3.

[198] Auf dem Platze des Palastes

Traf Rodrigo auf Don Gormaz.

Einzeln, niemand war zugegen,

Redet' er den Grafen an:


»Kanntet Ihr, o edler Gormaz,

Mich, den Sohn des Don Diego,

Als Ihr Eure Hand ausstrecktet

Auf sein ehrenwert Gesicht?


Wußtest Ihr, daß Don Diego

Ab von Layn Calvo stamme?

Daß nichts reiner und nichts edler

Als sein Blut ist und sein Schild?
[198]

Wußtet Ihr, daß, weil ich lebe,

Ich, sein Sohn, kein Mensch auf Erden,

Kaum der mächtge Herr des Himmels

Dies ihm täte ungestraft?« –


»Weißt du«, sprach der stolze Gormaz,

»Was wohl sei des Lebens Hälfte,

Jüngling?« »Ja«, sprach Don Rodrigo,

»Und ich weiß es sehr genau.


Eine Hälfte ist, dem Edlen

Ehr erzeigen, und die andre,

Den Hochmütigen zu strafen,

Mit dem letzten Tropfen Bluts


Abzutun die angetane

Schande.« – Als er dies gesagt,

Sah er an den stolzen Grafen,

Der ihm diese Worte sprach:


»Nun, was willst du, rascher Jüngling?« –

»Deinen Kopf will ich, Graf Gormaz«,

Sprach der Cid, »ich habs gelobet!«

»Streiche willst du, gutes Kind«,


Sprach Don Gormaz, »eines Pagen

Streiche hättest du verdient.«

O Ihr Heiligen des Himmels,

Wie ward Cid auf dieses Wort!

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 198-199.
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Der Cid
Der Cid (Hardback)(German) - Common
Der Cid unter Ferdinand dem Großen.
Herders Cid: Neu Durchgesehene Aufl, Volume 22 (German Edition)