7.

[63] »Ein äußerlicher Zwang war bei dem alten Künstler öfters die Religion.« Bacchus mit Hörnern ist Leßingen1 hier das erste[63] Beispiel, das ihn auch scheint auf diese so wahre Ausnahme gebracht zu haben. Bacchus mit Hörnern! »In der That, sagt Hr. L., sind solche natürliche Hörner eine Schändung der menschlichen Gestalt, und können nur Wesen geziemen, denen man eine Art von Mittelgestalt zwischen Menschen und Thier ertheilte.«2 Und sorgfältiger kann nicht ein Freund bedacht seyn, seinem Freunde die Hörner von der Stirne wegzuschaffen, als Hr. L. für seinen schönen Bacchus besorgt ist.

Er erklärt sie also zuerst für einen bloßen Stirnschmuck.3 Und 92 woher ein Stirnschmuck? Aus der Stelle des Dichters –


tibi cum sine cornibus adstas


Virgineum caput est:


»Er konnte sich also auch ohne Hörner zeigen, sagt Hr. L., und so waren die Hörner ein Stirnschmuck, den er aufsetzen und ablegen konnte.« Wie? folgt dieß letzte Also wohl aus der Stelle Ovids, aus einer feierlichen Anruffung desselben? War Bacchus nicht ein Gott? der sich also auch, wie andere Götter, in mehr als einer Gestalt zeigen, der bald in jungfräulicher Schönheit, bald im fürchterlichen Schlachtgetümmel fürchterlich, bald als ein schöner Jüngling wie den Seeräubern Homers erscheinen konnte? Und hatte Bacchus dieß nicht bloß mit andern Göttern gemein, sondern zu einem ihm eigenen Vorzuge, der Gott von tausend Gestalten (μυριομορφος) zu seyn, und also auch die unzälig vielen Beinamen zu haben, die ihm Orpheus, die Epigrammatisten, Nonnus u.a. geben? folgts da wohl aus der Stelle Ovids, daß Bacchus – – dadurch διμορφος, πολυμορφος, μυριομορφος werden könne, wenn er – – seine Hörner ablege, wie ohngefähr eine alte Jungfer ihre falschen Zähne und Brüste? armes Lob! – Einem frommen Christlichen Ehemann mögen seine Hörner einen bloßen Stirnschmuck und eine Krone der Geduld von bewährten 93 Golde bedeuten: nicht dem Mythologischen Bacchus.[64]

So mögen es wohl keine Bacchus seyn, die mit hervorsprießenden Hörnern dastehen, sondern lieber Faunen:4 denn »in der That sind solche natürliche Hörner eine Schändung der menschlichen Gestalt, und können nur Wesen geziemen, denen man eine Art von Mittelgestalt zwischen Menschen und Thier ertheilt.« Mit solchen geziemenden Schlüssen! als wenn Bacchus nicht oft gnug diesen und noch ungeziemendere Namen bekäme: als wenn er nicht oft gnug κεραος, δικεραος, χρυσοκεραος, ταυρωπος, ταυροετωπος, ταυροκεραος, κερασφορος, gehörnt, zweigehörnt, Goldgehörnt, Stiergehörnt hieße. Kurz! die Hörner waren in gewissen Deutungen ihm wesentlich, und gehörten mit zu seiner heiligen Allegorie, in der ihn die Griechen mit von andern Völkern, die die Allegorie noch über die Schönheit der Menschlichen Gestalt liebten, bekommen hatten.

Ob aber Bacchus in allen5 seinen Tempeln nicht anders, als gehörnt, erschienen, ist wieder auf der andern Seite zu weit, und hat für Hrn. L. keinen Vortheil, als nachher6 seine Errathungskunst zu üben, wo denn alle diese gehörnte Statuen Bacchus geblieben sein mögen, da wir jetzt keine haben? Mir dünkts gnug, daß der bei den Dichtern vielgestaltige Bacchus auch bei den Künstlern, auch in seinen Tempeln »in mancherlei Gestalt« gewesen sey: daß nach der ältern allegorisirenden Mythologie dem Bacchus die Hörner sehr bedeutend und oft also auch für den Werkmeister, der der Religion arbeitete, ein Attribut des Bacchus seyn müssen: daß in den bessern Zeiten, da die Griechen selbst vieles von ihrer heiligen Allegorie der Schönheit aufgeopfert, auch die ganz schönen Statuen des Bacchus, insonderheit in seinen Kunstwerken, die besten geworden; und so zerstieben alle Widersprüche von selbst.

Ueberhaupt sollte das mehr auf Kunst und Dichtkunst angewandt werden, was die zu verschiedenen Zeiten verschiedene Religion auf beide gewirket. In den ältesten Zeiten, da noch die fremden, von außen überbrachten Begriffe galten, waren freilich[65] die Vorstellungen der Götter oft unwürdig: und Jupiter selbst schämte sich nicht, mit beiderlei Geschlecht, mit einem Beile, und in Gestalt eines Mistkäfers zu erscheinen. Bald aber entwölkte sich dieß Allegorische Gehirn der Aegypter und Asiaten in der freien Griechischen Luft: die unnützen Geheimnisse und Deutungen in Mythologie, Philosophie, Poesie und Kunst wurden unter den Griechen aus ihren verschlossenen Kammern auf offnen Markt getragen, und Schönheit fieng an, das Hauptgesetz der Poesie und Kunst, nur bei jeder auf eigne Art, zu werden. Homer, der Sohn eines himmlischen Genius, ward der Vater schöner Dichter und schöner Künstler: und glücklich ist das Land, dem in der sinnlichen Poesie und der noch sinnlichern Kunst, der Geist seiner Zeit in Religion und Sitten und Gelehrsamkeit und Cultur so wenig Zwang auflegt, als Griechenland in seinen schönsten Zeiten. Ich wundre mich, daß Winkelmann in seinen Schriften diese Abstreifung fremder, alter, Allegorischer Begriffe nicht mehr bemerkt, und in ihrer Nutzbarkeit gezeiget hat: es ist ein Hauptknoten in dem Faden der Kunstgeschichte: »wie die Griechen so manche fremde drückende Ideen in die ihnen eigne schöne Natur verwandelt haben!«

Von hieraus gienge der sicherste Weg, um zwischen inne durch Bedeutung und Schönheit, durch Allegorie und Schönheit der Kunst und Poesie unbeschädigt durchzukommen: ich würde aber mit einmal zu tief in den Unterschied der dichtenden und bildenden Kunst tauchen müssen – also zurück zu unsern Prolegomenen.

1

Laok. p. 103.

2

[Laok. p. 104 = 436].

3

Laok. p. [431; freies Citat]

4

Laok. p. 104 [435].

5

p. 103.

6

p. 104. [436]

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 63-66.
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