist der Ménschikof? Gordon, ich wette,
Der kommt zuletzt und – hab ich's nicht gesagt?
Da seh ich ihn. Doch hat er's gut gemacht
Und großes Lob verdient.
GORDON.
Die Pünktlichkeit
Ziert den Pastetenbäcker.
PETER.
Alter Schotte,
Pastete ist kein Makel, wenn sie schmeckt
Und gut gebacken ist.
Willkommen, Fürst,
Dir meinen Gruß, Tolstoí, ich bin mich euch
Zufrieden.
Die Verschworenen haben sich wortlos und ohne Widerstand entwaffnen lassen. Ménschikof und Tolstoí kommen durch die Mitte.
MÉNSCHIKOF.
Nun, wir haben uns bemüht.
Wenn du gestattest, Herr, wir wollen gleich
Zur Untersuchung schreiten?
PETER.
Geht voran,
Ich folge bald. Hier ist noch ein Geschäft –
Tolstoí, du nimmst den Vorsitz im Gericht.
An euer Amt!
Die Soldaten setzen sich mit den Gefangenen in Bewegung, der Saal leert sich langsam. Costa tritt zu Alexéj, der links im Vordergrund steht.
COSTA.
Wie nun, mein Prinz? wie nun?
Was wird mit Euch?
ALEXÉJ.
Du gehst zu ihr? nicht wahr?
Du mußt ihr sagen, daß ich ruhig bin
Und alles wäre gut.
COSTA.
Doch hat er Euch
Nicht einmal angesehn! er ist sehr zornig.
ALEXÉJ lächelt.
Das war ich auch. Dann aber kommt das andre.
Geh, grüße sie von mir.
COSTA sehr bedrückt.
Lebt wohl, mein Prinz.
Er geht ab, Peter hat mit Tolstoí, Ménschikof und Gordon gesprochen, jetzt verneigen sich die Drei und gehen. Alle außer Alexéj und Peter haben den Saal verlassen. Peter wirft einen langen Blick auf Alexéj, geht dann nach vorn rechts,[346] nimmt einen Lehnstuhl und setzt sich. Alexéj schlägt heimlich ein Kreuz.
PETER.
Tritt her zu mir.
Alexéj nähert sich ihm, bleibt stehen.
Du magst wohl müde sein,
Nimm einen Sessel, wenn du willst.
Alexéj wehrt ab mit einem Kopfschütteln.
Hast du
Mir nichts zu sagen?
ALEXÉJ.
Ich besinne mich
Und weiß nicht, was du willst. Ist dies Gespräch
Schon das Gericht? ist's ein Verhör? bist du
Als Vater hier? als Zar?
PETER.
Das eben muß
Sich zeigen. Laß die Unterscheidung.
ALEXÉJ.
Wer
Hat mich gelehrt zu unterscheiden? oft,
Wenn ich zum Gruß hervortrat aus der Front,
Hast du mich fortgewiesen, denn im Dienst,
So sagtest du, bist du mein General
Und nicht mein Vater. Und nach deinem Anzug
Befahlst du meinen Gruß: so warst du heute
Der Lotse Peter, morgen Admiral,
Doch immer schaute unter'm Lotsenhut
Der Zar hervor und ich verstand es nie,
Warum die wunderlichen Fetzen mir
Den Vater und den Zaren decken sollten.
PETER.
Zur Sache.
ALEXÉJ.
Was erwartest du? ich will
Dir sagen, was ich weiß. Ich habe heut
Mein Recht erkämpfen wollen und der Plan
Zerfiel von selbst, sie kamen her und brachten
Sinnlosen Streit, was weiß ich, und vor dir
Fiel hin und platzte wie ein wirrer Traum
Ein schlimmes Fratzenspiel.
PETER.
Und doch erzwingen,
Erzwingen wollen! Spiel? und doch Gefahr
Des Lebens, Zorn und Aufruhr und Beschimpfung
Der Majestät? wie knüpft sich das zusammen?
ALEXÉJ.
Ich weiß nicht. Ich – ich weiß nicht. Und es liegt
An dir, das Wort zu finden.
PETER.
Schweigen ist[347]
So leicht. Das meinst du doch?
Da Alexéj schweigt, fährt er fort.
es ist so leicht,
Sich in den dunklen Winkel einzunisten,
Wenn ein Gewitter kommt und stumm gefaßt
Den Blitzstrahl zu erwarten. Doch du wolltest
Um eine Krone kämpfen, um ein – Recht? so komm
Heraus und kämpfe.
Alexéj scheint mit Anstrengung nachzudenken.
Was nur brütest du?
Dein ganz unwürdiges Tun mir irgendwie
So hinzustellen, daß ich einen Schein
Von Tugend sähe, wo der nackte Frevel
Sich das Gesicht mit falscher Farbe schminkt?
ALEXÉJ.
Was sagst du?
PETER.
Laß das sein. Versuche nicht,
Mit List mir zu entkommen. Heute stehen
Wir da, wo nie zwei Menschen standen, wo
Kein Klugem hilft, wo sich die harte Rede
Nicht kneten läßt wie Wachs, bald so, bald so ...
Begreife das: heut steht dem bloßen Schwert
Das bloße Schwert entgegen: du und ich!
Empörer – Herrscher! Sohn und Vater! Feind
Und Feind! ein Leben und ein Leben!
ALEXÉJ.
Prüfen,
So scheint es, willst du mich. Du bist nicht offen.
Du möchtest mich versuchen. Denn du mußt
Ja wissen, was mich treibt, was dich und mich
Getrieben, seit ich denken kann, getrieben
Durch all die Jahre, durch die Schrecknisse
Der Tage von Neapel, durch die Zweifel,
Die Angst, die Fragen und so immer fort,
Bis in dies dunkle Zimmer, dich und mich,
Wo wir zusammentraten, um die lang
Gehäufte Qual, den Kampf, den Widerspruch
In einer großen Stunde zu entscheiden.
PETER.
Was träumst du da! Entscheidung liegt bei mir.
Du bist verklagt. Ich richte.
ALEXÉJ.
Wer verklagt mich?
Doch nur du selbst? und richten willst du selbst?
Wohl zeugen auch? es wird das alte Spiel
Von Zarenreif und Lotsenkappe wieder –[348]
Doch mag es sein! mir gilt der Weg gleichviel,
Wenn wir den Fleck nur finden auf der Erde,
Wo ich dich sehen kann und du mich siehst.
PETER.
So widerstehst du mir? du weichst mir aus,
Du willst den Streit auf lächelndes Gebiet
Hinüberspielen und der Finsternis
Entfliehen, die dich fürchten macht. Laß sein.
Das Dunkel ist der rechte Fleck für Feigheit,
Verrat und jede List, da wühl dich ein
Er steht auf.
Wenn du nicht anders kannst, wirf aus dem Winkel
Nach mir den Stein, ich kann auch dem begegnen,
Zeig mir den Trotz, den Dolch! greif zu! greif an!
Tu was du willst, nur menge nicht den Saft
Der weichen Träume, der gekrümmten halben
Gefühle, die den Tod zum Leben lügen,
In eines Kampfes ernste Bitterkeit.
ALEXÉJ in jäh aufsteigender Angst.
Das ist nicht möglich! das ist ja nicht möglich!
Was sprichst du da! was tust du da! du schlägst
Nach einem, der mir fremd ist, und triffst mich!
Du mußt mich hören, deine Worte könnten
Mich ganz verstummen machen und es gäbe
Dann keinen Weg von dir zu mir.
PETER.
Mich dünkt,
Ich kann dich ziehen lassen. Du entsagst
Dem Thron vor allem Volk und nimmst das Mädchen,
Wohin du willst und gehst, wohin du willst,
Sei's nach Neapel wieder, träumst und wachst
Und suchst dir bei den Fischern deine Freunde
Und baust am Strand aus Muscheln dir den Thron,
Und Szepter wird ein Stab –
ALEXÉJ.
Ich kann dich nicht
Verstehen –
PETER.
Du bist feige, Alexéj,
Ein Spieler und ein Träumer. Herrschaft ist
Für solche Hände nicht, die sich im Wachen
Zu rühren nicht verstehn. Was dir zu Nacht
Ein selig Fieber an die Wände malt,
Dir zum Entzücken, soll am Morgen gleich
Geschaffen vor dir stehn, errungen nicht
Und nicht erkämpft, mühlos erträumt, erspielt.[349]
Die Hand des Herrschers ist wie eine Zange
Und wie ein Hammer, denn sie hält und schmiedet
Den Leib der Welt – – vor deinen sanften Fingern
Will ich das Reich bewahren.
ALEXÉJ.
Kommt es so?
Ich Tor, ich dachte ... und du wirfst nach mir
Mit jeder Niedrigkeit! du siehst nichts mehr,
Bist blind und taub und hörst nichts mehr! das ist's!
Du willst es so – wohlan, so bin ich feige,
Ein Schuft, ein Tier, ein Schurke, ich, dein Sohn!
Kannst du noch hören? ich hab dich verraten,
Ich hab dich töten wollen, hinterrücks,
Im Schlaf, die feigen Mörder waren schon
Mit schlechtem Gold erkauft – und ich, dein Sohn,
Hab sie gedungen und ich wollte sie
Nachher zu Fürsten machen und das Pack
Zum Essen laden und ein Fest begehn,
Ein herrliches! was stehst du da und siehst
Mich an? ich wollte deinen Tod! ruf doch
Die Richter! laß mich hängen wie den Dieb,
Denn ich, dein Sohn, bin feige wie ein Dieb
Und hätte fast ein Reich gestohlen, ich,
Dein Sohn, dein Sohn, dein Sohn –
PETER.
Was soll mir das?
Genug des blinden Rasens! komm zu dir
Und hör mich an.
Pause. Alexéj sieht sich nach ihm um, aufatmend, mit gewaltsam wiedergewonnener Fassung. Sie stehen einander gegenüber.
ALEXÉJ.
Du höre mich. Ich will
Vor das Gericht – verstehst du mich? – ich habe
Dort manches anzugeben, mancherlei
Gefahr und Frevel, auch ein gutes Stück
Vom Hochverrat – doch sag ich das nicht dir,
Nur dem Gericht.
PETER drohend.
Nicht mir?
ALEXÉJ.
Du kannst mich schlagen
Und nach mir treten, doch ich sage nichts.
PETER.
Du denkst, ich werde noch in letzter Frist
Das Urteil beugen und von deinem Haupt
Den Streich des Beiles wenden –
ALEXÉJ mit wildem Spott.
Ja! ganz recht![350]
Das hast du gut erfaßt! es ist ein Ausweg!
So hab ich mir's gedacht!
PETER.
Wenn ich den Richtern
Dich übergab, so spricht allein das Recht,
Der Vater schweigt – und höchstens Gnade –
ALEXÉJ heftig.
Gnade!
Wird wieder ruhig.
Du willigst ein?
PETER.
Es sei nach deinem Willen.
ALEXÉJ.
So bin ich denn gefangen?
PETER.
Du bist frei.
ALEXÉJ.
Und wenn ich fliehe?
Peter hebt nachlässig die Achseln.
rechne nicht darauf.
Ich fliehe nicht.
PETER.
Auf morgen denn!
Er geht langsam ab, ohne sich umzusehen.
Ausgewählte Ausgaben von
Peter und Alexéj
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