III

Kreuzzüge und ihre Folgen

[457] Lange hatten Pilger und Päpste die Not der Christen zu Jerusalem geklaget; man hatte das Ende der Welt verkündiget, und Gregor der Siebente glaubte schon 50000 Mann bereit zu haben, die zum Heiligen Grabe ziehen würden, wenn er ihr Anführer wäre. Endlich gelang's einem Pikarden, Peter dem Einsiedler, in Verständnis mit Simeon, dem Patriarchen zu Jerusalem, den Papst Urban II. zu bereden, daß er zum Werk schritt. Es wurden zwei Konzilien zusammengerufen, und auf dem letzten hielt der Papst eine Rede, hinter welcher das Volk wie wütend ausrief: »Gott will es! Gott will es!« Heere von Menschen wurden also mit einem roten Kreuz auf der rechten Schulter bezeichnet; in der ganzen römischen Christenheit[457] ward die Kreuzfahrt gepredigt und den heiligen Kriegern mancherlei Freiheit erteilt. Ohne Einwilligung ihrer Lehnherren dorften sie Ländereien veräußern oder verpfänden (den Geistlichen ward dies Privilegium in Ansehung ihrer Benefizien auf drei Jahre verliehen); sowohl der Person als den Gütern nach traten alle Kreuzfahrer unter den Schutz und die Gerichtsbarkeit der Kirche und genossen geistliche Rechte; sie waren während des Heiligen Krieges von allen Steuern und Gaben, von allen Rechtsansprüchen wegen gemachter Schulden und von den Zinsen derselben frei und erhielten einen vollkommenen Ablaß. Eine unglaubliche Anzahl andächtiger, wilder, leichtsinniger, unruhiger, ausschweifender, schwärmender und betrogner Menschen aus allen Ständen und Klassen, sogar in beiden Geschlechtern, versammleten sich; die Heere wurden gemustert, und Peter der Einsiedler zog, barfuß und mit einer langen Kapuze geziert, einer Schar von 300000 Menschen voran. Da er sie nicht einhalten konnte, plünderten sie, wohin sie kamen; Ungarn und Bulgaren traten zusammen und jagten sie in die Wälder, also daß er mit einem Rest von 30000 in den traurigsten Umständen vor Konstantinopel ankam. Gottschalk, ein Priester, folgte mit 15000, ein Graf Emich mit 200000 Mann nach. Mit einem Blutbade der Juden fingen diese ihren heiligen Feldzug an, deren sie in einigen Städten am Rhein 12000 erschlugen; sie wurden in Ungarn entweder niedergemacht oder ersäufet. Die erste liederliche Schar des Eremiten, mit Italienern verstärkt, ward nach Asien hinübergeschafft; sie geriet in Hungersnot und wäre von den Türken ganz aufgerieben worden, wenn nicht Gottfried von Bouillon mit seinem regelmäßigen Heer und der Blüte der Ritterschaft von Europa vor Konstantinopel endlich angekommen wäre. Bei Chalzedon ward das Heer gemustert und fand sich 500000 Mann zu Fuß, 130000 Mann an Reuterei stark; unter unglaublichen Gefahren und Beschwerden ward Nizäa, Tarsus, Alexandrien, Edessa, Antiochien, endlich Jerusalem eingenommen und Gottfried von Bouillon einmütig zum Könige erwählet. Balduin, sein Bruder,[458] war Graf zu Edessa, Böemond, Prinz von Tarent, war Fürst von Antiochien geworden; Raimond, Graf zu Toulouse, ward Graf zu Tripoli, und außer ihnen taten sich in diesem Feldzuge alle die Helden hervor, die Tassos unsterbliches Gedicht rühmet. Indessen folgten bald Unfälle auf Unfälle; das kleine Reich hatte sich gegen unzählbare Schwärme der Türken von Osten, der Araber von Ägypten her zu schützen und tat's zuerst mit unglaublicher Tapferkeit und Kühnheit. Allein die alten Helden starben; das Königreich Jerusalem kam unter eine Vormundschaft; die Fürsten und Ritter wurden uneinig untereinander; in Ägypten entstand eine neue Macht der Mamlucken, mit welcher der tapfre und edle Saladin die treulosen, verderbten Christen immer mehr einengte, endlich Jerusalem einnahm und das kleine Schattenkönigreich, ehe es sein hundertjähriges Jubeljahr feiern konnte, ganz aufhob.

Alle Kriegszüge, es zu erhalten oder wiederzuerobern, waren fortan umsonst; die kleinen Fürstentümer waren seinem Untergange vorhergegangen oder folgten ihm nach. Edessa war nur fünfzig Jahr in christlichen Händen, und der ungeheure zweite Kreuzzug, der von Kaiser Konrad III. und Ludwig VII., Könige in Frankreich, auf das Feldgeschrei des heiligen Bernhards, mit 200000 Mann gemacht wurde, rettete es nicht.

In einem dritten Kreuzzuge gingen gegen Saladin drei tapfre Mächte, Kaiser Friedrich I., König Philipp August von Frankreich und Richard Löwenherz von England, zu Felde; der erste ertrank im Strom, und sein Sohn starb; die beiden andern, eifersüchtig gegeneinander, und insonderheit der Franke auf den Briten neidig, konnten nichts als Acre wiedererobern. Uneingedenk seines gegebnen Worts kehrte Philipp August zurück, und Richard Löwenherz, der Saladins Macht allein nicht widerstehen konnte, mußte unwillig ihm folgen. Ja, er hatte, da er durch Deutschland als Pilger reisete, das Unglück, vom Herzog Leopold von Österreich wegen einer bei Acre ihm vermeintlich erwiesenen Beschimpfung angehalten,[459] dem Kaiser Heinrich VI. unedel ausgeliefert und von diesem noch unedler vier Jahre in strenger Gefangenschaft gehalten zu werden, bis er sich, da über dies unritterliche Verfahren alle Welt murrete, mit 100000 Mark Silbers loskaufen konnte.

Der vierte Feldzug, der von Franzosen, Deutschen und Venetianern unter dem Grafen von Montferrat unternommen ward, kam gar nicht nach Palästina; ihn leiteten die eigennützigen, rachsüchtigen Venetianer. Sie nahmen Zara ein und schiffeten vor Konstantinopel; die Kaiserstadt ward belagert, zweimal erobert und geplündert; der Kaiser flieht; Balduin, Graf von Flandern, wird zu Konstantinopel ein lateinischer Kaiser; Beute und Reich werden geteilt, und den reichsten Teil dieses Raubes am Adriatischen, Schwarzen und griechischen Meere erhalten die Venetianer. Der Anführer des Zuges wird König von Kandia, welche Insel er seinen habsüchtigen Bundsgenossen auch verkaufte; statt der Länder jenseit des Bosporus wird er König zu Thessalonich. Es entsteht ein Fürstentum Achaja, ein Herzogtum Athen für französische Barone; reiche Edle aus Venedig erwerben sich ein Herzogtum Naxos, Negropont; es wird ein Pfalzgraf von Zante und Cephalonia; das griechische Kaisertum geht wie ein schlechter Raub an die Meistbietenden über. Dagegen errichten Abkömmlinge des griechischen Kaiserstammes ein Kaisertum zu Nicäa, ein Herzogtum Trapezunt, das sich in der Folge auch Kaisertum nennet, eine Despotie, nachher auch Kaisertum genannt, in Epirus. Da den neuen lateinischen Kaisern zu Konstantinopel so wenig übriggeblieben war, so konnte sich dies schwache und gehassete Reich kaum fünfzig Jahre erhalten; die Kaiser von Nicäa bemächtigten sich der alten griechischen Kaiserstadt wieder, und zuletzt kamen alle diese durch Abenteuer erworbene Besitztümer in die Hände der Türken.

Der fünfte Kreuzzug, von Ungarn und Deutschen geführt, war gar unkräftig. Drei Könige, von Ungarn, Zypern und ein Titelkönig von Jerusalem, mit den Großmeistern der Ritterorden hatten den Berg Tabor umringt, die Feinde eingeschlossen,[460] den Sieg in Händen; Zwietracht und Eifersucht aber entrissen ihnen diesen Vorteil, und die Kreuzfahrer gingen unmutig zurück.

Kaiser Friedrich II. schickt auf unablässiges Treiben des päpstlichen Hofes eine Flotte nach Palästina; ein vorteilhafter Waffenstillstand ist im Werk; der päpstliche Legat vereitelte ihn, und als der Kaiser selbst äußerst gezwungen den Feldzug übernahm, verhindert der Papst selbst durch einen unvernünftigen Bann und durch eigne treulose Angriffe auf die Staaten des abwesenden Kaisers in Europa allen guten Fortgang. Es wird ein Waffenstillstand mit dem Sultan zu Bagdad geschlossen, Palästina und Jerusalem dem Kaiser eingeräumt; das Heilige Grab aber bleibt als ein Freihafen für alle Pilger in den Händen der Sarazenen.

Doch auch dieser geteilte Besitz von Jerusalem dauert kaum fünfzehn Jahre, und der heilige Ludwig mit seinem siebenten, dem unglücklichsten Zuge konnte ihn nicht wiederherstellen. Er selbst mit seinem ganzen Heer gerät in Ägypten den Feinden in die Hände; er muß sich teuer loskaufen und endet auf einem zweiten, ebenso unnützen und unglücklichen Zuge gegen die Mauren vor Tunis sein Leben. Sein trauriges Beispiel erstickte endlich den unsinnigen Trieb zu Religionsfeldzügen nach Palästina, und die letzten christlichen Orter daselbst, Tyrus, Acre, Antiochien, Tripoli, gingen nach und nach an die Mamlucken über. So endete diese Raserei, die dem christlichen Europa unsäglich viel Geld und Menschen gekostet hatte; welches waren ihre Erfolge?307

Man ist gewohnt, den Kreuzzügen so viele gute Wirkungen zuzuschreiben, daß man dieser Meinung zufolge unserm Weltteil alle halbe Jahrtausende ein dergleichen Fieber, das seine Kräfte rüttelt und aufregt, wünschen müßte; eine nähere Ansicht zeigt aber, daß die meisten der angegebnen Erfolge nicht[461] von den Kreuzzügen, am wenigsten von ihnen allein herstammen, sondern daß unter den vielen Antrieben, die damals Europa gewann, sie höchstens ein beschleunigender, im ganzen aber widriger Mit- und Nebenstoß gewesen, den die Vernunft der Europäer wohl hätte entbehren mögen. Überhaupt ist's nur ein Bild der Phantasie, wenn man aus sieben getrennten Feldzügen, die in zweihundert Jahren aus sehr verschiednen Ländern und Beweggründen unternommen wurden, bloß des gemeinschaftlichen Namens wegen eine Hauptquelle von Begebenheiten dichtet.

1. Der Handel, sahen wir, war den Europäern in die arabischen Staaten vor den Kreuzzügen eröffnet, und es stand ihnen frei, solchen auf eine anständigere Weise zu nutzen und zu verbreiten, als es durch Räuberfeldzüge geschehen konnte. Bei diesen gewannen die Überfahrer, Geldnegozianten und Lieferanten; sie gewannen aber alles von den Christen, gegen deren Vermögen sie eigentlich die Kreuzfahrer waren. Was dem griechischen Reich entrissen ward, war ein schändlicher Kaufmannsraub, der dazu diente, daß durch die äußerste Schwächung dieses Reichs den immer näher andringenden Türkenhorden dereinst ein leichter Spiel mit Konstantinopel gemacht werden sollte. Daß Türken in Europa sind und daß sie sich daselbst so weit umherbreiten konnten, hatte der Löwe des heiligen Markus in Venedig schon durch den vierten Kreuzzug vorbereitet. Zwar halfen die Genuesen einem Geschlecht griechischer Kaiser wieder auf den Thron; allein es war der Thron eines geschwächten, zerstückten Reiches, den nachher die Türken leicht überwältigen mochten, da denn Venetianer sowohl als Genueser ihre besten Besitzungen im Mittelländischen und am Schwarzen Meer, ja endlich fast allen ihren Handel dahin auch verloren.

2. Das Rittertum ist nicht durch die Kreuzzüge, sondern die Kreuzzüge sind durch das Rittertum entstanden; beim ersten Feldzuge schon erschien die Blume der französischen und normannischen Ritter in Palästina. Vielmehr haben die Kreuzzüge beigetragen, ihm seine eigentümliche Blüte zu rauben[462] und wahre Waffenritter in bloße Wappenritter zu verwandeln. In Palästina nämlich kroch mancher unter den Helm, der ihn in Europa nicht tragen dorfte; er brachte Wappen und Adel zurück, die jetzt auf sein Geschlecht übergingen und damit einen neuen Stand, den Wappen- und mit der Zeit auch den Briefadel in Laut brachten. Da die Zahl der alten Dynasten, des wahren Ritteradels, vermindert war, so suchte dieser zu Besitzungen und erblichen Vorzügen gleich ihnen zu gelangen; sorgfältig zählte er seine Ahnen, erwarb sich Würden und Vorzüge, so daß in einigen Geschlechten er wieder der alte Adel hieß, ob er gleich mit jenen Dynasten, die gegen ihn Fürsten waren, mitnichten zu einer Klasse gehöret. In Palästina konnte, was Waffen trug, Ritter werden; die ersten Kreuzzüge waren ein großes Erlaßjahr für Europa. Bald kam dieser neue dienende Kriegsadel der wachsenden Monarchie sehr zustatten, die ihn gegen die übriggebliebenen hohen Vasallen klüglich zu gebrauchen wußte. So reiben Leidenschaften einander und der Schein den Schein auf; durch den dienenden Kriegs- und Hofadel ging endlich das alte Rittertum gar zugrunde.

3. Daß die in Palästina gestifteten geistlichen Ritterorden Europa zu keinem Vorteil gewesen, ist durch sich selbst klar. Sie zehren noch von dem Kapital, das einst dem Heiligen Grabe, einem für uns ganz untergegangenen Zwecke, geweihet ward. Die Hospitaliter sollten ankommende Pilgrime beherbergen, Kranke verpflegen, Aussätzige bedienen; dies sind die hohen Johanniterritter unsrer Zeit. Als ein Edelmann aus dem Delphinat, Raimund du Puy, Waffengelübde unter sie brachte, trennte sich der Lazarusorden von ihnen und blieb bei der ersten Stiftung. Die Tempelherren waren regulierte Chorherren, lebten zehn Jahre selbst von Almosen und beschützten die Pilger des Heiligen Grabes, bis auch, nach vergrößerten Gütern, ihre Statuten verändert wurden und der Ritter den Waffenträger, der Orden dienende Brüder hinter sich bekam. Der Deutsche Orden endlich war für Kranke und Verwundete gestiftet, die auf dem Felde umherlagen; Kleidung,[463] Wasser und Brot war ihre Belohnung, bis auch sie im nutzvollen Dienst gegen die Ungläubigen reich und mächtig wurden. In Palästina haben alle diese Orden viel Tapferkeit und viel Stolz, auch wohl Untreue und Verrat bewiesen; mit Palästina aber hätte ihre Geschichte zu Ende sein mögen. Als die Johanniter dies Land verlassen mußten, als sie Zypern und Rhodus verloren und Karl der Fünfte ihnen mit dem Felsen Malta ein Geschenk machte: wie sonderbar war der Auftrag, ewige Kreuzzieher auch außerhalb Palästina zu bleiben und dafür Besitztümer in Reichen zu genießen, die weder die Türken bekriegen noch die Pilgrime zum Heiligen Grabe geleiten mögen. Den Lazarusorden nahm Ludwig VII. in Frankreich auf und wollte ihn zu seinem Beruf, der Aufsicht der Kranken, zurückführen; mehr als ein Papst wollte ihn aufheben; die Könige von Frankreich schützten ihn, und Ludwig XIV. vereinte ihn mit mehrern geringen Orden. Er gedachte hierin anders als sein Vorfahr Philipp der Schöne, der aus Geiz und Rache die Tempelherren grausam ausrottete und sich von ihren Gütern zueignete, was ihm auf keine Weise zustand. Die Deutschen Ritter endlich, die, von einem Herzoge in Masowien gegen die heidnischen Preußen zu Hülfe gerufen, von einem deutschen Kaiser alles das zum Geschenk erhielten, was sie daselbst erobern würden und was ihm, dem deutschen Kaiser, selbst nicht gehörte, sie eroberten Preußen, vereinigten sich mit den Schwertbrüdern in Livland, erhielten Estland von einem Könige, der es auch nicht zu erhalten wußte, und so herrschten sie zuletzt von der Weichsel bis zur Düna und Newa in ritterlicher Üppigkeit und Ausschweifung. Die alte preußische Nation ward vertilget, Litauer und Samojiten, Kuren, Letten und Esten wie Herden dem deutschen Adel verteilet. Nach langen Kriegen mit den Polen verloren sie zuerst das halbe, sodann das ganze Preußen, endlich auch Liv- und Kurland; sie ließen in diesen Gegenden nichts als den Ruhm nach, daß schwerlich ein erobertes Land stolzer und unterdrückender verwaltet worden, als sie diese Küsten verwaltet haben, die, von einigen Seestädten[464] kultiviert, gewiß andre Länder geworden wären, überhaupt gehören alle drei angeführte Orden nicht nach Europa, sondern nach Palästina. Da sind sie gestiftet, dahin in ihren Stiftungen gewiesen. Dort sollten sie gegen Ungläubige streiten, in Hospitälern dienen, das Heilige Grab hüten, Aussätzige pflegen, Pilger geleiten. Mit dieser Absicht sind auch ihre Orden erloschen; ihre Güter gehören christlichen Werken, vorzüglich Armen und Kranken.

4. Wie der neue Wappenadel einzig und allein von der wachsenden Monarchie in Europa seine Bestimmung erhielt, so schreibt sich die Freiheit der Städte, der Ursprung der Gemeinheiten, endlich auch die Entlassung des Landmannes in unserm Weltteil von ganz andern Ursachen her, als diese tolle Kreuzzüge gaben. Daß im ersten Fieberanfall derselben allen liederlichen Haushältern und Schuldnern ein Verzug zugestanden, Lehnsmänner und Leibeigne ihrer Pflichten, Steuernde ihrer Steuer, Zinsende ihrer Zinsen entlassen wurden, das gründete noch nicht die Rechte der Freiheit Europas. Längst waren Städte errichtet, längst wurden älteren Städten ihre Rechte bestätigt und erweitert; und wenn sich dem wachsenden Fleiß und Handel dieser Städte auch die Freiheit des Landmannes früher oder später mit anschloß, wenn selbst das Anstreben zur Unabhängigkeit solcher Munizipalitäten in dem Gange der sich aufrichtenden Monarchie notwendig begriffen war, so dörfen wir nicht in Palästina suchen, was uns im Strom der Veränderungen Europas nach hellen Veranlassungen zuschwimmt. Auf einer heiligen Narrheit beruht schwerlich das dauerhafte System Europas.

5. Auch Künste und Wissenschaften wurden von den eigentlichen Kreuzfahrern auf keine Weise befördert. Die liederlichen Heere, die zuerst nach Palästina zogen, hatten keinen Begriff derselben und konnten ihn weder in den Vorstädten von Konstantinopel noch in Asien von Türken und Mamlucken erhalten. Bei den späteren Feldzügen darf man nur die geringe Zeit bedenken, in welcher die Heere dort waren, die Drangsale, unter welchen sie diese wenige Zeit, oft nur an[465] den Grenzen des Landes, zubrachten, um dem glänzenden Traum mitgebrachter großer Entdeckungen zu entsagen. Die Pendeluhr, die Kaiser Friedrich II. von Meledin zum Geschenk erhielt, brachte noch keine Gnomonik, die griechischen Paläste, die die Kreuzfahrer in Konstantinopel anstauneten, noch keine bessere Baukunst nach Europa. Einige Kreuzfahrer, insonderheit Friedrich der Erste und Zweite, wirkten zur Aufklärung mit; jener aber tat es, ehe er das Morgenland sah, und diesem war nach seinem kurzen Aufenthalt daselbst diese Reise nur ein neuer Antrieb, in seiner längst erwiesenen Regierungsart fortzuwirken. Keiner der geistlichen Ritterorden hat Aufklärung nach Europa gebracht oder dieselbe befördert.

Es schränket sich also, was hiebei für die Kreuzzüge gesagt werden kann, auf wenige Veranlassungen ein, die zu andern schon vorhandenen trafen und sonach diese wider ihren Willen mit befördern mußten.


1. Die Menge reicher Vasallen und Ritter, die in den ersten Feldzügen nach dem Heiligen Lande zogen und einem großen Teil nach nicht wiederkamen, veranlaßte, daß ihre Güter verkauft wurden oder mit andern zusammenfielen. Dies nutzte, wer es nutzen konnte, die Lehnherren, die Kirche, die schon vorhandenen Städte, jeder nach seiner Weise; der Lauf der Dinge zu Befestigung der königlichen Macht durch die Errichtung eines Mittelstandes ward dadurch zwar nicht angefangen, aber befördert und beschleunigt.

2. Man lernte Länder, Völker, Religionen und Verfassungen kennen, die man sonst nicht kannte; der enge Gesichtskreis erweiterte sich; man bekam neue Ideen, neue Triebe. Jetzt bekümmerte man sich um Dinge, die man sonst würde vernachlässigt haben, brauchte besser, was man in Europa längst: besaß, und da man die Welt weiter fand, als man geglaubt hatte, so ward man auch nach der Kenntnis des Entfernten neugierig. Die gewaltigen Eroberungen, die Dschingis-Khan im nörd- und östlichen Asien machte, zogen die Blicke[466] am meisten nach der Tatarei hin, in welche Mark Polo, der Venetianer, Rubruquis, der Franzose, und Johann de Plano-Carpino, ein Italiener, in ganz verschiedenen Absichten reiseten, der erste des Handels, der zweite einer königlichen Neugierde, der dritte, vom Papst geschickt, der Bekehrung dieser Völker wegen. Notwendig also hangen auch diese Reisen mit den Kreuzzügen nicht zusammen; denn vor- und nachher ist man gereiset. Der Orient selbst ist uns durch diese Züge weniger bekannt worden, als man hätte wünschen mögen; die Nachrichten der Morgenländer über ihn, auch in dem Zeitpunkt, da Syrien von Christen wimmelte, bleiben uns noch unentbehrlich.

3. Endlich lernte auf diesem heiligen Tummelplatz Europa sich untereinander selbst kennen, obgleich nicht auf die ersprießlichste Weise. Könige und Fürsten brachten von dieser näheren Bekanntschaft meistens einen unaustilgbaren Haß gegeneinander nach Hause; insonderheit empfingen die Kriege zwischen England und Frankreich dadurch neue Nahrung. Der böse Versuch, daß eine Christenrepublik gegen Ungläubige vereint streiten könne und möge, berechtigte zu solchen Kriegen auch in Europa und hat sie nachher in andre Weltteile verbreitet. Unleugbar ist's indessen, daß, indem die europäischen Nachbarn ihre gegenseitige Stärke und Schwäche näher sahen, damit im dunkeln eine allgemeinere Staatskunde und ein neues System der Verhältnisse in Kriegs- und Friedenszeiten gegründet ward. Nach Reichtum, Handel, Bequemlichkeit und Üppigkeit war jedermann lüstern, weil ein rohes Gemüt diese in der Fremde leicht liebgewinnet und an andern beneidet. Die wenigsten, die aus Orient zurückkamen, konnten sich fortan in die europäische Weise finden; selbst ihren Heldenmut ließen viele dort zurück, ahmten das Morgenland im Abendlande ungeschickt nach oder sehnten sich wieder nach Abenteuern und Reisen, überhaupt kann eine Begebenheit nur soviel wirkliches und bleibendes Gute hervorbringen, als Vernunft in ihr liegt. Unglücklich wäre es für Europa gewesen, wenn zu eben der[467] Zeit, da seine zahlreiche Mannschaft in einem Winkel Syriens um das Heilige Grab stritt, die Eroberung Dschingis-Khans sich früher und mit mehrerer Kraft nach Westen gewandt hätte. Wie Rußland und Polen wäre unser Weltteil vielleicht ein Raub der Mogolen worden, und seine Nationen hätten sodann mit Pilgerstäben in der Hand als Bettler ausziehen mögen, um am Heiligen Grabe zu beten. Lasset uns also, von dieser wilden Schwärmerei hinweg, nach Europa zurücksehen, wie sich in ihm nach einem durcheinander greifenden Laut der Dinge die sittliche und politische Vernunft der Menschen allmählich aufhellet und bildet.

307

Die von mehreren gelehrten Gesellschaften veranlaßten Abhandlungen und Preisschriften über die Wirkungen der Kreuzzüge sind mir nicht zu Gesicht gekommen, daher ich meine Meinung ohne Beziehung auf dieselbe vortrage.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bände, Band 2, Berlin und Weimar 1965, S. 457-468.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
Herders sämmtliche Werke: Band 13. Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Teile 1, 2
Werke. 10 in 11 Bänden: Band 6: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit.
Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
Ideen Zur Philosophie Der Geschichte Der Menschheit, Volume 1 (German Edition)

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon