VII

Der Mensch ist zur Hoffnung der Unsterblichkeit gebildet

[162] Man erwarte hier keine metaphysische Beweise von der Unsterblichkeit der Seele aus ihrer einfachen Natur, aus ihrem Spiritualismus u. f. Die Physik kennet diese einfache Natur nicht und könnte vielmehr Zweifel gegen sie erregen, da wir unsre Seele nur in einem zusammengesetzten Organismus durch Wirkungen kennen, die aus einer Mannigfaltigkeit von Reizen und Empfindungen zu entsprießen scheinen. Der allgemeinste Gedanke ist nur das Resultat unzähliger[162] einzelner Wahrnehmungen, und die Regentin unsers Körpers wirkt auf das zahllose Heer untergeordneter Kräfte, als ob sie ihnen allen auch dem Ort nach gegenwärtig wäre. –

Auch Bonnets sogenannte Philosophie der Keime kann hier unsre Führerin nicht sein; denn sie ist in Absicht auf den Übergang zu einem neuen Dasein teils unerwiesen, teils nicht zu ihm gehörig. Niemand hat in unserm Gehirn ein geistliches Gehirn, den Keim zu einem neuen Dasein entdeckt; auch das kleinste Analogon dazu ist im Bau desselben nicht sichtbar. Das Gehirn des Toten bleibt uns; und wenn die Knospe unsrer Unsterblichkeit nicht andre Kräfte hätte, so läge sie verdorret im Staube. Ja, diese Philosophie ist, wie mich dünkt, auch hieher ganz ungehörig, da wir hier nicht von Absprossung eines Geschöpfs in junge Geschöpfe seiner Art, sondern von Aufsprossung des absterbenden Geschöpfs in ein neues Dasein reden; vielmehr setzte sie, wenn sie auch nur in der irdischen Generation ausschließend wahr wäre und alle Hoffnung auf ihr beruhete, dieser Hoffnung unüberwindliche Zweifel entgegen. Ist es ewig bestimmt, daß die Blume nur Blume, das Tier nur Tier sein soll und vom Anfange der Schöpfung her in präformierten Keimen alles mechanisch dalag, so lebe wohl, du zauberische Hoffnung eines höchsten Daseins! Zum gegenwärtigen und zu keinem höhern Dasein lag ich ewig im Keim präformieret: was aus mir sprossen sollte, sind die präformierten Keime meiner Kinder, und wenn der Baum stirbt, ist alle Philosophie der Keime mit ihm gestorben.

Wollen wir uns also in dieser wichtigen Frage nicht mit süßen Worten täuschen, so müssen wir tiefer und weiterher anfangen und auf die gesamte Anologie der Natur merken. Ins innere Reich ihrer Kräfte schauen wir nicht; es ist also so vergebens als unnot, innere wesentliche Aufschlüsse von ihr, über welchen Zustand es auch sei, zu begehren. Aber die Wirkungen und Formen ihrer Kräfte liegen vor uns; sie also können wir vergleichen und etwa aus dem Gange der Natur hienieden, aus ihrer gesamten herrschenden Ähnlichkeit Hoffnungen sammeln.[163]

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bände, Band 1, Berlin und Weimar 1965, S. 162-164.
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