Die Unbeständigkeit der Welt

[479] Nach Meister Stollen.


Was mag gelieben Dir an der Unstätigkeit?

O meine Seele, prüfe dieser Zeit

Und dieser Welt Bestand!

Wer heut auf guter Fähre fähret,

Ist morgen todt! Hat er kein Vaterland,

Das ewig währet,

O weh, o weh, wozu hat er sein Herz beschweret?


Die Welt, sie baut auf ein gar krankes Eis;

Wenn es die Sonne nun verzehret,

Wo bleibest Du, hast Du kein festes Land,

Das ewig währet?


Die Welt ist einen Augenblick

Vorbei mit ihrer Freude;

Die Sünden sind der Seele Strick,

Zu fesseln ewig sie dem Leide;

Ist Welt und Freude nun vorüber,

Gebundner, armer Geist, was hätt'st Du itzo lieber?


Hilf, o Befreier, Jesu Christ,

Daß sich mein Kummer wende,

O Du, bei dem die Freiheit ist

Und Seligkeit ohn' Ende!

Weit über all mein Lob ist Deiner Güte Werth;

Du hörest gern das Lob, das Deiner Huld begehrt;

Und wer so recht kann loben immerdar,

Herr, Deine Huld und Deine Treu,

Wird lobend von der Welt und ihren Banden frei.


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 479-480.
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