11.

[87] Es können kritische Betrachtungen nicht leicht nutzbarer seyn, als wenn L. gegen Spence über den Unterschied disputirt,1 in welchem dem Künstler und Dichter Götter, geistige und Moralische Wesen erscheinen: hiegegen wird in und außerhalb der Mauern von Troja, ich meine in Poesie und Kunst, gesündigt.

Götter und geistige Wesen. »Dem Künstler sind sie nichts als personifirte Abstrakta, die beständig die ähnliche Charakterisirung behalten müssen, wenn sie erkenntlich seyn sollen: dem Dichter sind sie handelnde Wesen.2« Ich weiß nicht, ob dieser Unterschied so vest, und beiden Künsten so wesentlich wäre, als er hier angegeben wird – und mich dünkt, daß ein Ich weiß nicht von dieser Art, das nichts minder, als den Gebrauch der ganzen Mythologie in allen schönen Künsten und Wissenschaften, betrift, wohl eine kleine Aufmerksamkeit verdiene.[87]

Also sind die Götter und geistigen Wesen dem Künstler nichts als personifirte Abstrakte? Freilich so lange eine einzelne Figur nichts als ein känntliches Bild eines himmlischen Wesens seyn soll, so sind die dasselbe charakterisirenden Kennzeichen das Augenmerk. Nun aber trete diese Figur z.E. bei einem Gemälde in Handlung, gesetzt die Handlung flösse auch nicht aus ihrem Charakter: so bald tritt die Historische Mythologie in die Stelle der Emblematischen: und die Gestalt ist nicht mehr durch das, was sie ist, sondern was sie thut, känntlich. Hr. L. giebt dies zu;3 nur meint er, die Handlungen müssen nicht ihrem Charakter wiedersprechen; und aus dem Beispiele, das er giebt, sehe ich, daß er in Untersuchung dieses Wiederspruchs sehr fein ist. Eine Venus, meint er, die ihrem Sohne die Waffen giebt, könne freilich gebildet werden: denn hier bliebe sie noch eine Göttin der Liebe: ihr könne noch alle Anmuth und Schönheit gegeben werden, die ihr als Göttin der Liebe zukomme: sie werde vielmehr als solche, durch diese Handlung noch kennbarer; aber eine zürnende, eine verachtende Venus ganz und gar nicht. – Ich bin in der Ausdehnung dieses Unterschiedes nicht Hr. Leßings Meinung.

Götter und geistige Wesen sind dem Künstler freilich personifirte Abstrakta, und Charakterfiguren, so lange er sie allein, blos in einem ihnen gemäßen Anstande, oder höchstens in einer intransitiven Handlung bilden soll; aber alsdenn sind sie es nur aus Noth, aus Muß, um känntlich zu seyn. Venus, Juno, Minerva haben diese und keine andre Bildung der Schönheit, nicht als wenn diese immer ein innerer Charakterzug ihres Abstrakten Wesens wäre; gnug, daß sie ein von Dichtern einmal beliebtes und vestgesetztes äußeres Kennzeichen dieser Gottheit ist. Ich verstehe mich nicht gnug auf den Abstrakten Begriff der Liebe, als daß ich wissen könnte, ob jede Kleinigkeit bei der Bildung der Venus, und keiner andern Göttlichen Schönheit, da sey, weil sie nothwenig das Abstraktum der Liebe charakterisire? ob z.E. das υγρον ihrer[88] Augen, und das Lächeln ihrer Wangen, und das Grübchen ihres Kinnes zu diesem Begriffe so unentbehrlich sey, als auf der andern Seite die majestätische Brust der Juno, und die schlanke Taille der Diana, und die unschuldige Mine der Hebe, zu diesem Begriffe eben hinderlich sein müste. Ich habe nie die Mythologie, als ein solch Register allgemeiner Begriffe studirt, und bin allemal in die Enge gerathen, wenn ich gesehen, wie andre sie am liebsten auf solche Art angesehen.

So viel ist einmal gewiß, daß Dichter, und kein anderer, die Mythologie erfunden und bestimmt, und da wette ich, fürwahr nicht als eine Gallerie Abstrakter Ideen, die sie etwa in Figuren zeigten. Wo bleibe ich mit den allerdichterischten Geschichten Homers, wenn ich mir seine Götter, nach Damms Lehrart, nur als handelnde Abstrakte betrachten wollte? Es sind himmlische Individua, die freilich durch ihre Handlungen sich einen Charakter vestsetzen, aber nicht da sind, diese und jene Idee in Figur zu zeigen: ein ausnehmender Unterschied. Venus kann immer die Göttin der Liebe seyn; nicht aber alles, was sie bei Homer thut, geschieht deßwegen, um die Idee der Liebe in Figur zu repräsentiren: Vulkan mag seyn, was er will; wenn er den Göttern ihren Nektarbecher umreicht, ist er nichts als – ihr Mundschenke.

Ich schließe also: daß Götter und geistige Wesen »bei dem Dichter nicht blos handelnde Wesen sind, die über ihren allgemeinen Charakter noch andre Eigenschaften und Affekten haben, welche nach Gelegenheit der Umstände vor jenen vorstechen können,« wie Hr. L. sagt;4 sondern daß diese andre Eigenschaften und Affekten, kurz! eine gewisse eigne Individualität ihr wahres Wesen, und der allgemeine Charakter, der etwa aus dieser Individualität abgezogen, nur ein späterer, unvollkommener Begriff sey, der immer untergeordnet bleiben mußte, ja bei Dichtern oft in gar keinen Betracht komme.

Nun schließe ich weiter. Wenn also in der Mythologie und Geisterlehre der ältesten Dichter der Individuelle oder Historisch handelnde Theil vor dem Charakteristisch handelnden das Uebergewicht[89] behält: und eben diese Dichter doch die ursprünglichen Stifter und Väter dieser Mythologie und Geisterlehre gewesen; so sei die bildende Kunst, so fern sie Mythologisch ist, blos ihre Dienerin. Sie entlehnt ihre Geschöpfe und Vorstellungen, so fern sie sie brauchen und ausdrucken kann.

Bei jeder einzelnen Figur also, und mithin meistens bei den Werken der Bildhauer, die einzelne Gestalten bilden, fodert es der Mangel, die Gränzen, nicht aber das Wesen der Kunst, die Personen mehr Charakteristisch, als Individuell, auszudrücken: denn sonst verirren sie sich in die Menge Historischer Personen, und laufen Gefahr, unkänntlich zu werden.

So bald es aber dem Künstler die Grenzen seiner Kunst verstatten, dem Dichter zu folgen; so gleich nimmt der Dichter, dem eigentlich die Mythologie gehört, sein Recht wieder, und die Anordnung des Kunstwerks wird, dem Ursprunge Mythologischer Ideen gemäß, Dichterisch. Blos um das Unkänntliche zu vermeiden, schränkte er sich auf die Abstrakte Idee ein; Noth und Dürftigkeit war sein Gesetz: ist aber dies Gesetz – diese Furcht gehoben; kann er auf andere Art hoffen, känntlich zu werden, als durch die einförmige Charaktervorstellung; verbeut das Wesen seiner Kunst diese andre Art der Känntlichkeit nicht; erreicht er durch dieselbe gar einen Zweck, den er durch die Abstrakte Idee nicht erlangen konnte: so hat er mit dem Dichter einerlei Rechte. Die ganze Mythologie ist eigentlich ein Land Dichteri scher Ideen, und auch wenn sie der Künstler bildet, wird er Dichter.

Und bei diesem ganzen Privilegium des Künstlers, worauf kommt sein unumschränkter Gebrauch an? auf das Wort: Handlung. Kann der Künstler z.E. Maler, seinem Werke Handlung geben; kann er mehrere Personen gruppiren, die gemeinschaftlich eine Poetische oder Historische Situation vorstellen, känntlich und schön vorstellen können; o so vergesse er sicher die innere und äußere Charakteristik seiner Götter, die ihm sonst einzeln nothwendig waren. Immerhin lasse er auch seine Handlung dem Abstrakten Charakter sichtlich wiedersprechen: immerhin male er uns auch eine auf ihren[90] Kupido zürnende Venus; denn wenn sie auch in diesem Augenblick nicht die Liebe selbst bliebe, so bleibt sie doch, was sie ursprünglich ist, die Göttin der Liebe, die Mutter des Kupido. Kann er Venus und den getödteten Adonis in Malerische Handlung bringen: so ruffen wir der Venus mit dem Dichter zu: »was schläfst du, Cytherea, auf purpurnen Decken! Stehe auf, Unglückselige, zeuch Trauerkleider an, und schlage an deine Brust, und klage der ganzen Welt: er ist nicht mehr, der schöne Adonis!« und immerhin wollen wir auch Adonis sehen, wie ihn der Dichter sieht: »Er liegt, der schöne Adonis liegt ausgesteckt auf dem Gebirge. Ein mörderischer Zahn hat seine zarte Hüfte verletzt. Noch einen letzten Seufzer athmet er: schwarzes Blut rinnt über den Leib, der blendender ist, als Schnee. Das Licht seiner Augen verlischt: die Lippen erblassen: Adonis stirbt.« Stirbt Adonis etwa, als die Idee ehelicher Liebe und Glückseligkeit und Schönheit? trauret Venus, um die Idee der Liebe in Maske zu zeigen? Wird die letztere jedem gesunden Mythologischen Auge deßwegen hier känntlich werden, weil sie das Abstraktum der Liebe macht? Nein, das Süjet des Gemäldes ist Dichterisch, ist Historisch: so auch die Figuren des Künstlers? Jedesmal, daß er sie dazu machen kann: wohl! so vergesse ich die Abstrakte Idee, die er in einer einzigen Figur nur aus Noth vorstellen mußte. Kupido, der die Psyche plaget, und Jupiter, der den Ganymed entführet, Diane, die den Endymion besucht, und Venus, die ihre geritzte Haut beweinet – ich verspreche dem Künstler, in diesem Augenblicke keine personifirten Abstrakta zu suchen, im Jupiter keinen Präsidenten der Götter, in Dianens Gesichte keine jungfräuliche Keuschheit: in Venus kein schmachtendes Liebäugeln, und in Kupido, keinen spielenden Verführer. Alle diese Wesen gehören dem Dichter, und der Künstler läßt sie ihm, wo er sie ihm lassen kann. –

Ich weiß nicht, wie enge dem Künstler der Mythische Cyklus werden müßte, wenn Hr. Leßing ihm alle Historische und Dichterische Situationen untersagte, ihm nur zuließe, in ihm personifirte Abstrakta zu suchen, und jeden kleinen Wiederspruch, der in der[91] Handlung gegen die Abstrakte Idee des Charakters (ein Idol der neuern Mythologisten!) vorkäme, verböte. Lebe alsdenn wohl, Handlungsvolle Kunst! du bist in der Mythologie eine Gallerie einförmiger Ideen, Abstrakter Charaktere!

»Wenn der Dichter Abstrakta personisiret: so sind sie durch den Namen, und durch das, was er sie thun läßt, genugsam charakterisiert. Dem Künstler fehlen diese Mittel. Er muß also seinen personifirten Abstraktis Sinnbilder zugeben, durch welche sie kenntlich werden. Diese Sinnbilder hat bei dem Künstler die Noth erfunden; wozu aber den Künstler die Noth treibet, warum soll sich das der Dichter aufdringen lassen, der von dieser Noth nichts weiß? Es sey ihm also Regel, die Bedürfnisse der Malerei nicht zu seinem Reichthume zu machen, und seine Wesen mit Sinnbildern der Kunst auszustaffieren. Er lasse seine Wesen handeln, und bediene sich auch poetischer Attribute« – u.s.w. Wie gerne, wie unermüdet hört man Hr. L. sprechen,5 wenn er – doch ich will nicht loben. Sollte alles dies nicht auch auf den vorbetrachteten Fall der Kunstcomposition gelten? Der Maler findet im Lande des Dichters personifirte Abstrakte, die auch in seinem Gemälde, durch das, was er sie thun läßt, gnugsam charakterisirt sind. Dem Künstler einer Figur fehlt dies Mittel: er muß also seinen personifirten Abstraktis Sinnbilder geben, durch welche sie känntlich werden; aber diese Sinnbilder erfand bei ihm die Noth? Wozu also den Künstler ohne Handlung die Noth trieb, warum sollte sich das der Künstler mit Handlung aufdringen lassen, wenn er von dieser Noth nicht weiß? Es sei ihm also Regel, auch das, was seiner Kunst Bedürfniß ist, im andern Fall nicht zu seinem Reichthume zu machen, seine Wesen nicht mit Sinnbildern zu überhäufen, sie, wo sie als höhere Individua in Handlung[92] erscheinen, nicht zu Puppen auszustaffieren, und am mindsten es gar zum Hauptsatze seiner Kunst zu machen: »mir sind die Personen der Mythologie nichts als personifirte Abstrakta, die beständig die ähnliche Charakterisirung beibehalten müssen, wenn sie erkenntlich seyn sollen.« Bei diesem Grundsatze, was wird aus der Kunst, die Compositionen liefern soll? Eine Maskerade Symbolischer und Allegorischer Puppen!

Es giebt also selbst unter den Künsten, die sich auf Zeichnung gründen, noch immer beträchtliche Unterschiede, die eine oder die andere mehr dem Dichterischen nähern. Die Bildhauerkunst entsteht ihr am weitesten: die Malerei aber, in ihrer Komposition zumal, zumal in der Komposition Dichterischer Geschöpfe, die ursprünglich Wesen der Einbildungskraft und nicht des Anschauens sind, tritt der Poesie weit näher. Sie hat ein Drama ihrer Figuren: sie stellt alle bloß in der Absicht zusammen, um eine Handlung zu repräsentiren: sie läßt also so viel möglich weg, was zur Handlung nicht gehört, oder ihr gar widerspräche. Sollte in jedem Kunstwerke von Composition jede Mythologische Person mit allem dem Zubehör überladen werden, der ihr zukommen mag, aber zu dieser Handlung nicht gehört: sollte sie der Historische und Dichterische Maler nur als personifirte Abstrakta behandeln sollen, die beständig die ähnliche Charakterisirung beibehalten müssen: welch ein verwirrendes und zerstreuendes Geschleppe von Symbolischen Zeichen und charakterisirenden Prädikaten! Soll Venus in einem Gemälde von Komposition nie anders, als die Liebe selbst, (und nicht blos als die Göttin der Liebe) erscheinen, und als die Liebe selbst jedesmal charakterisirt werden; und alle Theilnehmende Personen ebenfalls so, jede nach ihrer Art – weg mit dem Ball in Maske. Der Maler war hier in der Komposition eines Dichterischen Süjets Dichter: seine Figuren sollen sich durch Handlung känntlich machen: auf diese Handlung sollen sich die Attribute beziehen, die er ihnen giebt: solche, die zu dieser Vorstellung nicht gehören, so lange nur die Person noch känntlich bleibet, lasse er weg: er opfere dem Mangel, der Nothwendigkeit seiner Kunst so[93] wenig auf, als er darf, und am allerwenigsten mache er diesen Mangel, dies Gesetz der Noth zu seiner allgemeinen, wesentlichen Regel: bei dem Künstler sind Götter und geistige Wesen personifirte Abstrakta, »die beständig die ähnliche Charakterisirung behalten müssen.«6 Ich sage umgekehrt: auch bei ihm sollen Götter und geistige Wesen sich durch Handlung charakterisiren, wo sie es können; und blos im Fall, wo sie es nicht können, sich als personifirte Abstrakte, durch die ihnen beigelegte Symbole, känntlich machen. Im Grunde also einerlei Gesetz, einerlei Freiheit.

1

p. 113–118. [441–44]

2

p. 99. 100. [433]

3

Laok. p. 100. 101. [433]

4

p. 99. [432–3]

5

p. 115. 116. [442]

6

p. 99. [433]

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 87-94.
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