Mein Deutschland, strecke die Glieder!

[166] Mein Deutschland, strecke die Glieder

Ins alte Bett, so warm und weich;

Die Augen fallen dir nieder,

Du schläfriges deutsches Reich.


Hast lange geschrien dich heiser –

Nun schenke dir Gott die ewige Ruh!

Dich spitzt ein deutscher Kaiser

Pyramidalisch zu.


O Freiheit, die wir meinen,

O deutscher Kaiser, sei gegrüßt!

Wir haben auch nicht einen

Zaunkönig eingebüßt.


Sie sind uns alle verblieben;

Und als wir nach dem Sturm gezählt

Die Häupter unsrer Lieben,

Kein einziges hat gefehlt.


Deutschland nimmt nur die Hüte

Den Königen ab, das genügt ihm schon;

Der Deutsche macht in Güte

Die Revolution.


Die Professoren reißen

Uns weder Thron noch Altar ein;

Auch ist der Stein der Weisen

Kein deutscher Pflasterstein.


Wir haben, was wir brauchen;

Gesegnet sei der Völkerlenz!

Wir dürfen auch ferner rauchen

In unsrer Residenz.
[166]

Wir haben Wrangels Säbel,

Berlin und seinen Wolkensteg;

Das Maultier sucht im Nebel

Noch immer seinen Weg.


Wie freun sich die Eunuchen!

Die bilden jetzo den ersten Stand,

Der Welcker frißt die Kuchen

Den Königen aus der Hand.


Du hältst dir einen Gesandten,

Deutschland, im Stillen Ozean

Und fühlest den Elefanten

In Indien auf den Zahn.


Die Fragen sind erledigt,

Die Pfaffen machen bim bam bum;

Den Armen wird gepredigt

Das Evangelium.


Wir bauen dem lieben Gotte

Den hohen Dom zu Cöllen aus

Und geben eine Flotte

Auf Subskription heraus.


Die schwarz-rot-goldnen Wimpel

Besorgt der Jakob Venedey,

Als Wappen nahm er den Gimpel,

Sein eignes Konterfei.


Fünfhundert Narrenschellen

Zu Frankfurt spielen die Melodie:

Das Schiff streicht durch die Wellen

Der deutschen Phantasie.
[167]

Quelle:
Herweghs Werke. Berlin und Weimar 1967, S. 166-168,171.
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