29. Die schöne Dollmetscherin
Eine Morlackische Geschichte

[287] Beide Stücke sind aus einem ungedruckten Italiänischen Mscr. des Abbt Fortis, des bekannten Verfassers der Osservaz, sopra chesso ed osera und der Reise nach Dalmatien. Die Anzeige dieser Quelle ist nicht Dichtung, sondern Wahrheit.


Ueber Gravo fiel der Bascha Mustaj,

Und ringsum die hohe Mauer sanken

Viel von seinen Edeln. Als die Türken

Abends nun im Hause des Nikolo,

Des Gebieters über Gravo assen,

Baten sie um frisches Wasser. Niemand

War der Sprache kundig, als die schöne

Tochter des Nikolo, und zur Mutter

Rief sie: liebe Mutter, auf die Füsse!

Frisches Wasser fodern diese Türken.


Stand die Mutter auf und brachte Wasser.

Alle tranken, doch der Jüngling Muza

Trank nicht; bittend sprach er zu der Mutter:

»Edle Frau, der Himmel sey euch günstig!

Aber gebt, o gebt mir eure Tochter

Zur getreuen Gattin.« »Scherze nicht so,

Spricht die Mutter, du des Bascha Krieger,

Lang vermählet ist schon meine Tochter

An Zikolo, an des stolzen Janko

Neffen. Er gab ihr von rother Seide

Drei gar aus der Maassen schöne Kleider,

Und von feinem Golde drei Agraffen,

Und drei Diamanten, also prächtig,

Daß an ihrem Glanz man Abends speisen

Und in Mitternacht, als wär es Mittag,

Zehen Pferd' behufen könnte. Also

Ist für dich, o Krieger, nicht das Mädchen.«
[287]

Traurig saß auf dieses Wort der Jüngling,

Sprach nicht mehr und schloß die Nacht kein Auge,

Und nach langer Nacht bei Tages Anbruch

Sprang er auf, auf seine wackern Füsse,

Ging zum Zelt des Bascha und mit tiefen

Worten sprach er also: Hoher Bascha,

Unter allen Schönen, die dein weites

Land dir zollet, ist von Himmelsschönheit

Hier ein Mädchen, unsrer Sprache kundig,

Tochter des Nikolo, Herrn von Gravo.


Und der Bascha ließ den Grafen rufen,

Sprach vertraulich zu ihm: »ist es Wahrheit,

Was die Rede saget? deine Tochter

Sey so schön und lieblich aus der Maassen?

Wolltest du sie mir zur Gattin geben?«


Unverändert sprach der edle Vater:

»Schön ist meine Tochter, hold und lieblich;

Aber längst ist sie zur Braut vermählet.

Zekulo, des stolzen Janko Neffe,

Gab von rother Seide ihr drei Kleider,

Und von feinem Golde drei Agraffen,

Und drei Diamanten.«

Spricht der Bascha

Freundlich: »Auf wohlauf denn, Freund Nikolo,

Laß das schöne Mädchen und den Bräutgam

Zu mir kommen, daß es sich entdecke,

Wen von beiden sie sich wähle?«

Mißmuth

Ueberfiel den Grafen bei der Rede.

Kaum zu Hause, sendet er ein weisses

Blatt an Zekulo, des Woiwods Neffen:

»Jüngling Zekulo, der Bascha sucht dir

Deine schöne Braut zu rauben. Eile!

Komm zu meinem Hofe und wir gehen[288]

Beide zu dem Zelt des Bascha. Morgen

Soll das Mädchen sagen, wen sie wähle?«


Kaum das Blatt gelesen, legt der Jüngling

Auf sein allerschnellstes Roß den Sattel,

Nimmt mit sich dreihundert der Vasallen,

Kommen noch den Abend spät zum Grafen.

Kaum vorbei die Nacht und Morgenanbruch,

Gehen Braut und Bräutigam zum Bascha,

Treten vor ihn, und mit süssen Worten

Spricht der Türke zu dem Mädchen: »Wähle,

Schönes Mädchen, mit wem willt du ziehen?

Ziehn mit Zekulo? wie oder Gattin

Eines Bascha heissen?«

Und das Mädchen

(Also hatt' die Mutter sie gelehret)

Schnell erwiedert sie: »auf grünem Grase

Will, o Herr, ich lieber mit dir stehen,

Als mit Zekulo auf rother Seide.«

Zekulo im Zorn erhob die Stimme:

»Ist das deine Treue, deine Seele,

Die du mir bei deinem Gott geschworen!

Schnell, Untreue, gib die Goldgeschenke

Mir zurück und geh, zu wem du wollest.

Recke aus die Hand.« Betrogen reckte

Sie sie aus, zu geben die Geschenke;

Aber eine böse Schlange stach sie.

Zekulo mit seinem scharfen Säbel

Hieb ihr ab die rechte Hand der Untreu.

Sprach zum Bascha: »Herr es ist dein Glück noch!

Diese rechte Hand war mir gegeben,

Nimm den Rest nun, jeder hat das Seine.«


Knirschend rief der Bascha: »kühner Jüngling,

Und das wagst du hier in meinem Divan?

Bist du tapfer wie du keck bist, Jüngling,[289]

Aus, hinaus zum Zweikampf!« Und der Jüngling

Nahm mit Freuden an den Zweikampf. Beide

Reiten mit Gefolge auf die Ebne;

Doch das Schicksal war dem Bascha widrig,

Und der Jüngling mit dem scharfen Säbel,

Spaltet Mann und Sattel. So gerieth dir

Deine Untreu, schlechtbetrognes Mädchen.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Stimmen der Völker in Liedern. Stuttgart 1975, S. 287-290.
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