Das Mondlicht

[132] Nach dem Englischen.


Des Mondes stiller Schimmer senkt

Auf alle Wesen Ruh;

Dem Müden und Gequälten schließt

Er sanft das Auge zu.


Wie wolkenlos der Himmel lacht

In hellem Silberblau!

Erquickt von ihren Thränen, glänzt

Entschlummert dort die Au.


O Freundin, komm und schau umher

In diesem Gotteslicht!

Wo wohnet Lebensseligkeit?

Wo wohnet sie wol nicht?
[132]

In jenem hellen Freudensaal,

Wo Tanz und Jauchzen tönt?

In dieser dunkeln Zelle hier,

Die alter Epheu krönt?


Ach, von dem Lärm der Eitelkeit

Wird Freude bald verscheucht,

Die auch vorbei das Kloster geht,

Wenn Neid darinnen schleicht.


Ein Licht ist dieser Zauberstrahl,

Ein Licht aus andrer Welt,

Das, wenn die Seele ruhig schweigt,

Erquickend sie erhellt.


Es spricht: »Wie an des Mondes Strahl

Der Farben Pracht erbleicht,

Wie wird es sein vor jenem Licht,

Wo jeder Trug entweicht?«


O wäre, wie jetzt die Natur,

Dann unser Herz in Ruh,

Und unser Auge schlösse sanft

Der Friede Gottes zu!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 132-133.
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