Unsterblichkeit

[288] Ja, Freund, ich weiß Unsterblichkeit der Seele!

Was ist's, daß ew'ger Tod Dich ewig quäle?

Komm! sieh! der Hoffnungszweig, den ich hier habe,

Er wuchs am Grabe!


Da sieh sie wesen, sie, der Morgenrosen

Die schönste Ros'! und ach, im Liebekosen

Des Buhlerwests kam Hauch aus Todesseen,

Sie wegzuwehen!


Das Rosenmädchen, Kind der Unschuldsaue,

Schön ausgeschmückte Braut, im Perlenthaue

Schön angelacht von falscher Morgenröthe,

Daß sie sie tödte –


Ist diese Handvoll Erde nun, o Knabe

Der Hoffnung! Und auch Du sinkst so zu Grabe

Mit Blüth' und Frucht und edlen Muths Geberde,

Wirst Handvoll Erde!


Und bist denn, Handvoll Erde, Du das Wesen,

Was der Allweise seiner Welt erlesen?

In Dich sind Herz und Geist, und Göttergaben

In Dich begraben!


Die Thränen all, aus edlem Muth vergossen,

Die Thränen all, der Tugend hingeflossen,

Die Thränen, köstlicher als Perl' und Sonnen,

In Dich zerronnen!


Zerronnen in Dich alle Göttertriebe,

Wunsch der Unsterblichkeit, der Wahrheit Liebe,

Gedanke Gottes! ach, die schöne Seele

In Mörderhöhle


Dahingemordet! Staub, o Du der Wesen

Verächtlichstes, zu Menschengraun erlesen,

So tret' ich Dich, so streu' ich Dich in Lüfte,

In Höhlengrüfte,


Streu' Dich, ein frommer Menschenfeind, zum Himmel

Sei Pest und würg auf einmal das Getümmel

Der feigen Elenden, die Gott anbeten –

Sich nicht zu tödten,
[289]

Die Geist und Nacken ehrerbietig bücken,

Vom Fuß des Wüthrichs frömmigst zu zerknicken,

Mit Last der Fesseln sich die Rechte binden,

Nicht ihn zu finden,


Womit ich Gott und Machttyrannen höhne,

Den Dolch! – Und Sklave, feiler Weichling, fröhne!

Mein Dolch, wie Catons, gräbt im Heldenherzen

Das Grab der Schmerzen


Und blinkt, wie Catons, rächend aus den Wunden:

»Seht, Trugesgötter, seht Euch überwunden!«

So soll ringsum wie dieser Handkloß Erden

Die Erde werden!


So, Du Gespiele meiner Jugend, Sprosse,

So reiß' ich Dich aus Deiner Mutter Schooße.

Du solltest Frühling sehn? solltst auferstehen,

Und ich vergehen?


Vergehe mit! und könnt' ich allen, allen

Welt-, Erden, Sonnen heißen, daß sie fallen,

Daß mit mir, der ich so, so schnöde sterbe,

Das All verderbe,


Das All, wie diese Handvoll Seelenerde,

Des Schicksals Graun, der Götter Abscheu werde!

Daß – kühner Unsinn, nicht des Schicksals Schwestern,

Gott selbst zu lästern!


Nicht Welten, Dich, Dich selbst nur zu verheeren,

Mein Dasein nicht, mein Glück nur abzuschwören,

Nicht Noth, nicht Welt, nicht Seele zu vergüten,

Nein, nur zu wüthen,


Als Bösewicht mit ew'gen Ketten klirren!

Vernunft, welch Höllenwahnsinn konnt' Dich irren?

Wie Furien statt Lorbeern, Dich zu höhnen,

Mit Schlangen krönen!


Nein, ruhe, Handvoll Staub! Der Aethersfunken,

Der Weltengeist, in Deinen Staub versunken,

Ist da, wohin nicht West, nicht Nord verheeret,

Zurückgekehret.


Und Du, o Zweig, sollst aus des Leichnams Erden

Dem Freunde Brautkranz ew'ger Jugend werden![290]

Nein, unser Geist kann nicht, wenn's Welten winken,

In Asche sinken.


Um uns gehn Schatten, Freund! in Schatten wandern

Der Gottheit Kräft' aus einer Welt zur andern!

Knie her in Staub, Den, der nicht kann Dich tödten,

Frei anzubeten!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 288-291.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Aus Den Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit: Nebst Vermischten Gedichten (Hardback) - Common
Aus Den Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit: Nebst Vermischten Gedichten (Paperback) - Common
Gedichte (German Edition)

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Vögel. (Orinthes)

Die Vögel. (Orinthes)

Zwei weise Athener sind die Streitsucht in ihrer Stadt leid und wollen sich von einem Wiedehopf den Weg in die Emigration zu einem friedlichen Ort weisen lassen, doch keiner der Vorschläge findet ihr Gefallen. So entsteht die Idee eines Vogelstaates zwischen der Menschenwelt und dem Reich der Götter. Uraufgeführt während der Dionysien des Jahres 414 v. Chr. gelten »Die Vögel« aufgrund ihrer Geschlossenheit und der konsequenten Konzentration auf das Motiv der Suche nach einer besseren als dieser Welt als das kompositorisch herausragende Werk des attischen Komikers. »Eulen nach Athen tragen« und »Wolkenkuckucksheim« sind heute noch geläufige Redewendungen aus Aristophanes' Vögeln.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon