Erste Scene.


[277] Leporello liegt schlafend auf der Bank. Don Juan in dunklem Gewande, einen Dolch im Gürtel, einen Stab in der Hand, kommt den steilen Weg herab, hinter ihm ein alter Fischer.


DON JUAN bleibt erschöpft stehen. Geh nun voraus, Alter! Ich bedarf deiner nicht mehr und will hier einen Augenblick rasten. Da liegt ja wahrlich auch mein Diener noch, wo wir ihn verlassen haben. He, Leporello!

LEPORELLO schlaftrunken. Bei meiner armen Seele, Herr – 's ist ja noch stich dunkle Nacht –

DON JUAN. In deinem Schädel, Murmelthier. Zu dem Alten. Nun? Was zauderst du noch? Ja so! Giebt ihm Gold.

DER ALTE. O Ew. Gnaden, das ist zu viel!

DON JUAN giebt ihm noch mehr. Nein, hier, nimm Alles, was ich bei mir trage. Hättst du mich nicht zurückgerissen als mich am Kraterrand der[277] Schwindel packte, so läge jetzt dies Gold geschmolzen in dem grausen Tiegel, und sein Besitzer, zu Asche geglüht, flösse mit der Lava zu Thal, oder stäubte mit einer Funkengarbe gegen das Firmament.

DER ALTE. Ihr redet fürchterlich, Herr! Ich hab' doch Manchen schon hinaufgeführt, dem's droben wirblich und wunderlich zu Sinne wurde, aber Keinen, der mit solchen Augen, wie Ew. Gnaden, in den Höllenkesfel hineinsah.

DON JUAN. Hast du sie nie an dir selbst erlebt, die unentrinnbare Magie des Grauens? Glutströme aus ewig unerschöpften Tiefen, eine Feuerseele, die aus ihren Banden sich losringt und den Himmel stürmen möchte, aus Wuth darüber, daß er so unnahbar feierlich sie angrins't! – – Es zog mich mit Gewalt, als ob da unten mich ein Geist erwartete, dem meinen blutsverwandt. Wär's nicht auch neidenswerther, in einem einzigen schaurig-kühnen Augenblick mitten aus der Fülle des Lebens der flammenden Vernichtung in den Schooß zu sinken, als langsam Glied für Glied von Gicht und Fieber zermalmt zu werden?

DER ALTE. Die Madonna bewahr' einen Jeden vor einem so schreckhaften, unbußfertigen Ende! Seht, Herr, was Gicht und Fieber sind, weiß der alte Pasquale auch. Aber wenn man wohl aufgehoben ist bei Kindern und Kindeskindern –

DON JUAN setzt sich auf die Bank, von der Leporello sich langsam erhoben hat. Wenn du gut versorgt bist, alter Mann, warum treibst du noch das mühselige Gewerbe, Fremden den Weg zum Krater zu weisen?

DER ALTE. Man will sich doch rühren, Herr, so lang man noch Athem hat, will kein unnützer Brodesser sein, selbst bei den eignen Kindern. Freilich, mein Sohn und die Schwiegertochter, die wären's schon zufrieden, wenn ich bloß am Herd säße, den kleinen Beppo auf den Knieen, den Wiegenkorb[278] schaukelte, drin die Lalla schläft, und dem Antonino, der immer nur von Schifferei träumt, einen Kahn schnitzelte. Sind liebe kleine Krausköpfe, Ew. Gnaden, und hängen am Großvater wie die Kletten. Wenn Ihr uns die Ehre erweisen wolltet – gleich das dritte Haus linker Hand –

DON JUAN. Ich habe Eile, Alter, will noch vor Nacht in Neapel sein zu den Hochzeitsfeierlichkeiten des jungen Prinzen.

DER ALTE. Nun so geleit' Euch die Madonna und vergelt' Euch Eure königliche Güte und Großmuth, indem sie Euch auch so brave Kinder und Enkel beschert, wie dem armen Pasquale, auf daß auch Ihr einmal ein zweites und drittes Leben erlebt in Eurem eigenen Fleisch und Blut. Gott befohlen, Herr! Hascht nach Don Juan's Hand, die er hastig küßt, und geht um die Ecke nach rechts ab.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 277-279.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Don Juan's Ende
Dramatische Dichtungen: Bändchen 13. Don Juan's Ende