Trauung

[197] Ein weißer Spitzenschleier.

Ein schwarzer Schwalbenfrack.

Fabrikbesitzer Meyer

Und »Jungfrau« Siegellack.


Gesang und Orgeltöne,

Goldprunkender Altar.

Mehr oder weniger schöne

Brautjungfern hinterm Paar.


Der würdige Schwarzrock predigt,

Er predigt lind und lau,

Der Heilsakt wird erledigt,

Herr Meyer hat 'ne Frau.


Von Siegelläckchens Lippen

Ätherisch zittert's: »Ja!«

Dann muß sie Medoc nippen,

Sie ist der Ohnmacht nah.


Sie stehen auf vom Kissen

Und reichen sich den Arm,

Kirchtüren aufgerissen,

Formiert der Hochzeitsschwarm.
[198]

Die nassen Taschentücher

Sind wieder beigesteckt;

Der Mann der Gottesbücher

Spitzt sich den Mund auf Sekt.


Brautmarsch von Wagner. Paarig

Hinaus und ins Kupee.

Ein Dichter lockenhaarig

Schleicht seitwärts seelenweh.


Er hat »Sie« angedichtet,

Er hat »Sie« angetönt,

Sein Glauben ist vernichtet,

Sein Ideal verhöhnt.


»Wir wollen Freunde bleiben« –

Da steht's mit Veilchenduft –

»Jedoch uns nicht mehr schreiben,

Man lebt nicht von der Luft.«


O weißer Spitzenschleier!

O schwarzer Schwalbenfrack!

Frau Fabrikantin Meyer,

Geborne Siegellack.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 197-199.
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