Die Gärten der Hesperiden

[224] Eine Unterredung.


Als Adanson voreinst am Senegal

In einem Walde sich verirrte, traf

Ein Tiger auf ihn, sah die nie gesehne

Gestalt des Europäers an und stand.

Der Europäer, schrecklich von der Furcht

Ergriffen, zog das blinkende Metall

Und richtet' es; doch weise schoß er nicht.

Lang' schaut' der Tiger ihn, den Tiger er

Erwartend an; dann riß der Waldbewohner

Hinweg. Der Europäer, von der Furcht

Entlastet, ging auch seines Weges. So,

Doch nicht in gleichem Schrecken, sah ich oft

Den Thieren in das Antlitz, und sie mir.

»Was hast Du,« sprach ich, »mir?« »Was hast Du mir?«

Antwortet' es. »Welch ein Gesetz hat uns

Hieher gebannt? in Körper Dich und mich

Verschleiert?« »Und wer gab,« antwortet' es,

»Der Macht ein Recht, mich zur Beherrschung Dir,

Zum Tode Dir mich hinzugeben? Sieh

Den Pflugstier, ächzend dort in seinem Joch,

Den Postgaul hier in seinem Zuge! Schau

Das Lamm, das heut um Deine Hände spielt

Und morgen Dir zur Speise wird! O, konntest

Auf Deiner Tafel je, Du je ein Haupt

Des Vogels sehn, das Dich an Dich erinnert?«

Der stumme Blick durchdrang mich schaudernd tief.

Amerika, das neuentsprungne Land,

Das Land im Werden, bratet Affen. Einst

Sprang eine Aeffin, als sie ihr geliebtes

Gebratnes Kind, auch in der Schüssel noch,

Erkannte, flugs hinauf, erhascht' es, drückt'

Es an die Brust mit ängst'gem Wehgeschrei

Und ließ den Europäern, die mit ihr

Getändelt hatten, ihren Speisesaal.

»So manches Mitgequälte,« sprach mein Herz,

»Erseufzete zu mir. O Weltengeist,[225]

Bist Du so gütig, wie Du mächtig bist,

Enthülle mir, den Du mitfühlend zwar

Und doch so grausam schufst, erkläre mir

Das Loos der Fühlenden, die durch mich leiden!

Sieh, jene Sonne blickt auf mich und sie

So mild herab, als ob sie Alles ja

Zu gleicher Seligkeit bestrahle. Sieh,

Der Baum, er blüht in seiner Herrlichkeit

So prächtig, bis – mein Stahl ihn fället. Lacht

Die Blume nicht so fröhlich, bis der Zahn

Des sanften Lamms sie mähet, bis die Zunge

Des Stiers sie schneidet? Ja, verfolgen nicht

Geschlechter die Geschlechter? Sieh, der Hecht

Erhascht den Hecht, die Spinne saugt die Spinne –

Und morden Menschen nicht sich selbst? O wir,

Des Weltalls Räuber, Mörder! Mörder wir

Der Unsern, unser selbst! Dazu verliehst,

O Weltengeist, Du uns die Finger, dazu

Vernunft und diese göttliche Gestalt?

Du, frommer Hänfling, singest dort im Nest

Bei Deinen Jungen; fleuch! ich tödte Dich.

Der Weltgeist wollt' es so.« »Das wollt' er nicht!«

Antwortete die Gegend; Echo rief:

»Das wollt', das wollt' er nicht!« und seufzete.

Da stürzt' ein mattgejagtes wundes Reh

Zu meinen Füßen nieder, Zuflucht suchend

In meinem Schooß; es ächzete und starb.

»Hörst Du die Stimmen,« sprach ich, »großer Geist?

Und siehst die Wunden, siehst die Striemen der

Gestalten?« Wie ein Klageflötenton

Ertönete der Hain und ward Posaun-

Und Hörnerklang. Alcides stand vor mir,

Gestützt auf seine Keul', die Löwenhaut

Um seine Schulter; also sprach er mir:

»Und wär' ein wüster Wald die Erde, wäre

Sie, wie sie vor mir war, wo wohntest Du?

Verfolgte Dich der Bär und Wolf, es spränge

Der Tiger Dich und die Hyäne an,

Zahllose Nattern zischten um Dich her,

Zahllose Mücken schwärmten aus dem Pfuhl

Mit scharfem Stachel auf Dich: würdest Du

Die Schöpfung preisen, die das Leben schont?[226]

Darum erwürgt' in meiner Wieg' ich schon

Die Schlangen, tödtete den Löwen und

Die Hyder, Erymanthus' wildes Schwein,

Und reinigte Augias' Stall, den Pfuhl

Der Stymphaliden. Wie der Sturm die Luft,

Der Blitz die Erde segenschwanger macht,

So reiniget der Tod die Schöpfung, er,

Der große Förderer zu jungem Wohl.

Mit Ehren trag' ich Keul' und Pfeil und Bogen.«

Ich sprach zu mir: »Sollt' Alles freilich hier

In eignem Moder sterben, welch ein Pfuhl,

Ein Höllenpfuhl wär' um mich diese Welt!«

Der Baum erkrankete und spräche stumm:

»Ich kann nicht sterben!« er erzeugete

Aus seiner Krankheit Gift und Ungethüm.

Darum erschuf des Menschen Geist und Fleiß

Die blanke Axt; sie haut das Ueberjahrte

Barmherzig weg. Der scharfe Pflug, er rottet

Unkraut und Wurzeln, Dorn und Disteln aus,

Damit die Wüstenei zum Garten werde,

Zum Garten werde, der das Herz erfrischt.

Aus roher Wildheit hob sich Alles einst

Langsam empor, damit durch Menschenfleiß

Ein Tempel Hygiea's, eine Au'

»Des Friedens Alles würd', ein Paradies.«

Verehrend sah den Löwenbändiger

Ich an, der weiter sprach: »Daß, Menschen, Ihr

Mit Tyrannei die Thiere quälet, ist,

Grausame Schwächlinge, nur Eure Schuld,

Die schwer Ihr büßet, wenn mit gleicher Angst

Und größrer Eure feigen Herzen selbst

Geängstet werden. Mitarbeiter sind

Und Diener Euch die Lebenden. Wie ich

Die wilden Stiere, wie den Cerberus

Ich bändigte, wie Ihr auf meinem Wege

Den Wolf zu Eurem treuen Hund erzogt,

Das wilde Roß Euch zum Gefährten, Euch

Zum Waffenbruder machtet, Euer Stolz –

Wie viel, Ihr Menschen, liegt noch vor Euch da,

Es anzubaun! wie viel steht da vor Euch,

Es auszubilden! Traun, Ihr finget kaum

Zu lernen an; ach, Ihr buchstabet noch.«[227]

»O hätten,« sprach ich, »Deine Kräfte wir

Und Deinen Muth!« »Mit Eurer schwachen Hand

Vermögt Ihr nicht den großen Kampf; es muß,

Die ganze Schöpfung muß Euch Diener sein

Und Werkzeug, Feu'r und Wind, Luft, Wasser, Erd'

Und ihr gehärtet Kind, der scharfe Stahl.

Darum erschoß den wilden Adler ich,

Der an Prometheus' Leber fraß, entfesselnd

In ihm Vernunft, Voraussicht, Billigkeit.

Wenn Euer Stahl zu morden aufhört, wenn

Sein friedlich Werk beginnet, räumet er

Die ganze Schöpfung Euch zur Wohnung aus,

Auf tausend Weisen neu geschmückt und freundlich.

Daß Ihr den Elementen trotzet, ist

Nicht Euer größtes Werk; zu ändern sie,

Sie zu gebrauchen, ist das größere.

Schafft um den Boden und des Bodens Frucht

Und pflanzt aus Welt in Welt, von Baum zu Baum

Hinüber, was Euch nützt und Euch erquickt!

Sorgt, daß Ihr Euren Himmel mildert, Euch

Die Welt zu Eurer Wohnung, Euch zum Heil,

Zu Aller Heil die weite Schöpfung macht!

Dies, Menschen, ist Olympia, das ich

Für Euch gestiftet, Euer Kranz. Dazu

Holt' aus Hesperiens Gefilden ich

Für Euch die goldnen Aepfel. Pflanzet sie!

Durch Euch, durch Euch nur blüht Hesperien.«


Die Gottgestalt ging in den Hain zurück,

Und eine Schwalbe flog in meinen Schooß.

»Geh,« sprach ich, sanft sie streichelnd, »baue Dir

Dein Haus, wie ich's den Meinen bauen will!«

Die Taube brachte mir ein Oelblatt; mir

Zu Füßen sank der kranke Leu, ich zog

Den Dorn ihm aus dem Fuß, er folgte mir.

»O!« sprach ich, »Mensch, jetzt leider ein Gequälter,

Ein müssiger und üppiger Tyrann,

Wann wird er, was er kann und sollte, sein?

Der Schöpfung Bildner und Vollender, der

In seiner Hand so Tod als Leben trägt,

Um Leben abzuwägen, auszuspenden

Und reicher zu erneun und herrlicher![228]

Dazu verlieh die große Mutter ihm

Ihr Wohnhaus, zu ersetzen, was gebricht,

Zu ordnen es und zu beseligen.

Sein Werk ist neue Schöpfung, seine Kunst,

Sein Ziel die Bildung edlerer Natur.

Durch ihn, durch ihn nur blüht Hesperien!«


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 224-229.
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