7.

[311] Und das betraf nur die Schaamhaftigkeit Virgils, als eines Schriftstellers; nun war aber diese, wie mich dünkt, eben nicht das, was ich suchte. Hr. Kl. legt die Stellen Donatus und Servius zum Grunde,1 und was könnte also der Leser erwarten, als daß er sich über diese Stellen, über die Anschuldigungen derselben, kurz! über die persönliche Charakterschaamhaftigkeit Virgils erklären möchte; vielleicht aber, daß ihn seine Collektaneen über diesen Punkt verlassen haben; denn er lenket sein artig ab. Donatus sagt: Virgil soll schöne Knaben geliebet; er soll die Plotia Hieria gekannt; er soll in diesem Punkte nicht die Jungfer gewesen seyn, für die er galt. Servius sagt beinahe eben das; und Hr. Kl. hätte wissen können, daß schon lange vorher auch Martial und Apulejus auch so Etwas gesagt hatten, daß es eine allgemeine Sage von Virgil gewesen, daß – kurz! alles das sagt das Gerücht, und Hr. Kl.[311] beweiset, daß seine Aeneide, und die Gedichte seines Namens keine Hurenlieder sind – wer will das bewiesen haben?

Hr. Kl. meinet zwar,2 daß Eins das Andre aufhebe; daß es eben so sey, als wenn ihn jemand für einen gelehrten Grammaticus hielte, und ihm doch zeige, daß er weder Griechisch noch Lateinisch recht verstanden; allein, das meine ich nicht. Virgil kann immer ein schaamhaftes Gesicht gehabt, anständig gesprochen (ore probus), immer eine fromme, edle Seele (animo probus), und eine anständige Lebensart bewiesen (caetera vita probus); und doch schöne Knaben geliebt, und doch die Plotia Hieria gekannt haben. Ich sehe nichts, das sich aufhebe, und insonderheit zu den Zeiten Mäcenas, hätte aufheben dörfen. Ists denn so wiedersprechend, daß ein Mensch, zur sanften Wohllust geboren, auch dies Sanfte in seiner Mine zeige, daß das, was in der weiblichen Mine schmachtend, ein Liebreiz der Venus wäre; in einem männlichen Gesichte eine Art von Unschuld, von jungfräulicher Bescheidenheit, von schaamhafter Frömmigkeit werde? Ohne die Physiognomien der Liebe studirt zu haben, sehe ich beides nicht zusammenhangend, und da also ore probus Virgilius. Muß ferner der, der schöne Knaben liebt, denn damit aller Bürgerlichen Ehrbarkeit, und, der sie unschuldig liebt, aller Tugend der Seele entsagen? Und siehe! da ist animo, cætera vita probus Virgilius – wo ist der ungereimte Widerspruch, insonderheit zu den Zeiten Mäcenas?

Es sey indessen, oder nicht; was will Hr. Kl. mit seinem ganzen Büchlein? Ein Heldengedicht, ein Gedicht von der Feldwirthschaft, Schäferpoesien, können Virgilen immer, als Dichter, und, wenn man will, als bescheidnen Dichter, zeigen; aber auf sein Leben, auf seinen Charakter, und insonderheit auf die fromme Mine seines Gesichts können sie weniger beweisen, als Swifts Predigt über die Dreieinigkeit beweisen kann, daß er in die Biergesellschaften, als ein verkleideter Satyr, gegangen; daß er sein Märchen von der Tonne geschrieben. Wenn diese Abhandlung beweisen soll,[312] daß er im Verstande Donatus ore probus gewesen, beweiset sie nichts. Wer wird sagen, daß deßwegen D. Luther züchtig ausgesehen; oder, daß er in seinen Tischreden jedes Wort auf die Goldwage gelegt, weil sich nichts von solcher Art in seinem Gesangbuche befindet? Wenn Virgil scriptis probus ist: muß er darum auch ore probus gewesen seyn? Ich weiß nicht, wie durch solchen Weg Etwas auf Virgils persönlichen Charakter folge.

Für uns ists schwer, etwas auf ihn auszumachen; ob es aber ganz unmöglich sey, ob Virgils persönlicher Charakter ganz zweideutig bleiben müsse, sehe ich auch nicht so helle, daß ich Hrn. Klotzens non licet aliquid certi hac de re statuere3 unterschreiben dörfte. Mir fehlet die Kunst Leßings, Virgil, seinem gewöhnlichen Charakter nach, so zu retten, als er seinen Horaz gerettet hat; und außer dem fehlet mir der Ort dazu. Ich will also wenigstens einige Materialien anführen, die ein andrer vermehren und ordnen könnte, um Virgils Schaamhaftigkeit zu retten, oder wenigstens genauer des Gegentheils überzeugt zu werden.

Der Hauptzeuge über Virgils Unmäßigkeit pflegt Donatus zu seyn: aber wer ist Donatus? Aller Wahrscheinlichkeit nach, ist das Leben Virgils, das unter seinem Namen geht, von jüngerer Hand, und kann kaum den Grundzügen nach, dem Grammatiker selbst zugehören.4 Der Autor der Anklage ist also ungewiß, und so, wie er sie vorträgt, die Anklage selbst. Fama est, eum libidinis pronioris in pueros fuisse, und von wem rührt diese Fama her? Das liebe Soll, das gewöhnliche Man sagt hat, wie Leßing sich munter ausdrückt, schon manchen ehrlichen Mann um seinen ehrlichen Namen gebracht. – – Kurz! als Hauptzeuge, als erster Ankläger, kann dieser Donatus ohne Kopf und Mund nicht gelten: er trete zurück, bis die Reihe an ihn kommt.

Servius tritt auf: aber Servius ist ein Ausleger, ein Grübler über Virgil; und was läßt sich nicht ausgrübeln? Seine spätere Sage gilt noch weniger, als die erste; denn was ließ sich zwischen[313] Virgil und Servius nicht alles sagen, und wieder sagen? ohne daß es jemand zuletzt bekräftigen, ohne daß es jemand wiederlegen konnte? Ein Zeugniß also, Jahrhunderte nachher, aus einer so trüben Quelle, oder vielmehr aus dem so weit abgeleiteten Abflüsse einer so trüben Quelle gilt nicht. Es müssen frühere Zeugen gegen Virgil auftreten, von denen etwa die Sage kam, die der Begebenheit näher waren, und da sind: Hr. Kl. hat sie nicht für gut befunden, anzuführen oder abzuhören, Martial und Apulejus.

Und was sagt denn Martial aus?5 Er singt das alte Lied, daß ein Mäcenas einen Maro mit seinen Geschenken hervor gebracht: daß es gut sey, ein Virgil zu werden, wenn man sein Landgut zurück, wenn man Reichthümer oben darüber, wenn man alles bekommt, was unser Herz wünschet; z.E. einen schönen Alexis –


Accipe divitias & vatum maximus esto

Tu, licet & nostrum, dixit, Alexin ames.

Adstabat domini mensis pulcherrimus ille,

Marmorea fundens nigra Falerna manu;

Et libata dabat roseis carchesia labris,

Quæ poterant ipsum sollicitare Jovem.

Excidit attonito pinguis Galathea poetæ

Thestylis, & rubras messibus usta genas.

Protinus Italiam concepit, & arma, virumque –


Was hat nun Martial Böses ausgesagt? Ungründliches, seichten Halbwitz, der ihm nicht viel Ehre macht, wohl; aber Böses, das Virgils Namen befleckt? Nichts. Ich lerne Virgil aus diesem Epigramm blos als einen glücklichen Dichter, als einen ungemessenen Günstling seines Herrn, und, wenn man will, als einen seinen Wohllüstling, kennen; anders nicht. Seine geraubten Güter hat er zurück; reiche Geschenke nach reichen Geschenken; ihm steht der schöne junge Alexis bei Mäcen kaum an, und sogleich ist er sein eigen. Da sitzt nun Virgil an seiner Göttertafel, und sein[314] schöner Ganymedes vor ihm! bei solchem Ganymedes läßt sich freilich seine vorige feiste Landschöne, Galathea, wohl vergessen; da läßt sich wohl ein arma virumque anstimmen – – Man siehet, wo Martial mit seinem hinkenden Schlusse hinaus will; aber im mindesten nicht auf Virgils Ehre. War es denn Schaamlosigkeit, einen Alexis vom Mecänas zum Geschenke annehmen, ihn lieben, sich an ihm, als Mundschenken, bei Tafel erfreuen, schöne Leute und, nach Römischer Wirtschaft, schöne Knaben um sich zu sehen? Ich weiß nicht, welcher Ehrbare nicht in der Stelle Virgils, in seiner Gunst Mecänas, in seiner seinen Art, diese Gunst zu genießen, seyn könnte. Von bösartiger Anspielung sehe ich im Epigramm nichts, ganz und gar nichts. Und ist Martial wohl der Mann, so Etwas Zu verschweigen, wenn ers hätte sagen können? Ist er nicht eben der, der gewiß zu erst die berüchtigte Virgilianische Ekloge angezogen hätte, wenn sie ihm unter einer bösartigen Allegorie, und nicht anders, hätte bekannt seyn müssen? Wer den witzigen Menschenfreundlichen Martial kennet, wird in solchem Falle solch Betragen sehr epigrammatisch, sehr Martialistisch finden. Da er gegentheils nichts darüber äußert, an mehr als einem Orte nichts äußert: so ist Martial nicht blos kein Zeuge gegen Virgil, sondern durch sein Stillschweigen fast auch ein Zeuge für ihn. Ein böser Witzling, wie er, hätte Virgilen gewiß nicht so höflich durchwischen lassen, wenn er Schaamlosigkeit als Virgils Hauptvergnügen gekannt hätte. Wie? er hätte Virgils Glück und Vergnügen beschreien wollen, und so etwas sich können entwischen lassen?

»Schon aber Apulejus6 deutet ja die berüchtigte Ekloge auf seine Liebeshändel mit dem Alexis.« Gut! ich nehme sein Wort für Etwas mehr, als Deutung, für Zeugniß an; und wofür mehr kann ichs nehmen? Virgil also habe sein Schäfergedicht auf den Knaben seines Freundes gemacht; er seys, der unter dem Namen Coridons spreche, und fühle, und seufze, weil es Apulejus sagt – wozu aber sagt es Apulejus? – Etwa um Virgils Unmäßigkeit[315] zu tadeln, und seine bösen Sitten zu schelten? Umgekehrt! mitten unter Apologien für die Liebhaber der Schönheit führt er ihn noch mit einem Lobe der Bescheidenheit an, daß er der Namen seiner Günstlinge im Gedichte geschonet. Schlechtes Lob! wird man sagen, über eine Tadelswerthe Handlung; elende Bekleidung eines Fehlers, ihn Namenlos zu begehen! Aber wo mag der Fehler, die Tadelswerthe Handlung denn bei Apulej wohnen?

Ich mag keine neue Vertheidigung der Sokratischen Liebe übernehmen, da schon mehr, als einer, sie vertheidiget hat: ich betrachte Virgil nicht mehr, als Sokratischen Liebhaber seines Alexis, sondern als den Liebessänger desselben; und welch ein brennender Liebesgesang? wer könnte die Flamme noch entschuldigen? – Ich bins, der sie entschuldigt; und eben der Apulejus, der meinen Eklogisten für einen Liebessänger in seinem, ob gleich verdeckten, Namen angiebt, mag ihn auch rechtfertigen. Er rede: Quanto modestius Mantuanus Poeta, qui itidem, ut ego, puerum amici sui Pollionis Bucolico ludicro laudans – – Wie? so ist Virgils Ekloge, nach Apulejus Zeugniß, blos ein scherzhaftes Lob- ein scherzhaftes Hirtengedicht gewesen? so unschuldig, daß Apulej sich nicht sicherer stellen kann, als mit ihm in eine Classe? so unschuldig, daß es zu Apulejs Zeiten offenbar nur für einen Spaß, für eine scherzhafte Tändelei galt? – Was soll den Apulej gegen ihn; er ist der beste Freund für ihn.

Und was ist wahrscheinlicher, als Apulejus Nachricht? Ich stelle nur den hübschen Jungen des Pollio, und das schaamhafte Jungfrauengesicht, den züchtigen Virgil, vor, wie er nach ihm schielet; wie er sein Auge an ihm weidet, ihn lobet, ihm liebkoset. Pollio macht die Sache zum Spaße: sein Freund soll erst ein Coridon werden; soll erst um Alexis werben. Virgil wird Coridon: er verwandelt sich in einen Poetischen Schäfer: ahmt Theokriten nach, und setzt sich nach Sicilien mit seinem Alexis. Da klaget er den Wäldern ungefühlte Leiden: da ächzt er über seine unempfundne Verzweiflung: da seufzt er über seine Verachtung, über die Sprödigkeit seines Lieblinges – da wird seine zweite Ekloge.[316] Ein feines Lobgedicht auf Alexis! eine schöne Poetische Liebeswerbung – werth eines schönen Knaben, werth eines Alexis. Virgil hat ihn sich ersungen: da steht er nun, wie Martial dichtete, vor dem Tische seines neuen Herrn, ein irdischer Ganymedes, und gießt mit weißer Marmorhand Falernerwein: da kostet er mit Rosenlippen den Trank, den ein Jupiter selbst beneiden könnte. Da kann der im Schauen gesättigte Dichter wohl seine alle gesunde Landgalathee, seine verbrannte. Thestylis vergessen: der feine Wohllüstling, der enthaltsame Virgil, hat bessere Freuden, die ihm – sein ludicrum Βουκολικον, sein feines Lobgedicht brachte.

So sprach das Alterthum vom Virgil: aber von jeher hat es auch nicht an Klotziis7 gefehlt, die die bona fama eines Dichters aus seinen Gedichten beurtheilen, die den feinen Schluß machen konnten: Quid? ea de se ipse commemorat facinora poeta, cur non alius quisque ab illo patrata esse diceret? Von jeher hat es nicht an Leuten gefehlet, die nicht nach den Schriften, sondern nach den Anekdotchen eines Autors begierig, solche Personalien halb aufhörten, und halb dichteten, und sie denn, wenn sie bescheiden waren, mit einem ungebetnen Er soll! der Welt empfahlen, oder, wenn sie die Bescheidenheit nicht brauchten, mit einem gewissenhaften Er hat! aufdrangen. Und das ist das Unglück Virgils, das ist das Unglück so mancher Unschuldigen gewesen.

Zuerst Donatus – doch nein! wie gesagt, Donatus nicht selbst, sondern sein Zusammenstoppler, sein Ergänzer – dieser Pseudo-Donatus also, was konnte er besser, als den Biographischen Grundriß, den er vorfand, mit Anekdotchen zu ergänzen, mit personellen Lügen zusammen zu stoppeln? Und zu dieser so angenehmen, den Lesern so belustigenden Sache, wie gelegen war ihm der Brocke, den Apulej entfallen lassen! Apulejus erzält: Virgil habe seine Lieblinge nach Sokrates Art gehabt – freilich, das unleugbar! aber bilde es aus; sage: wen Virgil so geliebet? und setze den[317] höflichen locus communis voraus: eum libidinis pronioris in pueros fuisse – Freilich ein ungereimter Wiederspruch! eine unerhörte sich selbst strafende Lüge: denn wo hat Sokrates so geliebt? Aber, was schadet das? ein man sagt; ein fama est! kann schon Etwas bei dem Pöbelleser zur Noth zudecken; und für wen andern werden Anekdoten fabricirt? So war eine Lüge, eine widersinnige Lüge fertig: widersinnig, denn welcher Mensch, der bei sich selbst ist, wird ohne Rücksicht beides glauben können, eum libidinis pronioris in pueros fuisse, und doch eum amasse ut Socrates – und doch vita et animo probum fuisse. So wenig ich mir von der Sittlichkeit der damaligen Römerwelt große Begriffe mache: so kann der Wiederspruch doch in sich selbst nicht Statt finden. Er ist Chikane, er ist Verläumdung, Verdrehung eines alten gutherzigen Autors.

Woher aber die Knaben, die man ihm unterschob? Was weiß ich das? Gnug! Apulejus hatte den Namen Alexis für einen erdichteten Namen angegeben, und nun konnte unter ihm was eher, als ein Alexander, verborgen liegen, der nur ins Sylbenmaaß nicht konnte? Nur noch ein Cebes, eine Plotia Hieria, oder Leria, oder Aleria, oder wie man die Aelia Lälia Crispis nennen wolle, dazu, und die Tradition ist zum völligen Märchen geworden. Wie anders, als daß jetzt jeder gründliche Ausleger der Coridonsekloge solche artige Erläuterung nicht auslassen kann? Er lasse lieber, um derselben noch mehr Gewißheit, um seinem Texte mehr Anschaulichkeit zu geben, noch gar das fama est, vulgatum est, weg: denn wer will hier Geschichte? das Märchen erläutert ja so schön! – armer Virgil! der Stab ist über dich gebrochen! deine schaamlose Ekloge liegt ja der Welt vor Augen! Da ist dein Servius!

Nun sage mir ein Poetischer Leser, wie, wenn die Ekloge eine historischwahre Liebesflamme seyn soll, die besten Stellen erklärt werden sollen. Wo waren denn die dunkeln Wälder, die Corydon mit seinen Klagen erfüllte? Wo ist die Wahrheit des Schäferreichthums, den er preiset? Wo sind seine Heerden in Sicilien, seine[318] Amaryllis, Thestylis, Menalkas? Wo der Bach, in dem er neulich zuerst sich gesehen? Wo seine ganze Schäferwelt, in der die Ekloge lebet? Ist sie Poetisch, ist sie Dichterisch – wie? und der Inhalt soll nicht Dichterisch seyn? Ihr wollet, was ihr nicht deuten könnet, der Muse, und was ihr nicht deuten sollet, dem Virgil, als Menschen aufbürden? Ihr wollet das Gedicht zu einem Ungeheuer von historischer Ekloge, von Allegorischer Geschichte verdammen? Wie? wenn ich jedem Dichter das auf seine bona fama anrechnen wollte, was seine Muse singt – Tyrannische Verstümmelung! wer wollte noch Dichter seyn?

»Ja aber, alte Sage, historische Tradition!« Was Tradition? Sie hat sich aus Martial, aus Apulejus, und wo weiß ich mehr her? entiponnen, und Martial und Apulejus strafen die Tradition selbst Lügen. Der eine schweigt, der eine nennt es ein »scherzhaftes Lobgedicht«: ich habe Zeugen, die älter sind, als die Tradition.

Aber das ist Schade, daß man auf der andern Seite rettend fast immer zu weit gegangen, und damit Virgils guter Sache selbst geschadet. Die Ekloge soll blos Poetisches Exercitium, soll ganz ohne die geringste lebendige Anspielung, Corydon und Alexis sollen ganz Romantische Wesen seyn, und dies ist freilich, nach dem, was Martial und Apulejus sagen, zu viel verneinet. Virgil kann immer der verkleidete Corydon, Alexis immer der schöne Junge des Pollio, die Ekloge immer ein Individualgedicht seyn: nur es ist eine Poetische Maskerade; ein feines Lobgedicht, ein ludicrum, nach Theokrits Manier.

Man thut also am besten, wenn man diese entwickelt, wenn man die dem Griechen nachgeahmten Stellen anmerket, wenn man zeigt, daß der ganze Bau des Gedichts keine Halbgeschichte, und keine Halbpoesie, zulasse, daß der Poet nach seinem Plane einmal so habe dichten müssen, daß – doch was zähle ich das her, das in der letzten, schönsten Ausgabe Virgils so fein und genau8 erfüllet[319] worden. Es ist keine Partheilichkeit, wenn ich bekenne, daß die Heinische Ausgabe Virgils die Erste in ihrer Art sey, und daß sie in dem bisher so sehr versäumten Geschäfte, einen Schriftsteller des Alterthums in dem eigenen Geschmacke desselben, jedes Wort und jene Note an ihrer Stelle, neu und unentbehrlich, ohne den Dunst unendlicher Parallelstellen und unbrauchbarer Citationen, mit dem stillen Fleiße, und dem ruhigen Gefühle der Schönheit – ich sage, einen schönen Schriftsteller des Alterthums so zu commentiren, dazu macht die Heinische Ausgabe Virgils Epoche.

1

p. 244.

2

p. 245.

3

p. 245.

4

v. Hein. Virgil. p. CXVII.

5

Lib. VIII. 56.

6

Apul. Apolog.

7

Opusc. var. arg. p. 249.

8

Eclog. II. p. 14. etc.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 311-320.
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