Hymnus

[44] Solang meine Seele noch leuchtet und blüht,

Das wonnige Leben, nicht werd' ich es müd!

Ich lausche den Rhythmen der rauschenden Welt,

Die klangvoll am ewigen Strande zerschellt.

Ich weide das Aug' am Geschmeide der Zeit,

Das funkelt in dunkler Unendlichkeit,

Ich atme der Freiheit Sturmwind,

Der die Knechtschaft schüttert zugrund,

Ich küsse der Wonne Wangen

Mit zitternden Lippen wund.


Solange der Geist mir noch fruchtet und trägt,

Der Baum meiner Freude, nicht sei er zersägt!

Ich sammle der Denker schwergoldene Saat

Und mahle den Weizen mit plätscherndem Rad.

Ich küre die schönsten Gedanken zum Tanz

Und winde der Wahrheit den schwellenden Kranz.

Ich grüße das werdende Gute

Mit hocherhobener Stirn,

Ich feire der reinen Erkenntnis

Hellglühende Rosenfirn.


Solang meine Seele noch leuchtet und blüht,

Solange der Geist mir noch fruchtet und trägt,

Das wonnige Leben, nicht werd' ich es müd,

Der Baum meiner Freude, nicht sei er zersägt!

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 44-45.
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