Reuchlin

[386] 1777.


Daß er die Bande brach und aus den kalten Schatten

Der Finsterniß, ein Morgenstern,

Hervorging, Allen, die in Nacht geseufzet hatten,

Ein süßes Licht vom Herrn:


Mein Geist, deß freue Dich! und freue sich, wer liebet

Der hohen Mittagssonne Pracht,

Freu' sich des Morgensterns! und wer ihn trübet,

Weich' in die alte Nacht!


Gott kam, und Wolken unter seinen Füßen

Zerrannen, weite Sündfluth goß

Hinweg den alten Staub, und als die Wolken rissen

Und weite Sündfluth floß –


Noch dämmert's tief. Der Griechen schöne Pfade,

So hell, so eben, lagen da

Vergangen. Alles schaut' auf düstre, krumme Pfade,

Dem düstern Orkus nah.


An Licht, an freiem Blick gebrach's! Im Staube

Lag noch das heil'ge Morgenland,

Jehovah's altes Wort, der Wahrheit Quell, zum Raube

Des Unsinns, unerkannt


Und unverstanden. Da ging auf aus Hainen,

O Suevien, Dein Morgenstern!

Und leuchtete so schön, so thauicht, wie im reinen

Urglanz der Welt, von fern.


Ein Vater neuer Zeit, die ihm an Seele

Und Mund und Antlitz, an der Hand

Geweihten Zügen hing, er hob sie aus der Höhle

Dort in sein Morgenland.


Wohl ist mir's, wohl an Dir, o Vater! führest

So fern uns und so milde fort

In innres, tiefes Gottgeheimniß und regierest

Uns mit dem Wunderwort.
[387]

Wolauf, wolauf, mein Lied! Erwach und schalle

Dem Sieger seiner Sieger, ihm,

Der mit Verlassnen auszog und im Wunderhalle

Vollendete, Reuchlin!


Sie kamen (Höllenfackeln in den Händen),

Der unterdrückten Jüdenschaar

Die Bücher wegzuglühn und mit den Höllenbränden

Zu prangen vorm Altar.


Und Kaisers Wort ging aus. Die alten Schatten

In weiser Jüden Heiligthum

Erbebten dem Gericht: »Wer wird uns, wer erstatten,

Wer retten unsern Ruhm?«


Da zog er aus und stritt und drang zum Kaiser.

Und Wespen-, Schlangen-Ungestüm

Lag auf ihm. Er erstand's! und sieget' einmal. Kaiser,

Du kannst nicht helfen ihm!


Der Wespenschwarm erbraust. Die Schaar der Schlangen

Verstopft ihr Ohr dem Zauberwort

Des Rufers. Sickingen, Du rufst umsonst! Sie hangen

Nur an dem Edeln dort,


Anspeien ihn mit Giftstrom; all sein Leben

Erkranket, siechet fort und fort.

Erstirbt er? Nein! auf ihm liegt Siegel Gottes! Beben

Geht aus vom Wunderwort.


Er ruft nach Rom zum dritten Mal. Sie blitzen

Voran und werfen siegerisch

Schon ihre Kronen auf. »Wer soll in Rom Dich schützen?«

Und züngeln, stechen frisch.


Und nun genug! Er steht! die Schlangen funkeln

Auf seinem Haupte, Kronen nun!

Neu glänzt der Morgenstern nach schwerem Kampf im Dunkeln

Und ruht und kann nun ruhn.


Sein sind die Edeln. Alle Edeln waren

Mit ihm im Kampf geheim und treu.

Wolan, wolan, mein Lied! nenn ihre treuen Schaaren,

Daß rings ihr Name sei!
[388]

Held Hutten ging voran und blitzt' im Feuer

Und geht voran itzt und singt froh:

»Mein Deutschland! Kennst Du Dich, sind Dir die Deinen theuer,

So singe mit, Jo!«


Und Sickingen und Busch und Bilibald und Alle,

Benignus und Graf Nuenar,

Selbst Maximilian frohlockt zum Jubelschalle.

Auch Du bist in der Schaar,


Erasmus? und vergöttest itzt? Und bliebest

So still einst, überlegtest Dir!

Und sondertest Dich aus, weil Du den Kampf nicht liebest,

Und warst nicht mit uns hier.


Und liebst nicht Jüdengrillen, bliebst, zu lauschen

Dem Blöken Deiner Heerde zart

Und wie? nun bebst Du nicht und kommst, da Jubelrauschen

Es allweg offenbart.


Sieh auf! blick auf! dort geben andre Seelen

Ihr Leben reichlich in den Tod

Und stehn auf Feldeshöh und blicken nicht aus Höhlen

Ins stille Morgenroth.


Die Fürsten sind im Kampf. Da kommt und segnet

Den Greis Reuchlin, den Gottesmann,

Der's aushielt, Luther, und geht fürder und begegnet

(Wer, der ihm ob sein kann?)


Noch tiefrer Mitternacht. Und an ihm glänzet

Sein Streitgenoß, ein Zwillingsstern,

Melanchthon, den Reuchlin ihm gab. Zwar Castor grenzet

An Halbgott Pollux fern


Und sterblich nur; doch Brüder, theilen Beide

Sich Tag um Tag nun Ewigkeit;

Und alle Sterne sind in lauten Kampfes Freude

Und siegen weit und breit;


Und Himmelsbäche fließen, wälzen prächtig,

Von Weisheit stark, die Leichen fort.

Tritt auf die Starken, Geist des Liedes, die so mächtig

Da liegen hie und dort!
[389]

Die Rosse strauchelten am Siegeswagen

Und wandten sich; sie jagt die Schaar,

Sie jagt sich selbst. Ihm Fluch, der konnte für uns zagen,

Mit Gott und uns nicht war!


Und Heil ihm, der voranging, fremder Sache

Erkämpfend schon all unsern Kampf!

Sie gierten Jüdengold, die Bücherbrenner. Rache

Dem Thier in Goldesdampf!


Hoogstraten, Rache Dir! Du gierst? Zum Lohne

Wird Dir statt Goldes Blei; das faßt

Des frömmsten Mannes Hand und drückt's Dir auf zur Krone;

Da krümmt' er sich, erblaßt,


Der Ketzerheld, zu Boden. »Wie? sein Wagen

Verzeucht noch stets? Es weilet lang'

In Rom sein Siegesräderrasseln!« So mit Zagen

Sah Mutter Köln und bang


Nach ihrem Sohn zum Fenster. »Er theilt Beute,«

Sprach Vater Ortuin; »den Raub

Der Jüden bringt er uns und unsern Dirnen heute

Und trat sie längst in Staub!«


So müssen sie vergehn, die Wahrheitwonne

Vertauschen mit der Lüge Nacht;

Und wer Dich liebet, Herr, sei, wie die helle Sonne

Aufgeht in ihrer Macht!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 386-390.
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