Das Grab

[134] Erdenge zweier Welten, stilles Grab!

Wie schweiget's um Dich her! Diesseit ist Nacht

Und Staub, ein Häufchen todter Asche nur;

Und jenseit kommt kein Laut zu mir herüber,

Kein sel'ger Geist, der diesen Staub besucht,

Kein Traumgesicht. – Nacht ist es um mich. Hoch

Daroben funkeln Sterne. Glänzet Ihr,

Gestirne droben, dem entschwungnen Geist?

Und bricht dem Todten, wie dem Schlummernden,

Ein neuer Morgen an? Was zweifelst Du,

In mir, Unsterblicher, der hier am Rath

Und Werke der Natur schon Antheil nahm?

Er sann, was sie ersonnen, und er traf's,

Aussprechend ihre Regel, ihr Gesetz,

Und bot unausgeschlagen ihr die Hand

Zum edelsten, zu ihrem ew'gen Werk,

Dem Ordnen durch Verstand und Güte. Wenn

Sie fortan Dein zu ihrem Dienst bedarf

(Und sie verschmäht, die reiche Sparerin,

Die nichts verthut und mit dem Mindesten

Das Größeste verrichtet, keine Kraft

Und Uebung), wenn sie fortan Dein bedarf,

So sage willig: »Ich bin da! Und web'

In meinem kleinen Winkel emsig fort

An jenem Schleier der Penelope-

Minerva, der unübersehbar dort

In Millionen Sternen prächtig glänzt.«


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 134-135.
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