Dritter Akt

[351] Derselbe Saal. Ein grauer regnerischer Nachmittag. In der Mitte ist ein langer Tisch aufgestellt. Die Vorhänge an den Fenstern sind zurückgezogen. Rechts neben dem breiten Fenster steht Peter und blickt hinaus. Am Tisch Tolstoí, über Akten gebeugt, neben ihm Gordon.


PETER.

Ein trüber Tag. Sie bauen das Gerüst

Für die Bojaren, und der Ménschikof

Läuft hin und her im Regen, faßt mit an

Und achtet nicht der Nässe. Pfui, wie häßlich

Die schwarzen Lappen um die Pfosten hängen!


Er kehrt sich ab vom Fenster.


So bleibt es denn dabei: er soll gestehn.

TOLSTOÍ.

Das tat er schon.

PETER.

Er gab ein Kupferstück

Und ließ das Gold im Sack. Er gibt ein paar

Verräterchen uns preis, der Gnade trauend,

Die wir verhießen, doch das wahre Herz

Des Bundes deckt er, deckt er. – Nützt mir das?

Er muß mir alles sagen, alles, Gordon –[351]

Er darf nicht geizen – hörst du mich, Tolstoí? –

TOLSTOÍ.

Wenn ich Euch recht verstehe, soll der Prinz

Den Anteil auch der Mutter Euch verraten –

PETER.

Verraten – nein –

TOLSTOÍ.

Ich finde nicht das Wort –

PETER.

Verraten meinethalben! doch von mir

Darf dann die Gnade kommen.

TOLSTOÍ.

Die der Prinz

Abweisen wird und muß wie einen Schimpf.

PETER.

Man weist nicht ab, was recht gegeben wird.

Er soll mir trauen –

GORDON halblaut.

Kann er das?

PETER heftig.

Ich will's.

Sein Leben hängt daran. Ist es so schwer

Den einen Weg zu finden? wenn der Prinz

In seiner Brust nicht weiß – versteht – nicht weiß

Daß ich die Frau nicht töten kann, um die

Er Sorge trägt – wenn er mich fähig hält –

Begreift ihr mich denn nicht? – will ich nicht mehr

Die weißen Flügel sehn, die über ihm

Auch jetzt noch liegen und ich gebe dann

Dem Zweifel recht, bei Gott, der mir mißtraut.

TOLSTOÍ steht auf.

Ich sehe, Herr, es soll die Probe sein.

PETER.

Die Probe.

TOLSTOÍ.

Leugnet er –

PETER.

So findest du

Auf andrem Weg die Wahrheit.

TOLSTOÍ.

Herr, ich weiß

Das Mittel schon, das letzte.

PETER.

Hör, Tolstoí,

Versäume nichts, was ihn bewegen könnte –

TOLSTOÍ.

Ich weiß um Euren Willen.

PETER.

Und du kommst

Dann zum Bankett?

TOLSTOÍ.

Zu Euren Diensten, Herr.


Er geht ab. Gordon steht auf, nimmt ein Blatt vom Tisch, tritt auf den Zaren zu.


PETER.

So wird noch alles gut. – Was willst du, Gordon?

GORDON.

Ich will Euch wehe tun.

PETER.

Gordon? nur zu.

Du kennst mich doch. Ich will's verwinden.[352]

GORDON.

Herr,

Das weiß ich. Nur –

PETER.

Sprich dreist.

GORDON.

Es ist nicht leicht.

PETER.

Nicht leicht für dich – zu sagen?

GORDON.

Herr, auch das.

Doch schwerer noch –

PETER.

Mir schwer zu hören! rasch,

Was ist es?

GORDON.

Grad heraus. Dies Blatt erzählt

Von Eurer Frau.

PETER.

... der Zarin ...

GORDON betonend.

Von der Frau.

PETER.

Verleumdung der Bojaren?

GORDON.

Nehmt und lest.

Ich hätte wohl mit Lügen Euch verschont,

Das müßt Ihr wissen. Diese Klage hat

Geschmack der Wahrheit. Lest.


Peter nimmt das Blatt. Er liest. Seine Züge bleiben finster und gesammelt. Er läßt das Blatt sinken, tritt ans Fenster und preßt die Stirn an die Scheibe.


PETER.

Der ist nun fort

Der Ménschikof. Und ringsum rauscht die Flut

Von allen Dächern.


Er hebt das Blatt, liest.


Gordon – weißt du Rat –

Und Hilfe, Gordon –?

GORDON.

Nicht einmal den Trost –

PETER.

Wie sagst du – Trost? bin ich ein Kind, ein krankes.

Das seine Milch vergoß? nur wissen will ich –

Was soll mir dieses Blatt?

GORDON.

Herr, was es soll?

PETER.

Du siehst mich schon – nicht wahr? – am Schlüsselloch

Vor ihrer Kammer, und ich zwänge dann

Mich unter's Bett und warte, wie die Katze

Lautlos und reglos, bis ihr Spiel die Mäuse

Beginnen über mir? siehst du mich so?

Dies Blatt ist Lüge, Gordon, und ich reiße

Die Lüge so, und so – was blieb von ihr?

Der Händler, dem ins Haus zur Zeit des Marktes

Ein junger Kerl sich stahl, ergehe sich[353]

In Lärm und irrer Wut – ich, den du kennst,

Ich darf mich nicht beim Lauschen finden lassen,

Bei niedrigem Gebaren jeder Art,

Scheltworten, Krämereifer, die der Menge

Wohl anstehn mögen, Gordon, und nicht dem,

Der jeden Umweg durch den Kot verschmähend,

In Herrscherfreiheit und in Herrscherzwang,

Nur glauben – oder töten kann.


Gordon verneigt sich und tritt zurück.


Ich werde

Dies Blatt vergessen. Katharina bleibt

Mir unberührt. Es ist des Herrschers Wille,

Daß diese Meldung lüge. Hör mich wohl:

Sie lügt, sie lügt, sie lügt.

GORDON zögernd.

Wenn Ihr befehlt –

PETER.

Dies aber sag ich dir – Gordon, gib acht:

Dies Blatt – dies sag ich dir – dies Blatt lügt nicht,

Sie buhlen wie die Fliegen, wenn ich nur

Den Rücken zeige, stehlen sich die Gunst

Des Augenblicks und hier im Winkel, da

Und dort, verstohlen, legt sein hübscher Mund

Auf ihre Lippen sich und dann – ich will's

Nicht denken, Gordon, und es sei vergessen

Als eitle Lüge, keines Ärgers wert.

GORDON.

Es soll geschehn – doch wie begreif ich Euch!

PETER in sich versunken.

Mich dünkt, ich kann nicht mehr. Wir gehen heut

Nach Petersburg und dort entscheidet sich

Des Prinzen Sache. Gordon, wissen wir,

Ob diese Hand die Feder führen kann

Beim Namenszug, der tötet? und mir scheint

Sie wird es können, wenn sie muß. Dann aber –

Was bleibt mir, Gordon, dann? es ist genug

Und schon zu viel – dann will ich feige sein

Und mich verstecken – und warum nicht feige?

Denn jeden trifft es wohl – warum nicht mich?

Man darf doch einmal müde sein, einmal,

Warum nicht ich?

GORDON.

Man lernt Euch, Herr, nicht aus.

Dies ist so fremd.

PETER.

Da ist noch etwas, Gordon,[354]

Woran ich denken muß. Die mich betrügt,

Die Frau, ich brauche sie, doch mein Bedürfen

Hab ich zu opfern jederzeit verstanden,

Wenn es die Not befahl, frag wen du willst,

Sein Heil wagt er darauf. Doch ist es wahr

Daß ich betrogen bin, so sage mir,

Wie, Gordon, ist es wahr? ich kann den Wein

Nicht hassen, den sie trinkt, das Hemd nicht hassen,

Das sie umhüllt – und Mons, der hübsche Knabe,

Ist ihr nicht mehr, ich weiß. So ist es. Hör,

Sie nimmt ihn wie den Wein. Was geht's mich an,

Wohin das Blut sie treibt, wo sie den Durst,

Den raschen leichten Wunsch zu stillen sucht!

Ihr Leben liegt bei mir, das Herz der Welt

Hört sie nicht schlagen als in meiner Nähe.

GORDON.

Hätt ich geschwiegen!

PETER.

Komm nur, Gordon, komm.


Beide ab. Es vergehen einige Augenblicke. Ein ganzer Schwarm von Dienern in Livree dringt in den Saal, darunter Peters Kammerdiener und dessen Sohn Iwánuschka, dieser in russischer Bauerntracht, ein Kind von fünfzehn Jahren. Die Diener beginnen den Tisch zu decken.


1. DIENER. Wo sind die Tücher? wo sind denn nur die Tücher?

2. DIENER. Was schreist du denn so? welche Tücher?

1. DIENER. Was weiß ich! sie putzen sich den Mund damit –

KAMMERDIENER. Das sind keine Tücher, du Esel, das sind Servietten!

IWÁNUSCHKA. Vater!

1. DIENER. Meinetwegen. Eine komische Sitte, bei Gott. Seit tausend Jahren haben wir reinlich gegessen und keine Tücher gebraucht, jetzt aber –

IWÁNUSCHKA. Hör doch, Vater!

1. DIENER. – jetzt aber muß man sich den Wein in den Bart gießen, nur um die neue Sitte mitmachen zu können. Eine komische Welt und eine lächerliche Sitte.

KAMMERDIENER. Das verstehst du nicht –

IWÁNUSCHKA. Aber Vater, hörst du denn nicht!

KAMMERDIENER. Hörst du denn nicht! ich höre ja. Was willst du? ich habe keine Zeit.

IWÁNUSCHKA. Sieh doch nur! was machen die da? warum hängen die schwarzen Tücher da auf dem Gerüst?[355]

KAMMERDIENER. Fort! fort mit dir! das ist nichts für dich! Was hast du hier am Fenster zu suchen?

IWÁNUSCHKA. Da wird wohl ein Pope kommen und predigen?

KAMMERDIENER. Her zu mir, Schlingel, soll ich dich bei den Ohren nehmen?

IWÁNUSCHKA. Warum steht denn ein Block da wie beim Metzger?

KAMMERDIENER. Kälber zu schlachten, Himmel und Erde, und so weiter! willst du wohl herkommen! da stell dich her, da hast du ein Tuch, kannst mithelfen, Gläser und Teller abwischen, daß mir kein Stäubchen ... holla!

1. DIENER. Schon gut, schon gut. Der Umstand, hol's der Teufel!

3. DIENER am Fenster. Seht, seht, seht!

1. DIENER. Ein Wagen!

3. DIENER. Seht doch, seht!

KAMMERDIENER. Ihr Tröpfe, habt ihr noch keinen Wagen gesehn?

3. DIENER. Man hat doch gesagt, er wäre tot?

2. DIENER. Nun steigt er aus dem Wagen.

KAMMERDIENER. Wenn er noch aus dem Wagen steigen kann – wer ist's?

2. DIENER. Schau selbst nach, was fragst du!

IWÁNUSCHKA schreit. Der Zaréwitsch ist's, der Zaréwitsch! mit einer wunderschönen Dame!

KAMMERDIENER. Bengel, was weißt denn du von wunderschönen Damen!

3. DIENER. Da werden sie wohl gar den Zaréwitsch – da draußen – er pfeift:

IWÁNUSCHKA. Was sagst du, werden sie –?

3. DIENER. Ich sage, sie werden – pfeift.

IWÁNUSCHKA. Was? wie?

KAMMERDIENER. Narr, das da draußen ist für die Bojaren – Bengel, mach dich fort, das ist nichts für dich, fort, fort, alle fort – sie kommen gleich und nichts ist fertig –

1. DIENER. Alles ist fertig, schrei du nur.


Alexéj und Afróssja treten ein. Alexéj in derselben schwarzen Tracht, Afróssja modisch gekleidet. Der Kammerdiener verläßt mit allen Dienern den Saal. Iwánuschka ist stehen geblieben und starrt den Prinzen mit offenem Munde an.


ALEXÉJ ihn bemerkend, zerstreut, fast unfreundlich.[356]

Was willst du, Kind? geh fort, laß uns allein.


Iwánuschka erschrickt und läuft hinter den Dienern her. Afróssja hat sich in einen Sessel sinken lassen,

Alexéj steht nicht weit von ihr.


ALEXÉJ.

Du –

AFRÓSSJA.

Sag –

ALEXÉJ.

Ich weiß nicht –

AFRÓSSJA.

Weißt nicht mehr –?

ALEXÉJ.

Bei Gott,

Was auf dem Platze steht – mich dünkt, man kann es

Von diesem Fenster sehn – ich seh's –

AFRÓSSJA.

Der Block –

ALEXÉJ.

– ist grade solch ein Ding, das die Gedanken

Auslöschen kann im Hirn – was sagst du?

AFRÓSSJA.

Nichts.

Was kann ich sagen!

ALEXÉJ.

Sag – ob du mich liebst.

AFRÓSSJA.

Ach, Alexéj, dich lieb ich!

ALEXÉJ.

Liebst mich nicht,

Afróssja, liebst mich nicht.

AFRÓSSJA.

Komm, Alexéj,

Komm her zu mir.

ALEXÉJ.

Ich sag dir's und lache,

Da ist es nicht so schlimm. Ich bin zufrieden,

Läßt du es dir gefallen, daß ich dich

In mein Gefühl wie in ein Tuch von Feuer

Von Kopf zu Füßen wickle, läßt es dir

Gefallen froh und kühl, von mir allein,

Das muß mir denn genügen. Und es ist

Genug – wie sehr, ich kann's nicht sagen. Freilich,

Das Untertauchen hast du nicht gelernt,

Du schwimmst im Licht, es zieht dich nie hinab,

Der Schwindel, der verderbliche, des Traums,

Greift nie hinauf zu dir und lockt dich nicht

Und zwingt dich nicht – das hat mir vielen Schlaf

Gekostet – früher – heute liegt ein dunkler

Und süßer Reiz darin: er macht es wohl

Daß keine Sattheit meinen Hunger stillt

Und nach der seligsten Erfüllung immer

Mir noch ein Wunsch und eine Frage bleibt.

AFRÓSSJA.

Still, still, das ist nicht wahr. Du liebst mich schlecht,[357]

Und alles ist nicht wahr. Sonst tätest du,

Um was ich dich den ganzen Morgen schon

Gebeten – wie gebeten!

ALEXÉJ.

Nichts davon!

Davon nichts mehr!

AFRÓSSJA.

Es ist ja nur ein Wort.

Du sagst ein kleines Wort, dann hast du mich

Dein ganzes Leben lang – ein kleines Wort,

Sie wollen's hören, an das eine Wort

Hängt sich ihr Eigensinn, du nickst nur: ja –

Wenn sie dich fragen –

ALEXÉJ.

Quäl mich nicht, ich kann

Das nicht – es ist Verrat – er stand vor mir,

Den Tod im Auge, und da soll mein Wort

Die Mutter ihm ... er tötet sie – und ich

Muß leben, so gezeichnet! lieber sterb ich

Und sehe dich nicht mehr.

AFRÓSSJA.

Vergißt du so –?

ALEXÉJ.

Das nicht! weißt du das nicht? kannst du denn nicht

Verstehn, verstehn, verstehn, daß ich zu Boden

Gleich fallen möchte und die Nägel tief

Eingraben in das Holz, das rissige,

Und schreien bis ich sterbe! – weil man schon

Für mich so etwas baut wie das da draußen,

Ein solches Ding, das draußen irgendwo

Mit schwarzen Flügeln steht – und weil mein Herz

Mich treibt, vor diesem Vater der mich haßt,

Den letzten Trotz zu wagen – weil ich lieber

Als Schuft mit dir im schmutzigen Winkel lebte

Als daß ich kämpft und stürbe wie ein Held –

Und weil ich dennoch muß – und nichts ringsum,

Nichts andres sehe – denn die Rettung kommt

Nie, nie, wenn nicht von ihm.


Der Kammerdiener öffnet plötzlich beide Türflügel, Diener treten ein.


KAMMERDIENER.

Die Majestät des Zaren.


Ein Trompetenstoß, dann Musik, Costa kommt, Flöte blasend. Peter tritt auf, Katharina führend, hinter ihnen paarweise mit Damen: Gordon, Tolstoí, Ménschikof, Mons, Edelleute, in französischer Hoftracht. Alle stellen sich um den Tisch herum, jeder vor seinen Platz.

Costa setzt sich auf die Lehne eines Sessels links im Saal, die Flöte in der Hand.
[358]

3. Akt

TOLSTOÍ.

Im Namen meines Herrn kund und zu wissen:

Der Zar ist nicht zu Haus, ich seh ihn nicht,

Ich hör ihn nicht, ich weiß nicht was er tut,

Kurz, er ist nicht vorhanden, Gott sei Dank ...


Gelächter.


Der Zar ist fort, der Bruder Peter lebe!

ALLE.

Erlebe!

GORDON.

Dankt Ihr nicht?

PETER auffahrend.

Recht gern, recht gern –

Der Bruder Peter trinkt und dankt!


Tusch. Man setzt sich. Alexéj trinkt hastig. Afróssja versucht ihn zurückzuhalten. Peter steht auf, gibt Alexéj einen Wink, kommt nach vorn. Alexéj tritt zu ihm. Die Gesellschaft außer Afróssja scheint die beiden nicht zu beachten, das Gespräch am Tisch dauert fort.


PETER.

Nun widert mich die Posse. Willst du nicht

Ein Ende machen, Alexéj? ich frage,

Du sagst ein Wort und dieser ganze Spuk

Stirbt hin, der Nacht Gebilde, das die Sonne

Nicht leiden will.

ALEXÉJ.

Du bietest mir das Leben.

Gib's, wenn du kannst. Nur nicht als ein Geschenk.

Nur nicht als Lohn – was willst du?

PETER.

Hab Geduld.

ALEXÉJ.

Ich höre.

PETER.

Warte noch. Begreifst du nicht

Daß ich zu sprechen zögre?[359]

ALEXÉJ.

Nein, ich nicht,

Es ist nicht deine Weise. Sprich.

PETER.

Du willst

Mich heute nicht erfassen und es wäre

So nötig heut wie nie. Bemühe dich.

ALEXÉJ.

Bemühen soll ich mich – und was tust du?

PETER.

Du siehst nicht was ich tue. Nun, es sei,

Ich frage: eine seltne Beute brachte

Der Posten auf am Tor – ein Wagen war's

Und eine Frau darin – weißt du davon?

ALEXÉJ unbeweglich.

Ich weiß von nichts.

PETER.

Der Name ward ermittelt

Und alles andre: Schwester Helena –

Vor Zeiten meine Frau – und Herrscherin –

Und deine Mutter – hatte großen Anteil

An dem was hier geschah – weißt du davon?

ALEXÉJ.

Ich! – nein.

PETER leidenschaftlich.

Weißt du davon? zum letzten Mal!

Sag, Alexéj, daß du es weißt! sag's mir!

Wer dürfte schweigen, so befragt! sag's mir!

Ich muß es wissen, Alexéj –

ALEXÉJ einen Augenblick verwirrt, sieht ihn an, dann hart.

Ich weiß

Und sage nichts.

PETER fast taumelnd.

Das Ende – du – ah du –


Costa bläst plötzlich einen starken, sonderbar kläglichen Flötenton. Peter wendet sich schroff zur Seite.


PETER.

Tolstoí, zu mir.


Tolstoí tritt rasch zu ihm.


Jetzt gib dein letztes Mittel,

Schaff mir die Wahrheit.

TOLSTOÍ.

Herr, in Petersburg.

PETER.

So sei es. Nun genug.

TOLSTOÍ.

Die Abgesandten

Die für den Prinzen, Herr, zu bitten kamen,

Die von den Städten, Herr –

PETER.

Nach Petersburg!

Jetzt kann ich sie nicht brauchen.


Er geht mit Tolstoí nach rückwärts.


AFRÓSSJA.

Komm doch nur,

So komm doch, Alexéj.


[360] Sie ist zu ihm getreten und zieht ihn mit sich fort zum Tisch, Alexéj folgt willenlos.


PETER lärmend.

Wer gibt ein Stück

Das uns erheitert? Costa, du? Tolstoí?

Dort unser Kammerherr? he, junger Freund,

Ein Liebeslied auf deines Herzens Dame –

Wer ist die Schöne?

MONS stotternd.

Ich – ich kann nicht –

PETER.

Singe.


Katharina spricht krampfhaft mit ihrem Nachbar. Erzwungenes Lachen. Mons steht da, rot und verlegen.


Du willst sie uns nicht nennen? gut, man weiß

Geheimnisse zu ehren – Costa!

wollt ihr

Ein Lied vom Wein, ihr Herrn? ein Liebeslied,

Ihr Damen, sprecht! ein Schäferlied?

COSTA.

Was soll

Es sein?

PETER.

Sing was du willst – nur fange an.


Costa hebt die Flöte. Peter fährt plötzlich auf und lauscht. Ein Glocke fällt ein mit schrillen und dünnen Klängen.


MÉNSCHIKOF schreit.

Das Glöckchen ist's für die Bojaren! rasch!


Er läuft zum Fenster hin, viele springen auf und drängen ihm nach. Alexéj läßt seinen Becher fallen, nimmt einen anderen und trinkt.


AFRÓSSJA.

Nicht! nicht! was tust du!

ALEXÉJ laut, mit schwerer Zunge.

Liebste, was ich kann.

Die bluten sich zu Tod – und ich darf trinken.

Ich gieße Wein auf meinen Ekel, der

Verkriecht sich – und ich finde dieses Fest

Erträglich – meinst du nicht? – erträglich –

AFRÓSSJA.

Still!

Denk nicht daran!

COSTA.

Prinz, Euer Vater sieht

Euch an, geht doch zu ihm. So geht doch nur.

ALEXÉJ.

Wer etwas von mir will, der komme selbst.


Kirchenglocken setzen ein, eine Stimme sagt laut Gebete her, dazwischen Gesang.


MÉNSCHIKOF.

Das Zeichen! da! das Zeichen! und nun fällt

Das erste Haupt –


[361] Alexéj steht zitternd da, wagt nicht ans Fenster zu treten. Das Gespräch verstummt, alle blicken hinaus.


PETER.

Und willst du, Alexéj,

Des Todes Handwerk nicht zum ersten Mal

Aus Neugier dir besehn? du hast es sonst

Vermieden, wie mir scheint, ich traf dich noch

In keiner Schlacht – sieh hin.

ALEXÉJ schwer.

In keiner Schlacht –

Ich glaub's – warum auch sollt ich – Schlacht ist Unsinn –

Der Tod ist Unsinn – auch der Lorbeer – vieles

Und vieles noch dazu – es kostet mich

Nicht viel, es anzusehn – ich gehe hin,

Zehn Schritte, und zurück – marsch, Alexéj!


Er geht langsam mit unsicheren Schritten bis zum Fenster, den Becher in der Hand, sieht hinaus. Dann dreht er sich um und geht ebenso zurück, im Vorübergehen einen scheuen Blick auf Peter werfend. Er setzt sich, knickt dabei zusammen und fällt mit Kopf und Armen schwer vornüber auf die Tischplatte. Das Geläut hat aufgehört.


PETER.

Gordon, wie faß ich nun den starren Trotz.

Zu schwach, das Gräßliche zu sehn! und stark,

Ja, stark genug, es zu ertragen? alles,

Nur nicht das eine, nicht das leichteste,

Was ihm sich in die Hände spielt von selbst,

Er bringt's nicht über sich. Was tun?

MÉNSCHIKOF.

Der Vierte!

PETER wendet sich jäh zur Gruppe am Fenster.

Was starrt ihr da! was ist da viel zu sehn!

Ein Kopf, der fällt, und Blut, das fließt, nichts mehr!

Die Mahlzeit ist gestört – zurück vom Fenster!

Der Costa singt ein Lied –

ALEXÉJ auffahrend.

Was soll der Narr!

Ich bin ein Prinz, ich hab den Vorrang, ich.

Was Costa kann, das kann ich auch, nur schöner,

Viel schöner, hört mir zu!

AFRÓSSJA.

Wie sprichst du doch –

ALEXÉJ.

Ich will's! laß mich! was seht ihr mich so an!

Ihr glaubt, es ist der Wein? und war's der Wein –

PETER.

Fort – fort mit ihm – zu Bett!

ALEXÉJ.

Du brächtest mich

In solch ein Bett darin man schläft und schläft

Und nie –[362]

TOLSTOÍ.

Hört nicht auf ihn!

MÉNSCHIKOF.

Costa, dein Lied!

ALEXÉJ.

Ihr wißt es alle, daß ich sterben soll,

Auch so wie die, die Stirne auf dem Block,

Das Letzte, was ich weiß, Geruch von Blut

Und feuchtem Holz! das wißt ihr doch und lacht

Und trinkt mir zu, weil niemand euch bedroht,

Und fürchtet nichts. Ich aber bin ein Prinz

Und muß das kommen sehn, wovor mir graut,

So wie ein Zwerg im Nebel auf sich zu

Den Riesen schreiten sieht, den, den da drüben,

Der über'n Becher zornig nach mir schielt –

Da ist er ja – hier mitten unter uns –

Er weiß noch nicht, wie er sich fassen soll

Und trägt doch – seht ihr's nicht? – trägt meinen Tod

Schon in der Tasche!


Alle springen auf, großer Lärm, Verwirrung. Peter ist in die Höhe gefahren, will auf Alexéj zu, Katharina und Gordon halten ihn zurück.


PETER.

Schweig!

TOLSTOÍ zu Alexéj.

Besinnt Euch doch –

Was tut Ihr!

AFRÓSSJA.

Komm – komm fort – wenn du mich liebst –

ALEXÉJ.

Ich liebe nur mich selbst, jetzt nur mich selbst,

Weil ich doch leben möchte. O das Sterben

Ist nicht so schlimm, schlimm ist der Tod. O – nichts,

Nichts kommt dem gleich: im Sommer sich den Trunk

Am Brunnen selbst zu schöpfen – und im Schatten

Zu liegen, wenn zu stark der Mittag brennt –

Den Schnee zu fühlen und – ich zähl's nicht auf –

Es ist so viel – es ist –


Er schwankt. Costa und Afróssja springen ihm bei, er wehrt sie von sich ab und geht halb taumelnd einige Schritte vor.


laß mich doch leben –

Ich will mich an dich hängen, will dich halten

Bis du das Ja mir zunickst –

PETER weicht zurück.

Schafft ihn fort!

ALEXÉJ.

Laßt mich zu ihm –

TOLSTOÍ.

Ihr sollt nicht – dürft nicht –

ALEXÉJ.

Laßt –

Laßt mich zu ihm –

AFRÓSSJA.

Gott helfe uns![363]

ALEXÉJ schreit auf wie ein gequältes Tier.

Fort, Hunde!


Er umklammert Peter, der entsetzt zurückgewichen ist, mit beiden Armen. Das Geläut der Glocken beginnt wieder.


Nicht wahr, das tust du nicht? das kannst du nicht?

Sag, daß ich leben werde! was Bedingung!

Du gibst das Leben, weil es mir gehört –

Das darf mir keiner nehmen, Gott, verstehst du,

Gott gab es mir durch dich, er mag es nehmen,

Du nicht! das kannst du nicht!

PETER.

Gordon, heran,

Tolstoí, zu mir, so nehmt mir das vom Hals –

ALEXÉJ.

Ich laß dich nicht –

PETER.

Wahnsinnig bist du – da –


Er stößt ihn heftig von sich und verläßt rasch den Saal. Die Gesellschaft drängt ihm nach, der Aufbruch gleicht einer Flucht.


ALEXÉJ schrill.

Du – du –


Er taumelt, wirft die Arme empor, fällt hin, bleibt liegen. Afróssja und Costa beugen sich zu ihm nieder.


COSTA.

Nur fort – nur fort – ich helfe dir.

Quelle:
Henry von Heiseler: Sämtliche Werke. Heidelberg 1965, S. 351-364.
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