16. Billiges Unglück
Schottisch

[344] Deßgleichen [vgl. zu Nr. 15] p. –


Wem Gott das seltne Glück verlieh,

Sich selbst sein eigner Herr zu seyn;

Und freut sich dieses Glückes nie,

Und will nur in dem falschen Schein

Erhabner Grossen sich erfreun:

Der ist es werth, ihr Knecht zu seyn.


Wer still und glücklich leben kann,

Wenn er ein armes Mädchen freyt;

Und geht des reichen Teufels Bahn

Am Weibe, die mit Zank und Streit

Ihm täglich Sonn' und Mond verleid't:

Ists werth, daß ihn es ewig reut.


Wen die Natur zur Freud und Lust,

Und zarten Liebe bildete;

Und hängt sich an der Wollust Brust,

Und sauget Schwachheit, Gram und Weh,

Und alt nun noch heirathete,

Ein junges Weib – o weh! o weh![344]


Wem die Natur gesunden Leib

Und festen Arm dazu verlieh;

Und wählt sich nun zum Zeitvertreib

Der hochgelahrten Doctors Müh,

Und consultirt sie spät und früh –

Ins Grab hin consultir' er sie.


So wem Gott guten Sinn verlieh,

Und ihn verlieh ihm gar umsunst;

Er hängt sich an der Thorheit Müh,

Und krüppelt um der Narren Kunst,

Ein grosser Mann zu seyn einmal –

Seys – im gelehrten Hospital.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Stimmen der Völker in Liedern. Stuttgart 1975, S. 344-345.
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