Promenade

[25] In dieses grünen Parks Revieren

Fließt milder Hauch von Baum zu Baum,

Die jungen Mädchen gehn spazieren,

Das Leben ist ein Liebestraum.[25]

An Tante Marlitt just ergötzt sich

Die breite Bonne neben mir,

Ein Greis in braunem Schurzfell setzt sich:

Evviva Wurst und Lagerbier!


Mit sorgenhaft vergrilltem Blicke

Spazierstockt ein Rentier daher:

»Auf nichts Verlaß! Die Welt voll Tücke!

Die Kurse sinken immer mehr.«

Ein Dutzend Kinder schlingt den Reigen,

Der Springbrunn silberne Funken speit,

Die Strahlen sprudeln, springen, steigen –

O wunderschöne Jugendzeit.


Am Brückenpfeiler dort zerschellen

Die Fluten, gurgelnd rauscht es hohl,

Ein Weib starrt trostlos in die Wellen

Und seufzt: »Wie wär' mir drunten wohl!«

Sie flieht den Strom mit leisem Stöhnen,

Frech gafft ein Geck ihr ins Gesicht,

Die Eisenhämmer drüben dröhnen,

Der Qualm verschlingt das Sonnenlicht.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 25-26.
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