Young über Gedanken und Rede

[71] Fehlt Dir ein Freund zum Ausfluß Deines Geistes,

So wird Dein Innres Sumpf. Verschlossene

Gedanken wollen Luft oder verliegen

Wie Waarenlager, denen Sonne fehlt.

Wär' der Gedanke Alles, hätten wir

Die süße Rede nicht, die Rede, sie,

Den Leiter und den Prüfstein der Gedanken –

Was in dem Schachte liegt, kann Gold und Kies sein;

Ans Licht gefördert und ins Wort geprägt,

Erscheinet des Gedanken wahrer Werth. – –


– Je mitgetheilter, desto eigner sind

Gedanken unser. Lehrend lernen wir;

Geboren, werden des Verstandes Kinder

Die unsern; stumm, vergäße man sie.

Rede,

Sie facht des Geistes Feuer an, sie mustert

Die Rüstungskammer, deren Waffen sie

Zum Schmuck poliret, zum Gebrauche wetzt.

O, wie viel' ihrer liegen, bis ans Heft

Versteckt in Scheiden der Gelehrsamkeit

Ehrwürd'ger Bände eingerostet! Sie,

Geschärft zur Schneide, hätten weit umher

Geblitzt, und wären sie der Mutter Zunge

Auch nur mit halbem Erbtheil Kinder worden.


Gedankenwechsel ist's, was gleich dem Stoß

Und Gegenstoß kämpfender Wogen bricht,

Bricht den gelehrten Schaum und hellet auf

Des Tiefstudirers stehnden Pfuhl. –


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 71.
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