Vorrede.

[367] Ein Kunstrichter soll nicht anders, als ein böses Herz, haben können – ist dies, so wehe dem Verf. der Kritischen Wälder. Er hat mit Grimm und Bitterkeit: er hat, weiß Gott, aus welchen schwarzen Gründen und zu welchen bösen Absichten geschrieben – niger est! – –

Also muß ein Kunstrichter ein böses Herz haben! warum? weil er Fehler aussuchet, und wer Fehler aufsuchet, der – Aber mit einer Erlaubniß! wenn er sie nicht aufsucht, nicht aufsuchen darf, wenn sie ihm in vollem Maaße selbst zuströmen? – Dann sollte er sie bedecken! Fehler bedecken, das thut die Menschenliebe! – Bedecken also? aber wenn sie sich nicht bedecken ließen, wenn sie, bedecket, und mit einem sanften Vehikulum verschlucket, um so schädlicher wären, ists da nicht doppelte Menschenliebe, sie zu entlarven? Doppelte Menschenliebe; denn so wird der junge unerfahrne Leser gewarnet, sie nicht für Tugenden anzusehen und anzunehmen: der fehlerhafte Schriftsteller selbst, wenn er noch zu bessern ist, gebessert, oder wenigstens dahin gebracht, nochmals zu prüfen, auszutilgen oder zu verstärken. Ich sehe in keinem Falle Nutzlosen Menschenhaß.

Was der webende Wind wachsenden Bäumen ist, Stärkung ihres Stammes, das ist der Wiederspruch für unsere Meinungen und Lehrsätze. Ein freundschaftliches Gespräch, ein Pro und Kontra im Umgange, oder im lebendigen Vortrage, bringt oft weiter, als hundert einsame Discussionen auf einem und demselben Pfade. Dort wird jede Idee gewandt, ventilirt, geprüft, und also entweder bestärkt, oder geschwächt: der Geist wächset in dem Zwiste der Akademie, wie der Leib in den Uebungen der Palästra.[367]

»Aber dazu sind Journale, Zeitungen!« Auch meine Kritischen Wälder mögen so etwas seyn, und wollen noch mehr seyn. Ein Journal gibt Auszüge und nur über dies und ein anderes Einzelne seine Meinung: der Zergliederer eines ganzen Buchs thut mehr, als – vielleicht selbst sein Verfasser gethan. Sich in den Plan des Ganzen setzen, hier und im Einzeln auf die Fehler oder Schönheiten zeigen, ergänzen, das thun vielleicht nur einige Journale! das ist so schwer, als selbst Schreiben, und eben bei dem elendesten Buche am schwersten. Klotzens Münzbüchlein wird ihm nicht die halbe Arbeit gekostet haben, die seine Analyse mir; vielleicht aber wird diese auch um die Hälfte nützlicher werden können, als jenes selbst. Ein zergliedertes Buch ist doch bildender, als ein zusammen geschmiertes.

Sollte mein Zeugniß hierinn nicht gelten: so mag der Englische Swift1 zeugen: er giebt so umständlichen Zergliederungen einen Werth, von dem ich mir gern auch nur die Hälfte zueignen wollte. Eben daher wird man auch das oft Kleinfügige in meinen Disputationen entschuldigen. Sollte das Ausgefundne oft nicht wichtig seyn: so suche man an der Methode selbst zu lernen.

Ich habe dazu Schriften gewählt, die bekannt gnug waren, und über die, wenn ich gefehlet habe, ich wenigstens auf meine Kosten gefehlet. Von Leßings Laokoon erinnere ich mich keine einzige Erinnerung, die ich gemacht, sonst gelesen zu haben, und über Klotzens Schriften war, was ich urtheilte, auch noch nicht geurtheilt. Da ihr Verf. sich der meisten Zeitungen und Journale in Deutschland versichert hat, und diese doch leider! für das Publikum schon gelten: was war nicht der Mann geworden? und was sind seine Schriften! Was ist nicht Hr. Riedel geworden? und was sind seine Theorie und seine Briefe?

Hier den Ton der Gleichheit und des Verdienstes herzustellen: jene Lobschreiende, alles überschreiende Stimmen etwas[368] zu mäßigen, das war meine Absicht. Leßings Laokoon war, dünkte mich, noch nicht würdig gelobt: denn er war noch nicht bis auf sein Wesen durchdrungen. Klotzens Schriften überschwänglich gelobt, und verdienten nicht, angesehen zu werden. Riedels Theorie übermäßig gelobt, und ist das mittelmäßigste, unordentlichste Werk, das ich mir bey einer Theorie denken kann. Hier der Kritik die Stimme der Freiheit wieder zu geben: das Unwürdige öffentlich zu tadeln, damit dem Verdienste sein Lob noch angenehm seyn könnte – das war meine patriotische Absicht!

»Aber so ernsthaft, so bitter!« Noch immer patriotischer Ernst! ich mag die süßtönende Lammartige Stimme nicht: mag nicht den schmeichelhaft sich bückenden Ton, in dem die sprechen, die wieder gelobt seyn wollen. Man tadle mich! man tadle mich heftig! ich mag nicht kriechen! und wenn es Mode des Jahrhunderts wäre!

»Ernsthaft also, aber warum bitter? warum mit Galle?« Mit Galle gegen die Person im geringsten nicht. Da ich nicht das Glück habe, in Halle oder Erfurth zu leben: warum sollte ich den Lehrern daselbst ihren Beifall beneiden? aus Eifersucht schmälern? aus Habsucht an mich ziehen wollen? »Aber mit Bitterkeit gegen den Schriftsteller, und dazu unwürdig, unhöflich, ungezogen!« Die Vorwürfe sind hart, und sie wären siebenfach hart, wenn man sie von meinem ersten Wäldchen sagen könnte! Aber in einem Zeitpunkte, wo das Schmeicheln Mode wird, wo der Geschmeichelte mit dem Publikum, mit Welt und Nachwelt im hochtrabendsten Tone spricht, uns auf seinen eingebildeten Werth so sicher rechnet, als der Kaufmann auf seine Papiere – wie? ist's da dem Patrioten so unverzeihlich, wenn er auch in der Gegenstimme ausschweift? wenn er seinen rechtmäßigen Tadel mit Feuer sagt? O sollte mancher so viel zurückzahlen müssen, als er unrecht zu empfangen gewußt, wie viel ist er noch schuldig? – Und zudem, ist hier wohl die Hälfte der Ungezogenheiten, die die Klotzische Bibliothek gegen die besten[369] Schriftsteller Deutschlandes bewiesen? und ist bey einem Klub, wo sanfte Kritik den Lauf des Muthwillens nicht stören kann, ein andrer Weg möglich?

»Aber warum Namenlos, aus dem Dunkeln hervor?« Habe ichs nicht schon, gesagt: mein Name ist keine Sünde! War mein Buch wider den Charakter der Ehrlichkeit seines Schriftstellers: war es wider die Religion und den Staat; so ging es die Censur, so sollte es nicht gedruckt werden! Und in diesem Fall allein ist der Name des Schriftstellers und seine Person in sein Werk verflochten! – Aber nun! nichts als kritische Streitigkeiten, Ventilationen dieser und jener Frage, Zergliederungen von Schriften, um den Werth und Unwerth derselben zu zeigen – wozu da der Name? Der Verf. darf ihn nicht, und wird ihn auch nie entdecken: er wird nie das Buch unter die Kinder seines Namens aufnehmen: denn es war nicht dazu. Es war blos für eine Zeitverbindung geschrieben, die der Litteratur schädlich ward: in einem Tone geschrieben, der für das Ohr dieser Zeitverbindung eingerichtet war: über Sachen, wovon damals jeder sprach und schwatzte. Er kann also wohl einmal einzelne Materien ausheben, und für die seinigen erkennen, die etwa dauren können: der Wald selbst aber hat keinen Namen – αγωνισμα μαλλον, ου κτημα ες αει.

1

Bertheid. des Mährchens von der Tonne.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 367-370.
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