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Organisation der Menschen in den Inseln des heißen Erdstrichs

[230] Nichts ist schwerer unter gewissen Hauptzügen zu charakterisieren als die im Schoß des Ozeans zerstreueten Länder. Denn da sie voneinander entfernt sind und meistens von verschiednen Ankömmlingen aus nähern und entferntern Gegenden später oder früher bewohnt wurden und jede derselben gewissermaßen eine eigne Welt ausmacht, so stellen sie in[230] der Kunde der Nationen dem Geist ein so buntes Gemälde dar, als sie dem Auge auf der Landkarte geben. Indessen lassen sich doch auch hier, in dem, was Organisation der Natur ist, nie die Hauptzüge verleugnen.

1. Auf den meisten der asiatischen Inseln gibt's eine Art Negergeschlechter, die die ältesten Einwohner des Landes zu sein scheinen.76 Sie sind, obgleich nach der Verschiedenheit der Gegend, in der sie leben, mehr oder minder schwarz von Farbe, mit krausem wolligen Haar; hie und da kommen auch die aufgeworfnen Lippen, die flache Nase, die weißen Zähne zum Vorschein und, was merkwürdig ist, findet sich auch mit dieser Bildung das Temperament der Neger wieder. Eben die rohe, gesunde Stärke, der gedankenlose Sinn, die geschwätzige Wohllust, die wir bei den Schwarzen des festen Landes wahrnahmen, zeigt sich auch bei den Negrillos auf den Inseln, nur allenthalben gemäß ihrem Klima und ihrer Lebensweise. Viele dieser Völker stehen noch auf der untersten Stufe der Ausbildung, weil sie von spätern Ankömmlingen, die jetzt die Ufer und Ebnen bewohnen, auf die Gebürge gedrängt sind; daher man auch wenig treue und sichre Nachricht von denselben besitzet.77

Woher nun diese Ähnlichkeit der Negerbildung auf so entfernten Inseln? Gewiß nicht, weil Afrikaner, zumal in so frühen Zeiten, Kolonien hieher sandten, sondern weil die Natur überall gleichförmig wirket. Auch dies ist die Gegend des heißesten Klima, nur von der Meeresluft gekühlt; warum sollte es also nicht auch Negrillos der Inseln geben können, wie es Neger des festen Landes gab? zumal sie als die ersten Einwohner der Inseln auch das tiefste Gepräge der[231] bildenden Natur dieses Erdstrichs an sich tragen müssen. Hieher gehören also die Igolotes auf den Philippinen und ähnliche Schwarzen auf den meisten andern Inseln; auch die Wilden, die Dampier auf der westlichen Seite von Neuholland als einen der elendesten Menschenstämme beschreibet, gehören hieher, wie es scheint, die unterste Klasse dieser Bildung auf einer der wüstesten Strecken der Erde.

2. In spätern Zeiten haben sich auf diesen Inseln andre Völker niedergelassen, die also auch eine weniger auffallende Bildung zeigen. Hieher gehören nach Forster78 die Badschu auf Borneo, die Alfuhri auf einigen der Molukken, die Subados auf Magindano, die Einwohner der Diebsinseln, der Karolinen und der weitern südlichen im Stillen Meer. Sie sollen große Übereinstimmung in der Sprache, Farbe, Bildung und Sitten haben; ihr Haar ist lang und schlicht, und aus den neuern Reisen ist bekannt, zu welcher reizvollen Schönheit sich diese Menschengestalt auf Otaheiti und andern nahe gelegnen Inseln vervollkommet habe. Indessen ist diese Schönheit noch ganz sinnlich, und in der etwas stumpfen Nase der Otahiterinnen scheinet der letzte Druck oder Eindruck des formenden Klima merkbar.

3. Noch spätere Ankömmlinge auf vielen dieser Inseln sind Malayen, Araber, Sineser, Japonesen u. f., die also auch von ihren Stämmen noch deutlichere Spuren an sich tragen. Kurz, man kann diesen Sund von Inseln als einen Sammelplatz von Formen ansehen, die sich nach dem Charakter, den sie an sich trugen, nach dem Lande, das sie bewohnten, nach der Zeit und Lebensweise, in der sie daselbst waren, sehr verschieden ausgebildet haben, so daß man oft in der größten Nähe die sonderbarste Verschiedenheit antrifft. Die Neuholländer, die Dampier sahe, und die Einwohner der Insel Mallikollo scheinen von der gröbsten Bildung zu sein, über die sich die Einwohner der Neuen Hebriden, die Neukaledonier, Neuseeländer u. f. allmählich heben. Der Ulysses dieser Gegenden,[232] Reinhold Forster79, hat uns die Arten und Abarten des Menschengeschlechts daselbst so gelehrt und verstandreich geschildert, daß wir ähnliche Beiträge zur philosophisch-physischen Geographie auch über andre Striche der Erde als Grundsteine zur Geschichte der Menschheit zu wünschen haben. Ich wende mich also zum letzten und schwersten Weltteil.

76

Sprengel, »Geschichte der Philippinen«; Reinhold Forster, »Nachrichten von Borneo und andern Inseln«, in den »Beitr. zur Völker- und Länderkunde« T. 2, S. 57, 237 u. f.; »Allg. Reisen...«, Bd. 11, S. 393; Le Gentils Reisen in Ebeling, »Sammlung«, T. 4, S. 70.

77

S. Reisen um die Welt, T. 1. S. 554, Leipzig 1775.

78

»Beitr. zur Völkerkunde«, T. 2, S. 238.

79

Forster, »Bemerkungen auf seiner Reise um die Welt«, Berlin 1783, Hauptstück 6.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bände, Band 1, Berlin und Weimar 1965, S. 230-233.
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