[323] Moskau. Das Zimmer des Alexéj.
Afróssja in einfacher Nationaltracht – nur Hemd und Rock, durchaus nicht bunt – sitzt auf dem Schreibtisch links. Ihr glattes blondes Haar ist in zwei Zöpfe geflochten, die sie nach vorn über die Schultern herabhängen läßt. Iwán Afanássjitsch, der Kammerdiener des Prinzen, räumt auf. Russische Bauerntracht. Costa der Narr sitzt in einem Sessel dem Mädchen gegenüber – seine Kleidung ist bürgerlich, Rock, Weste, Kniehosen, Strümpfe, Schnallenschuhe, auf dem Kopf die Narrenhaube mit lang niederhängendem Zipfel.
COSTA.
Das ist der Streit von Flut und Feuer, Kind.
Du fragst, wer stärker ist? dies zeigt sich so
Wie's eben kommt. Den Tropfen frißt die Flamme,
Der Regen löscht den Herd.
AFANÁSSJITSCH.
Was schwatzest du!
Den Zaren meinst du, wenn ich dich verstand,
Und meinen Herrn, den Prinzen.
COSTA.
Ei, wen sonst?
Was auch begreifst du nicht? der Vater ist
Ganz Flamme, siehst du, denn er hat den Schweden
Gebrannt und den Bojaren, die sich sträubten,
Die Bärte abgesengt: so große Flamme
Löscht kein so stilles Wasser. Du Afróssja,
Ich sprech im Ernst, was träumst du da ...
AFRÓSSJA.
Nun, Spaß ...
COSTA.
Was sagst du? welch ein Spaß?
AFRÓSSJA.
Er liebt ihn doch.
COSTA.
Liebt? wen?
AFRÓSSJA.
Der Prinz, mein Liebster, liebt den Zaren
Viel mehr als mich.
COSTA.
Und du, du lachst?
AFRÓSSJA.
Nun ja,
Da wird er ihm nichts tun, der Zar dem Prinzen.
Wer liebt, ist kein Verräter.
COSTA.
Glaubst du das?
Dann sage mir ...
AFRÓSSJA.
Ich will's beschwören. Nie
Hat er vor mir gezittert ...
AFANÁSSJITSCH.
Vor dem Vater
Doch zittert er? du Närrin, das ist Furcht[323]
Und keine Liebe.
COSTA.
Still, du Alter! Furcht
Und Liebe sind Geschwister.
AFANÁSSJITSCH.
Das ist mehr
Als ich begreifen kann.
COSTA.
So muß ich stets
Die Zeit an dich verschwenden: hast du nie
Dein Weib geschlagen?
AFANÁSSJITSCH.
Nein.
COSTA.
Wo ist dein Weib?
Gestorben?
AFANÁSSJITSCH.
Weiß nicht.
COSTA.
Nun?
AFANÁSSJITSCH.
Es ging mir durch
Mit einem Aktenschreiber. Doch das weißt du.
Costa pfeift und springt auf.
He was?
COSTA.
Afróssja, lache. Diesem Alten
Sag ich nichts weiter.
AFANÁSSJITSCH.
Was ...
COSTA.
Es ist erwiesen.
AFANÁSSJITSCH zornig.
Ich weiß nicht mehr, was zu erweisen war.
Daß dich der Wasserteufel ... geh zur Hölle!
Er geht ab.
COSTA.
Afróssja, lache nicht. Sie schleichen alle
Um ihn herum und ziehen ihre Fäden
Eng, eng und enger und bevor er's merkt,
Ist er schon eingesponnen. Glaubst du denn
Das Kindermärchen von des Zaren Tod,
Das Glébof sich ersann und Kíkin treulich
Im Volk verbreiten ließ? frag deinen Prinzen,
Der glaubt es nicht und dennoch geht er hin
Und lauscht, wenn Kíkin singt und Glébof eifert,
Dann endlich hängt er fest und kann dem Netz
Nicht mehr entspringen, wenn die beiden kommen,
Zar Peter und der Tod. Zar Peter liebt
Den Ansprang aus dem Dunkel, dann erst macht
Er gräßlich Tag um sich mit Blut und Feuer.
Lehr mich ihn kennen. Hör – verbirgt er sich
Wie jetzt ... ich sage, löscht er jede Spur
Von seinen Tritten aus, so ist die Hand[324]
Zum Schlag erhoben und wir können nichts
Auf Erden tun, als warten, wessen Haupt
Er sich zum Hieb erspäht aus seiner Wolke.
AFRÓSSJA.
Und wär's auch wie du sagst! den Prinzen kann
Die Hand nicht treffen.
COSTA.
Willst du meine Kappe?
Die Narrheit hast du schon. Den Prinzen nicht?
Ihn, ihn vor allen! Peter fürchtet ihn,
Weißt du das nicht? er fürchtet ...
AFRÓSSJA.
Meinen Prinzen!
COSTA.
Glaub's oder nicht, ich weiß es. Und er hat
Ganz recht, daß er sich fürchtet, denn gefährlich
Ist Alexéj, der Sohn, und Alexéj,
Der Name, nicht dein träumend sanfter Prinz
Der lächelnd und in Einfalt süße Märchen
Um deine Schönheit rankt. Du aber kannst
Ihn wecken, darum tu's, es ist so leicht,
Nur beim Gebet am Abend und am Morgen
Zu sagen »hüte dich«.
AFRÓSSJA.
Mit deiner Furcht!
Mein Prinz hat Furcht und nicht der Zar. Dem rät
Die eigne Furcht schon »hüte dich«. Der fährt
Aus tiefstem Schlaf empor und mit der Lampe
Sucht er die Winkel ab und sagt im Fieber:
Zar Peter schlich sich ein und will mich morden –
Und suchen muß ich helfen. Und als wirklich
Ein Mörder auf ihn schoß, hat er gelacht
Und auf dem Meer im Sturm war ihm der Tod
Nicht eine Sorge wert – allein den Zaren,
Den Einen, fürchtet er und diesen Einen
Nur um so stärker.
COSTA.
Wohl, es gibt dergleichen.
AFRÓSSJA.
So feig und mutig ist mein liebster Prinz ...
COSTA.
Weil er es ist, so feig und mutig, Kind,
Wird Mut und Angst ihn locken in den Käfig
Zum Tiger einzutreten und zu nippen
Vom süßen Wein des Grauens, wenn das Tier
Geduldig hinnimmt Schlag und Wurf und gleich
Aufspringen wird, jetzt – jetzt – noch immer nicht –
Jetzt aber – und so weiter. Denn was ihm
Den Zaren wichtig macht, ist mehr als Liebe:
Ein schwindelnd heißer Zauber der Gefahr[325]
Der uns verliebt macht in den Blitz und uns
Den Kampf zu suchen treibt! was folgt daraus?
Nicht viel ... nur bist du klüger als du warst
Vor fünf Minuten nach der Pfauenuhr
Die sich Zar Peter bauen ließ, daß ihm
Kein Zifferblatt den Dienst erweise, den
Ein goldner Vogel leisten kann. Jetzt aber
Sei du dem Prinzen solch ein goldner Vogel
Mit deinem Morgensprüchlein: »hüte dich«.
Afróssja hat während der letzten Worte zur Tür hingehorcht, nun läuft sie dem Prinzen entgegen, der rasch eintritt, gefolgt von einem alten Mann in einfacher dunkler Kleidung. Alexéj trägt einen leichten schwarzen Anzug.
ALEXÉJ.
Prinzessin, auf dem Wasser lag die Sonne
Und das war schön und du warst nicht dabei,
Es anzusehn mit mir! was sagst du Fürstin?
Was sagst du, Kaiserin? sieh her, ich bringe
Ins Haus dir einen Gast. Auch Costa hier?
Hat er dich lachen hören? wie?
AFRÓSSJA.
Er sagt,
Ich soll ein goldner Vogel sein –
ALEXÉJ.
Du bist
Ein goldner Vogel, meint er's auch nicht so.
Der Costa singt sein altes Lied. Nun, Alter,
Schau dir den Narren an. Das ist ein Narr
Der lieber mahnt als lächelt und er will
Mich unter breite warme Flügel stecken
Bis ich erwachsen bin ... was wollt ich noch? ...
Das mit der Sonne auf dem Fluß – ihr glaubt,
Das sei nicht viel? doch, doch, es hat mich froh
Gemacht, es war so wie ein schmaler
Und goldner Fluß der auf dem großen blauen
Hin mit der Strömung schwamm – dann fällt mir immer
Im Gehen manches ein, wenn ich die Menschen
Vorübergleiten sehe, immer nur
Vorüber und vorüber, selten bleiben
Sie stehn und selten grüßen sie, es treibt
Sie immer nur vorbei und keinen freut es
Den anderen zu sehn ... Afróssja, keiner
Muß lachen mitten auf dem großen Platz,
Wie ich es tue wenn ich einmal wieder
Ganz deutlich weiß, daß du zu Hause bist[326]
Und mich erwartest und – ich bin zerstreut –
Costa, sei still – nun kurz und gut, ich traf
Den Alten auf dem Platz, der sah mich lachen
Und sagte: Gott behüte dich, und das
Ist mir so nötig, daß mich Gott behüte,
Wie keinem zweiten – und ich sprach mit ihm.
Er kommt vom Land, bei Gott, ihr ratet nicht,
Warum er kam – was denkt ihr?
AFRÓSSJA.
Sag's.
COSTA.
Der Kaiser
Von China schickt Geschenke deiner Hoheit,
Kamele, Sklavinnen und Götzenbilder
Und Gold und Perlen, oder tut's der Sultan
Vom Morgenland?
ALEXÉJ.
Geschenke, ja! und wie
Aus Morgenland! er und sechs andre noch
Sind Abgesandte – von den Städten Rußlands
Und von den Dörfern auch – an meinen Vater –
Um ihn zu bitten – wie? begreifst du jetzt?
AFRÓSSJA.
Für dich?
ALEXÉJ.
Für mich! sie lieben mich! sie wollen
Zu ihrem Herrscher mich! und wenn das Volk
Zum Zaren kommt und bittet, kann er's nicht
Versagen. Er ist klug und groß. Ihr wißt es.
Er ist auch gut. Nein, seht, ich kenn ihn besser
Als alle, die ihn fürchten. Einmal hab ich
Ihn weinen sehn, ganz leise vor sich hin
Weil er's nicht zeigen wollte, doch ich sah
Die blanken Tränen laufen. Er ist sanft.
Er hat ein Lächeln das die kleinen Kinder
Von ihren Müttern lockt und einen Zorn
Wie der Prophet Elias der im Donner
Zum Himmel fährt. Er herrscht mit ganzer Kraft.
So wird er auch verstehen, daß in mir
Sein Blut zur Krone drängt. Sei er gewaltig
Und stark und weise, während ich von Schwäche
Zu Schwäche taumle und von Traum zu Traum –
Eins hebt mich über alle außer ihm
Der Krone nah: er liebt das Land nicht besser, –
In diesem bin ich stark und klug wie er.
Er geht zum Schreibtisch und füllt einen Becher aus einer Karaffe mit Wein.
[327]
AFRÓSSJA halblaut.
Nicht!
ALEXÉJ.
Was denn?
AFRÓSSJA.
Laß den Wein, er schadet dir.
ALEXÉJ.
Er frischt mich auf.
AFRÓSSJA.
Ich bitte dich.
ALEXÉJ leise.
Prinzessin,
Du sollst nicht bitten. Liebe mich. Den Wein,
Siehst du, kann ich entbehren.
Er stellt den Becher zurück und blickt vor sich nieder.
COSTA.
Herr, was fehlt dir?
Zu Afróssja.
Flink, sag ihm etwas was ihn freut.
AFRÓSSJA.
Du sprachst
Vom Herrschen, Alexéj ...
ALEXÉJ.
Ja, meine Blume,
Vom Herrschen sprach ich. Peter braucht das nicht.
Er darf es tun.
AFRÓSSJA spielerisch.
Du nicht?
ALEXÉJ.
Oh, glauben muß,
Wer siegen will. Es hält die Hand den Sieg,
Der kommen soll, vorher im Traum schon fest –
Und nun er selbst, er selbst, in hundert Strömen
Erfüllung schüttend ... nein, verzichten nicht,
Nein, nein, auslöschen nur die Lampe nicht,
Die einzige, die wirklich leuchten könnte
Und alle Schatten töten in den Winkeln ...
Den Wein, Afróssja, solchen Wein ... den wirst du
Mich trinken lassen und vor seinem Glanz
Weht alle Finsternis dahin.
Alle sehen ihn an. Er scheint unter den Blicken zu erwachen, sieht sich um, besinnt sich völlig. Sagt zum Alten.
Das war es
Noch was ich wollte, hungrig wirst du sein,
So nimm von unsrem Salz und Brot, bevor
Du gehst. Afróssja ...
Afanássjitsch öffnet die Tür, bleibt aber draußen.
AFANÁSSJITSCH.
Herr, schon wieder sind
Sie da um dich zu sprechen.
ALEXÉJ.
Wer?
AFANÁSSJITSCH.
Die Drei,
Die immer kommen.[328]
COSTA heftig.
Jag sie durch den Hof
Mit Peitschen –
ALEXÉJ.
Costa!
AFANÁSSJITSCH.
Herr, das wäre gut.
ALEXÉJ.
Ich will sie sehn, zum letztenmal.
COSTA.
Wär's nur
Das letzte Mal!
ALEXÉJ.
Ruf sie herein.
Afanássjitsch ab.
Ihr geht
Zum Essen, bis ich komme. Geht. Ich bin
Dann wieder gleich bei dir.
Er nickt Afróssja zu. Afróssja, Costa und der Alte rechts ab. Alexéj blaß und erregt am Schreibtisch, nimmt den Becher und leert ihn auf einen Zug, atmet erleichtert auf. Er sieht sich nach der Tür um, die sich hinter Afróssja geschlossen hat.
ALEXÉJ hastig.
Nur noch ein Wort,
Afróssja, noch ein Wort! ich muß dir sagen ...
Rasch ab durch dieselbe Tür. Durch die Mitte kommen Stepán Glébof, Kíkin und Dolgorúki. Alle drei in Uniform.
GLÉBOF. Da sind wir wieder. Der Prinz nicht da? – heute wird und muß sich alles entscheiden.
KÍKIN. Warum heute? wir haben Zeit, wenn Zar Peter starb, wirklich starb.
GLÉBOF. Wer sagt euch, daß er starb? Es geht ein Gerücht, das ist wahr – doch unter uns, wer glaubt daran?
DOLGORÚKI. Ich freilich nicht. Wenn nur das Volk dran glaubt.
KÍKIN. Und der Prinz.
GLÉBOF. Der Prinz! legt ihm den Zaren tot vor die Füße, so wird er noch nicht daran glauben. Den überlaßt ihr mir. Ich halte – versteht ihr? – ich halte den Zauber, der ihn gefügig macht.
KÍKIN. Zarin Awdótja, die Verstoßene. Doch sagt, Glébof, wollt Ihr den Prinzen durch seine Mutter gewinnen, oder habt Ihr dieses Amt Eurer Geliebten vertraut?
GLÉBOF. Ich bin ihm der Verführer seiner Mutter, das ist es, Kíkin, was Ihr sagen wollt. Mag er mich darum hassen, das grade muß ihm zeigen, daß sein Weg der meine ist. Er hat das Leid seiner Mutter zu rächen, ich –
KÍKIN. Und Ihr eine Tat, die Euch Awdótja gewinnen half? meint Ihr, er glaubt Euch das?[329]
GLÉBOF. Es ist meine Sorge, ihn das glauben zu machen. Und außerdem –
KÍKIN. Nun?
GLÉBOF. Und außerdem liegt uns nur an seiner Person und nicht an seinem Glauben. Die Person – verlaßt euch darauf – die haben wir.
KÍKIN. Ich will es loben, wenn Eure Rechnung stimmt. Still, hier ist der Prinz.
Alexéj kommt zurück und begrüßt die drei mit einem Kopfnicken. Er lehnt sich an den Schreibtisch.
ALEXÉJ. Nehmt Platz, ihr Herren. Sprecht, ich bin bereit.
GLÉBOF. Es ist die alte Frage, Prinz, die wir zu wiederholen kommen –
ALEXÉJ.
Die alte Antwort hab ich nur zu geben,
Gelüstet's euch, sie noch ein letztes Mal
Von mir zu hören – wohl, es kommt mir nicht
Auf drei Minuten an, ich habe Stunden
Und Tage zu verschwenden –
GLÉBOF. Das eben soll anders werden. Wir bringen Euch die Herrschaft, ein Gefäß, das Ihr mit siebzig hineingegossenen Jahren nur grade füllen könnt.
ALEXÉJ. Steht der Thron von Persien verwaist? oder soll ich die Kirgisen in die Schlacht wider Schafe und Rinder führen?
GLÉBOF. Es geht ein Gerücht um, daß es dem Himmel gefallen habe, Euren Vater den Zaren zu sich zu nehmen. Doch das ist es nicht ...
ALEXÉJ. Schlägt man einen Mann wie meinen Vater mit Gerüchten tot –?
GLÉBOF. Doch das ist es nicht, was ich zu sagen habe. – Prinz Alexéj, ich bringe Euch einen Gruß – und vielleicht noch etwas mehr – von Eurer Mutter.
ALEXÉJ maßlos aufbrausend. Ihr – Ihr wagt – das wagt Ihr – der Ihr mit meiner Mutter –
GLÉBOF.
Ich.
ALEXÉJ.
Ist keine Peitsche ...
GLÉBOF.
Prinz!
ALEXÉJ sich überstürzend.
Mein Vater warf
Den Schmerz in ihre Seele und er war
Im Recht, das mögt Ihr wissen. Vor der Welt
Sieht meiner Mutter Schicksal wie ein Frevel
Des Zaren aus – doch das ist falsch gesehn,[330]
Ich sag es, ich, ihr Sohn. Sie hat geweint,
Wenn er sie lachend wollte, hat gesprochen
In solcher Stille wo der kleinste Laut
Verbrechen war, hat ihm vor jede Tat
Ein kaltes »Nein« gesetzt – doch das ist nichts –
Ob so, ob so, ich liebte sie ... den Zaren
Hab ich darum nicht hassen können, ihn,
Den ich begriff. Gesteht mir dieses zu:
Aus Willkür tat er's nicht, er sprach: ich muß –
Und tat es ohne Haß. Ihr aber habt
Die Mutter mir beschmutzt –
GLÉBOF.
Prinz, das zu dulden –!
ALEXÉJ.
Ihr werdet's dulden – hört Ihr das? – beschmutzt!
Sie ließ den Zarenreif zurück und nahm
Das Leiden mit und ich, als Kind schon hab ich
Gewußt daß mancher, der's versteht, den Schmerz
Wie eine Krone trägt. Was aber ist
Ein Schmerz, der sich mit – Euch zu trösten weiß!
Mit Buhlerkünsten! pfui! bezahlte Wächter
Und Liebesboten! Briefe! Heimlichkeiten
Wie zwischen Knecht und Stallmagd! daß der Ekel
Mich nicht erstickt! das meine Mutter, das!
Und das ihr Schmerz! o pfui, Ihr habt es nicht
Gewußt, was Ihr getan, sonst war es nie
Geschehn, Euch hätte schaudern müssen ...
GLÉBOF.
Sagt
Das Eurer Mutter, wenn sie kommt.
ALEXÉJ atemlos.
Wenn sie –
Was sagt Ihr da –?
GLÉBOF.
Sie kommt.
ALEXÉJ.
Hierher –?
GLÉBOF.
Sie kommt.
Sie kommt durch diese Tür.
ALEXÉJ.
Das ist – gewiß?
Sagt – Kíkin – Dolgorúki – durch die Tür –
Sie kommt –
DOLGORÚKI.
Zaréwitsch, ja.
ALEXÉJ.
Durch diese Tür –
Wie sagt ihr? – jetzt – jetzt gleich – was tatet ihr? –
Wie kam sie aus dem Kloster –
DOLGORÚKI.
Faßt Euch, Prinz.
ALEXÉJ.
Was kann sie wollen? ihr – ihr wagt so viel –[331]
Ihr seid doch Männer – würdet nicht so spielen
Wenn ihr nicht wüßtet – Antwort! gebt mir Antwort!
Was ist's mit dem Gerücht?
DOLGORÚKI.
Gerüchte lügen
Zwei Wochen lang, zwei Monde – und nun kommt
Ein neuer Tag, da lügen sie nicht mehr.
Ob wahr, ob nicht, wir haben vorzubeugen.
KÍKIN.
Das ist's, wir beugen vor. Wem hat der Zar
Das Reich vermacht? wem?
DOLGORÚKI.
Wenn er wirklich starb
So gibt's ein Testament und das verleiht
Die Krone – wem?
KÍKIN.
Nicht Euch.
DOLGORÚKI.
Der Lagerdirne –
Der Wäscherin –
ALEXÉJ.
Nicht mir –
DOLGORÚKI.
– die aus den Händen
Des Marketenders wie ein schlechter Pfennig
In die des Trommlers ging und vom Trompeter
Zum Fähnrich –
KÍKIN.
Und von einer Stufe bald
Zur nächsten sprang –
DOLGORÚKI.
Bis dann der glücklichste
Und höchste Sprung geschah – in Peters Bett,
In Peters Herz und mitten in den Glanz
Von Peters Krone –
GLÉBOF.
Mitten in den Glanz,
Der Eurer Mutter eigen war. Sucht hier
Den Schmutz, von dem Ihr spracht, und die Befleckung.
ALEXÉJ.
Und wenn das Testament – was ändern wir?
GLÉBOF.
Seid Ihr der Zar, so gilt das Testament
Nicht mehr denn leeres Stroh. Ihr seid gewählt
Vom Volk, gewählt vom Adel und die Kirche
Hat Euch gekrönt.
DOLGORÚKI.
Und ich erbiete mich
Das Testament am Säbel aufgespießt
Im Krönungszug zu tragen –
ALEXÉJ.
Doch er lebt!
Er lebt ja doch! er lebt! und kommt zurück!
Wie steh ich dann vor ihm?
GLÉBOF.
Dann habt Ihr Euch
Als Mann gezeigt –[332]
DOLGORÚKI.
Zum erstenmal – verzeiht!
GLÉBOF.
Und er erkennt sein Blut –
KÍKIN.
Und achtet es –
GLÉBOF.
Und achtet Eure Kühnheit, die nach ihm
Zu zielen wagte –
ALEXÉJ unwillkürlich.
Ja, so ist er, so!
DOLGORÚKI.
Ihr kennt ihn freilich –
ALEXÉJ fieberhaft.
Und es ist vielleicht
Nur dies was er vermißt! warum auch hätte
Er mich gereizt, gequält, so zum Ersticken
Wenn er nicht wecken wollte, was in mir
Da war und immer war, wenn auch versteckt
Noch in dem Schutt. Er wollte sich vielleicht
In mir erkennen, in die Winde streuen
Den ganzen Zorn, er hätte mir gesagt:
Du bist mein Sohn! du bist mein Sohn! – und ich,
Ich bin's! mir glaubt das Volk – und mehr – ich selbst,
Ich weiß es so wie keiner, daß ich's bin,
Ihm aber muß ich's zeigen ...
Er lauscht an der Eingangstür.
KÍKIN leise.
Glébof, helft,
Das nützt uns nichts.
GLÉBOF.
Laßt, laßt!
KÍKIN.
Er stürzt ihn
Nur, um ihn neu zu krönen.
GLÉBOF.
Setzt ihm nur
Die Krone auf – und dann, dann tut mein Degen
Was nötig ist. Nur still!
ALEXÉJ.
Ich will mich jetzt
Nicht vor ihm schämen müssen. Glébof, hört,
Mir scheint, ich tat Euch unrecht. Nur versteht,
Warum ich ihn nicht hassen kann. Er hat
Mich sehr gequält. Ich habe Dienst getan
Wie ein Gemeiner und der Waffenrock
Hat mich gedrückt an Hals und Brust. Wenn ich
Schaluppe nannte was ein Kutter war –
Als Kind, wenn er mich fragte – brach er mir
Im Zorn mein Feenhaus entzwei. Ich lernte
Da seine Schiffe hassen, wenn auch nicht
Ihn selbst – denn über mein zerbrochnes Haus
Wie ein Gewitter war er hingegangen;
Ich nahm es als ein Schicksal und das Spiel[333]
Geriet nur immer schöner. Glaubt, das Messer,
Womit er Späne schnitzt, hält er nicht anders,
Als in der Schlacht den Degen und das Ruder
Im Sturm: die Seele wächst hinein und wird
Zur Kraft, die siegen muß. Das hab ich dumpf
Als Kind gefühlt, ich hab es fühlen müssen,
Weil so nur zu ertragen war, was er,
Selbst irgendwie auf dunkle Art gezwungen,
Mich tragen ließ. Und was mich heut ergreift
Und mir den Weg zur Mutter und zu Euch
Und in den Thronsaal weist, ist, wie mich dünkt,
Ein Trieb von gleicher Art, verwirrt und dunkel
Doch stark ... mir scheint, vor Gott und Welt und Himmel,
Daß ich ihm folgen muß.
GLÉBOF.
Ruft Heil dem Zaren!
ALEXÉJ.
Still, hört ihr nichts?
GLÉBOF.
Prinz, Eure Mutter –
ALEXÉJ.
Sie!
Entgegen! kommt entgegen!
Er stürzt zur Tür, diese wird aufgerissen, Afanássjitsch steht in der Tür.
du?
AFANÁSSJITSCH.
Zaréwitsch –
Ein Wagen – vor dem Tor –
ALEXÉJ.
Im Wagen – wer?
AFANÁSSJITSCH.
Vor Schleiern sah ich nichts – doch eine Stimme –
Ich kannte diese Stimme –
ALEXÉJ.
Nun, ich muß
Die Stimme hören – Platz da, Platz!
AFANÁSSJITSCH.
Ich sah
Des edlen Fürsten Durchlaucht, Ménschikof,
Vom Fenster – und verkleidet – auf der Straße –
Er kam als Späher, glaubt mir nur –
ALEXÉJ.
Du träumst,
Geh fort, mach mich nicht zornig –
AFANÁSSJITSCH.
Herr, ich kenne
Das Fuchsgesicht – glaub mir – es ist Gefahr –
ALEXÉJ.
Fort! fort! sie wartet – da! nun halte mich!
Er hat den Alten zurückgestoßen und eilt fort, Afanássjitsch folgt laut rufend.
[334]
GLÉBOF ihm nach.
Nun schnell zum Wagen – und hinein mit ihm –
Und fort – zum Schloß. Folgt mir!
DOLGORÚKI.
Wir kommen.
KÍKIN hält ihn zurück.
Freund,
Nur noch ein Wort: vor Glébof hütet Euch –
DOLGORÚKI.
Das weiß ich längst. Kommt nur, habt keine Sorge.
Beide ab. Die Bühne ist leer. Nach einer Weile wird die Tür rechts geöffnet. Costa schiebt seinen Kopf vorsichtig durch die Spalte, sieht sich um, tritt ein, da er das Zimmer leer sieht. Afróssja hinter ihm, lächelnd, sorglos, ein Lied vor sich hin summend.
COSTA.
Sie sind nicht da. Ich hörte laute Stimmen.
AFRÓSSJA singt.
Und es ward ihm so wehe,
Er seufzte und sprach ...
COSTA.
Wo sind sie hin? du sollst das Singen lassen
Ich höre nichts.
AFRÓSSJA.
Schau, Kind, wenn ich gehe,
Vom Fenster mir nach.
COSTA.
Hier ist etwas geschehn ...
Er geht plötzlich hinaus. Afróssja lacht hinter ihm drein, Stimmen auf dem Vorplatz.
COSTAS STIMME.
Was faselst du? hinein, hinein mit dir!
Es ist nicht möglich!
AFANÁSSJITSCH draußen.
Hätt ich nur den Fürsten
Vom Fenster nicht gesehn!
Costa kommt zurück, hinter ihm Afanássjitsch.
COSTA.
So traf es ein,
Was ich gesagt. Dein Prinz ist fort.
AFRÓSSJA.
Was heißt das?
COSTA.
Das heißt: er spielt um seinen Kopf. Das heißt es.
Verschwörung heißt es, Hochverrat! im Schloß
Beraten sie's und seine Mutter ist
Dabei –
AFRÓSSJA.
Die ist im Kloster –
COSTA.
Aus dem Kloster
Ist sie entsprungen, ist im Schloß mit ihm
Und den Verrätern! und der Zar –
AFRÓSSJA.
Der Zar?
COSTA.
Weiß alles. Der da hat den Ménschikof[335]
Gesehn und nun ist alles aus – ich hab's
Gesagt – nun kam das Ärgste – bete du,
Daß nur der Zar nicht kommt!
AFRÓSSJA.
Ich kann's nicht glauben.
COSTA zum Diener.
Du hast ihn gehen lassen. Wenn es jetzt
Hereinbricht über uns, dann schlage dir
Die Brust und winsle: meine, meine Schuld!
Was hast du nicht gerufen ...?
AFANÁSSJITSCH zurückweichend.
Ich –
COSTA.
Du hättest
So schreien müssen, daß zu Hilfe dir
Das Volk gekommen wäre von der Gasse –
Die Wache vom Portal und wir – was hast du
Getan? wohl gar die Tür geöffnet, sanft
Gemeldet: lieber Prinz, die liebe Mutter
Kam zu Euch auf ein Stündlein, wo mir recht ist –
Was? hättest du geschrien: die Hölle steht
Vor Eurer Tür! was sagst du? hättest du
Das Haus in Brand gesteckt, du brauchtest nur
Im Vorsaal eine Lampe umzustoßen
So kam der Prinz nicht durch, so wäre Zeit
Geblieben, Zeit! und nun – nun kommt der Zar
Und schlägt den Prinzen tot. Was tatest du
Um das zu hindern? was? nun kommt der Zar –
Der Zar –
Afanássjitsch ist schrittweise zurückgewichen bis zur Tür. Costa folgt ihm auf dem Fuß, ihn vor sich herdrängend. Plötzlich fahren beide erschrocken zurück und zur Seite – auf der Schwelle stehen zwei dunkle Gestalten in langen Mänteln. Eine Stimme vom Eingang her fragt.
Wer spricht von mir?
COSTA entsetzt.
Er selbst!
AFANÁSSJITSCH.
Hilf Gott
Im Himmel! er!
Zar Peter und Oberst Gordon sehen sich um und treten langsam vor.
PETER.
Wo ist mein Sohn?
COSTA stammelnd.
Nicht hier.
PETER.
Ich fragte: wo?
AFANÁSSJITSCH.
Ich weiß nicht, Herr.
COSTA.
Er ging[336]
Zur Kirche wohl.
PETER mit Gordon ganz vorn.
So kamen wir zu spät.
GORDON verdrießlich.
Ihr seid noch stets zu spät gekommen, wenn
Der Prinz in Frage kam.
PETER mit unterdrücktem Unwillen.
Ei, Gordon!
Eine kurze Stille.
wohl,
So muß ich heute pünktlich sein.
GORDON.
Das wäre
Zu früh. Noch kann der Fürst mit den Soldaten
Im Schloß nicht sein. Auch wird es Euch nicht fehlen
Wenn Ihr zur festgesetzten Stunde kommt,
So wartet noch.
PETER.
Fürst Ménschikof späht gut.
Sie sind im Netz, ich weiß. Bin ungeduldig,
Wir wollen gehn.
Noch eins: du bist mir Zeuge,
Gordon, vor Gott, daß ich ihn warnen wollte.
GORDON.
Ich bin's.
PETER.
Fand ich ihn hier wie ich gehofft,
Wir hätten's ausgefochten Aug in Auge –
Nun muß es anders kommen. Fort!
COSTA.
Ihr seid
Ermüdet, Herr. Soll ich ein Frühstück schaffen?
Ja? oder Wein?
Peter sieht ihn an.
verzeiht.
PETER.
Gordon, wir gehen.
Beide ab. Die drei anderen stehen unbeweglich. Costa rafft sich zuerst empor.
COSTA.
Wie nun –
AFRÓSSJA.
Nichts weiß ich, nichts!
COSTA fährt auf.
Ich aber weiß es –
AFANÁSSJITSCH.
Du willst?
AFRÓSSJA.
Wo willst du hin?
Zum Prinzen, Kind!
Ich laufe schnell – und finde wohl ein Pferd –
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