VII

Schluß

[244] Es wäre schön, wenn ich jetzt durch eine Zauberrute alle bisher gegebnen unbestimmten Wortbeschreibungen99 in Gemälde verwandeln und dem Menschen von seinen Mitbrüdern auf der Erde eine Galerie gezeichneter Formen und Gestalten geben könnte. Aber wie weit sind wir noch von der Erfüllung dieses anthropologischen Wunsches! Jahrhundertelang hat man die Erde mit Schwert und Kreuz, mit Korallen und Branntweinfässern durchzogen; an die friedliche Reißfeder dachte man nicht, und auch dem großen Heer der Reisenden ist's kaum eingefallen, daß man mit Worten keine Gestalt male, am wenigsten die feinste, verschiedenste, immer abweichende aller Gestalten. Lange ging man aufs Wunderbare hinaus und dichtete; nachher wollte man hie und da, selbst wo man Zeichnungen gab, verschönern, ohne zu bedenken, daß kein wahrer Zoolog verschönere, wenn er fremde Tiergestalten malet. Und verdiente etwa die menschliche Natur allein jene genaue Aufmerksamkeit nicht, mit der man Tiere und Pflanzen zeichnet? Indes, da in den neuesten Zeiten der edle Bemerkungsgeist auch für unser Geschlecht wirklich schon erwacht ist und man von einigen, wiewohl nur von wenigen Nationen Abbildungen hat, gegen die in ältern Zeiten de Bry, Bruyn, geschweige die Missionare nicht bestehen100, so wäre es ein schönes Geschenk, wenn jemand,[244] der es kann, die hie und da zerstreueten treuen Gemälde der Verschiedenheit unsres Geschlechts sammlete und damit den Grund zu einer sprechenden Naturlehre und Physiognomik der Menschheit legte. Philosophischer könnte die Kunst schwerlich angewandt werden und eine anthropologische Karte der Erde, wie Zimmermann eine zoologische versucht hat, auf der nichts angedeutet werden, müßte, als was Diversität der Menschheit ist, diese aber auch in allen Erscheinungen und Rücksichten: eine solche würde das philanthropische Werk krönen.[245]

99

Wer mehrere Nachrichten von einzelnen Zügen begehret, wird solche in Buffons Naturgeschichte, Band 6, Martinis Ausgabe und in Blumenbachs gelehrter Schrift »De generis humani varietate nativa« finden.

100

Nicht als ob ich die Bemühungen dieser Männer nicht schätzte; indessen dünken mich Bruyns (Le Brun) Abbildungen sehr französisch und derer de Bry Gemälde, die nachher in schlechtern Nachstichen beinah in alle spätere Bücher übergegangen sind, nicht authentisch. Nach Forsters Zeugnis hat auch Hodges noch die otahitischen Gemälde idealisieret. Indessen wäre es zu wünschen, daß nach den Anfängen, die wir haben, die genaue und gleichsam naturhistorische Kunst in Abbildung der Menschengeschlechtes für alle Gegenden der Welt ununterbrochen dauren möge. Niebuhr, Parkinson, Cook, Hoest, Georgi, Marion u.a. rechne ich zu diesen Anfängen; die letzte Reise Cooks scheint nach dem Ruhm, den man ihren Gemälden gibt, eine neue, höhere Periode anzufangen, der ich in andern Weltteilen die Fortsetzung und eine gemeinnützigere Bekanntmachung wünsche.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bände, Band 1, Berlin und Weimar 1965, S. 244-246.
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