Weihnachtsgesang

[458] Die ganze Menschheit freue sich!

Du, der Mensch bist, freue Dich!

Geboren ist der gute Hirt,

Der alle Völker weiden wird

In Treu und Wahrheit.


Mit göttlich großem Königssinn

Giebt er sich zum Opfer hin;

Er nimmt auf sich die Last der Zeit;

Verachtung, Schmach, Undankbarkeit

Erwarten seiner.


Doch Gottesgeist belebet ihn!

Jedem Frevler wird er kühn

Die Larv' entreißen; suchen wird

Er das Verlorne, was verirrt

Ist, wiederbringen.


Sein Zeichen ist die Dürftigkeit,

Menschenhuld sein Ehrenkleid,

Erbarmen ziehet ihn heran;

Der Völker Heil ist seine Bahn

Zum Himmelsfrieden.
[458]

Drum singen froh willkommend ihm

Cherubim und Seraphim

Ihr »Ehre sei Gott in der Höh

Und Fried' auf Erden! Leid und Weh

Wird Wohlgefallen!«


Wir stimmen der Willkommung ein:

Unser Hirte soll er sein

In Wahrheit und Gerechtigkeit,

In Unschuld, Lieb' und Freundlichkeit

Und Menschengüte.


Wer unser arm Geschlecht entehrt,

Ist nicht dieses Königs werth;

Wer Menschen hasset und betrübt,

Nicht statt des Bösen Gutes giebt,

Ist sein nicht würdig.


O stimmt der Engel Glückwunsch bei:

»Fried' auf Erden! Friede sei

Den Menschen!« So ist Gram und Leid

Verschwunden. Unser Herz erfreut

Sein Wohlgefallen.


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 458-459.
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