Zweite Scene.


[417] Arndt einen Mantelsack über der Schulter, wie von der Reise, kommt mit. Würges von rechts.


WÜRGES.

Nun, alte Wasserratte, wieder binnen?

Ein stürmischer Sonntag, Freundchen und mir schwant,

Es giebt noch andern Sturm heut, als von seewärts.

Die gottverdammten Parallelen sind

Uns übern Hals gerückt, seitdem Ihr fort wart;

Da war kein Halten mehr.

ARNDT.

Ich bin heilfroh,

Daß ich noch gestern gut vor Anker kam.

Heut müßt' ich draußen vor der Rhede kreuzen,[417]

Denn um die Riffe heult die See wie toll,

Und schwerlich fänd' ich Lootsen.

WÜRGES.

Ja, Franz Arndt,

Es geht zu Land und Wasser nicht mehr glatt.

ARNDT.

Was macht der Nettelbeck? Wo steckt er wol?

Hab' ihm aus Riga ein Paar Juchtenstiefel

Für Schleus'- und Dammgeschäfte mitgebracht;

Die halten schon was aus.


Seinen Sack öffnend.


WÜRGES.

Ja, unser Alter!

Den kennt Ihr gar nicht wieder. Wenn Ihr wo

'nen jungen Menschen trefft, der vor sich hin

»Freut Euch des Lebens« pfeift, wenn rings um ihn

Die Bomben krachen – das ist Nettelbeck,

Ihr könnt drauf schwören. Wißt Ihr auch warum?


Ihm ins Ohr.


Weil er verliebt ist.

ARNDT.

Was Ihr sagt! Der Alte?

Nu, zuzutrauen wär's ihm schon. Doch sagt:

In wen? Doch nicht – die Rose?

WÜRGES.

Wär' nicht dumm.

Doch Die ist's nicht; 's ist gar kein Frauenzimmer.

ARNDT.

Ihr spaßt!

WÜRGES.

Wenn Ihr's nicht weiter sagen wollt:

Er ist verschossen in den Commandanten,

Den Gneisenau. Er denkt und spricht nichts mehr,

Als Gneisenau. Na, Unrecht hat er nicht;

Denn 's ist ein Mann recht nach dem Herzen Gottes.

Ihr werdet Augen machen, wenn Ihr hier

Die Werke seht, Bastionen, Wälle, Schanzen,

Wie der das Ding in Schick gebracht. Der Wolfsberg,

Von dem vorzeiten kaum die Rede war,[418]

Um den hat's einen Kampf gesetzt, als wär's

Ein zweites Colberg: Sturm und abgeschlagen,

Und wieder Sturm und wieder abgeschlagen,

Bis wir das Mordloch endlich räumen mußten.

Indessen war der Hauptzweck doch erreicht,

Die Festung aus dem Gröbsten restaurirt,

Die Wälle neu armirt, und was noch sonst

Vonnöthen war. Ich selbst muß sagen, Arndt,

Der Gneisenau versteht's. Und nebenbei

Hat er auch Sentiments. Denn wie wir gestern

Dem Waldenfels, Dombrowsky und den Andern,

Die bei dem letzten Wolfsberg-Sturm gefallen,

Die Ehrensalven übers Grab geschossen,

Da sah ich, wie der Commandant sich selbst

Umdrehte, weil's ihm naß ins Auge kam.

Er hat ein Herz für Jeden, ganz gleichviel,

Ob Bürger, ob Soldat. Wer seine Pflicht thut,

Dem ist er wie ein Vater.

ARNDT.

Kann doch Alles

Nichts helfen, Würges. Endlich muß es hier

Doch biegen oder brechen.

WÜRGES.

Brechen? Ja!

Doch biegen? nein! und helfen hilft es wol.

Seht, Freundchen, wenn ich heut als braver Kerl

Die Lunte werfe in den Pulverthurm,

Um ihn dem Feind nicht in die Hand zu liefern,

Und meine Glieder mir am jüngsten Tag

Aus allen Winkeln muß zusammenlesen,

So hilft das allerdings; denn es beweis't,

Daß nicht, wie es wol manchmal scheinen möchte,

Die braven Kerls heut ausgestorben sind!

Und wie der alte Fritz sagt –


Die Glocken fangen an zu läuten.
[419]

ARNDT.

Ich muß fort;

Doch wenn Ihr Nettelbecken –

WÜRGES.

Hört Ihr wol?

Da läuten sie zur Kirche. Dacht' ich doch,

Choräle singen sei jetzt nur für Weiber;

Da aber kommt auch eine Mannsperson.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 417-420.
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