Es werde gar!

[312] Die Sonne verschüttet ihr goldenes Haar,

Das Auge des Himmels leuchtet so klar.


Nur hier auf der Erde noch raucht es von Blut,

Da rollen die Schwaden von Gift und von Wut.


Da brodeln die Dämpfe von Haß und von Gier,

Als wäre der Mensch das verworfenste Tier.


Die Tiere sind schuldlos nach ewigem Wort,

Die Menschen, sie wußten – und wählten den Mord.


O ruchloser Weltkrieg! Du Wirbel und Meer

Von wilder Verzweiflung, dein Zorn traf uns schwer.


Wir triefen von Not, sind in Elend ersäuft,

Das Maß unsrer Sünden ist voll und gehäuft.


Wes Volk und wes Art, wes Sprache, wes Land –

Gehorcht dem Gewissen und löschet den Brand!


Vom Auge die Binde, herab vom Gesicht

Die Maske der Lüge, die Wahrheit ans Licht!


Mitschuldig wir alle! Wer wähnte sich rein!

Wir müssen erwachen und »Weh der Welt!« schrein.
[313]

Weh, wehe dem Krieg! Was ihn mästet und nährt!

Schon hat er zum dritten sich grausig gejährt.


Schon hat er gejährt sich zum drittenmal

Mit Marter und Schande, mit Frevel und Qual.


Was edel und weise, wird roh und verdummt,

Das Glück geht zugrunde, die Größe verstummt.


Es hungern und dürsten die Völker nach Brot

Und Wein der Erlösung vom geistigen Tod.


Die Seele der Menschheit, sie zuckt und sie stöhnt,

Und sie zittert nach Frieden, der heilt und versöhnt.


Rings strecken sich Hände. Zur Sonne dringt klar:

Nun werde der Teig der Gerechtigkeit gar!

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 312-314.
Lizenz:
Kategorien: