Fünfte Scene.


[285] Don Juan allein. Dann ein Karthäuser.


Und doch – wenn er Recht hätte – wenn's thöricht wäre, Zeit und Mühe an die Zähmung dieses trotzigen Wildlings zu wenden? – Es ist nicht mehr mit mir wie sonst. Das Wagen reizt mich mehr als das Gewinnen, der Kampf mehr[285] als die Beute. Und dann – die Oede hier innen, die mich immer unheimlicher angähnt –! Immer nur das alte Spiel in neuen Masken – auf die Länge wird's abgeschmackt. Doch womit betröge man sonst den Heißhunger nach Leben und Glück? Ob es klüger wäre, wie die Meisten thun, die ganze Posse ernst zu nehmen, in Geschäften zu keuchen, sich einzubilden, man könne etwas wirken, schaffen, die lahme Welt vorwärts schieben? Als träfe man am Ziel jedes Weges auf Jemand anders als sich selbst! Die Narren spielen nur länger mit sich selbst Versteckens. während ein kluger Mann sich nie aus den Augen verliert.


Der Karthäuser tritt auf, von rechts.


Da kommt Einer von Denen, die sich einbilden, sie hätten dem Dichter der Weltkomödie über die Schulter geblickt, seien eingeweiht in seinen Plan. Ich will ihm auf den Zahn fühlen. Steht auf. Seid gegrüßt, ehrwürdiger Bruder!

DER MÖNCH. Der Friede Gottes sei mit Euch!

DON JUAN. Ihr wünscht mir, was nicht zu erreichen ist, Bruder. Ist der Friede Gottes von dieser Welt?

DER MÖNCH. Er ist in unserem Herzen, sobald wir unser Herz ablösen von dieser Welt.

DON JUAN. Wer vermag das, so lang' die Welt ihn umgiebt?

DER MÖNCH. Wer der Sünde abstirbt.

DON JUAN. – und Asche auf sein Haupt streut und miserere wimmert. Ich weiß nicht, guter Bruder, warum wir dies Fragespiel fortsetzen, da ich im Voraus alle Eure Antworten kenne. Aber sagt mir Eins: Ihr seid Karthäuser, wie ich an Eurer Kutte sehe, und brecht doch das Gelübde des Schweigens?[286]

DER MÖNCH. Mein Prior sendet mich in Geschäften an den Abt des Minoritenklosters am Berg Sant Angelo. Bis ich die Sendung vollbracht, darf ich reden. In San Martino wird meine Zunge wieder gefesselt.

DON JUAN. San Martino sagst du? Jene herrliche Abtei hoch über Neapel? Ihr nistet dort wie die Adler im Gebirg. Die aber schwingen sich aus dem steilen Horst auf ihre Beute herab und wenn sie ein Lamm aus der Hürde ergriffen, tragen sie's durch die Luft in ihr Nest empor. Wie macht ihr's, daß ihr euren Begierden wehrt, sich wie Raubvögel in die freudenwimmelnde Stadt hinabzustürzen? Ihr seid noch jung, Bruder. Euer Geist mag willig sein; das Fleisch ist noch zu stark, als daß es nicht schwach sein sollte. Wie könnt Ihr die stumme Einsamkeit ertragen?

DER MÖNCH. Wir sind nicht einsam; Gott ist bei uns. Wir sind nicht völlig stumm; wir reden mit ihm.

DON JUAN. Und droben auf San Martino antwortet er, wenn man ihn fragt?

DER MÖNCH. Aus Eurer Rede spricht ein sündiges Herz. Dem reuelosen Sünder verstummt Gott.

DON JUAN. Du aber, Mönch, willst auch du mir verstummen, wenn mich die Laune anwandelt, dir zu beichten? Der Mönch sieht ihn forschend an. Du zweifelst, daß es mir Ernst sei?

DER MÖNCH setzt sich. Redet!

DON JUAN. Zunächst denn: ich bin ein Verbrecher von Kindesbeinen an; ich habe meine Mutter getödtet.[287]

DER MÖNCH. Unseliger!

DON JUAN. Meine Geburt kostete ihr das Leben. Diesen Mord bereue ich sehr. Er hat mich darum gebracht, die einzige Frau kennen zu lernen, die ich geliebt hätte, ohne ihrer zu begehren. Meinen Vater hab' ich gehaßt. Er war so thöricht, meinen Willen brechen zu wollen, den er doch selber mir ins Blut gepflanzt, da er mich zeugte. Zum Glück starb er früh und Unterließ mir große Güter.

DER MÖNCH. Armer Mensch! So hattest du Niemand über dir, zu dem du in Ehrfurcht aufblicken konntest?

DON JUAN. Doch, ehrwürdiger Bruder: den Schöpfer aller Dinge, der mich mit Kraft und Schönheit ausgestattet und mir unersättliche Sinne verliehen hat für unerschöpfliche Freuden. Als ich begriff, wie sehr er mich bevorzugt, gelobt' ich mir, als einer seiner Lieblinge ihm Ehre zu machen, indem ich seine reiche Welt genoß, so viel ich konnte. Ihr nennt das Sündigen; mir däucht' es ein gottwohlgefälliges Thun.

DER MÖNCH. Und hast du deiner Selbstsucht nie den Frieden einer andern Seele zum Opfer gebracht?

DON JUAN. Wer, der da lebt, lebte nicht auf Kosten Anderer! Du selbst, wenn du in heiliger Selbstsucht Himmelsfrieden vorgenießest, versäumst du nicht ein Weib zu beglücken und frohe Geschöpfe in die Welt zu setzen? Ich habe Keine verlassen, die nicht die Stunde, die ich ihr geschenkt, für köstlicher hielt, als Jahre in gemeinem Wechsel von schaler Lust und dumpfer Langerweile. Der Schmerz, mich zu verlieren, war der Kaufpreis für das Glück, mich besessen zu haben.

DER MÖNCH steht auf. Der Herr erbarme sich deiner verlorenen Seele! Ich vermag dich nicht loszusprechen. Wem beichtetest du zuletzt?[288]

DON JUAN. Vor zwanzig Jahren einem Bettelmönch in Sevilla, meiner Vaterstadt. Er rieth mir, da auch er mein ewiges Theil verloren gab, wenigstens mein irdisches vor den Höllenstrafen der Inquisition zu retten. Ich hatte eine Nonne vom Altar weg gelockt, und da ihr Vater sie mir abtrotzen wollte, den würdigen Greis erschlagen in blinder Nothwehr.

DER MÖNCH. Entsetzlich! Und selbst um solchen Gräuel fühlst du nicht die Zähne der Reue an deinem Gewissen?

DON JUAN. O Bruder, ich bereute lang und heiß, daß ich die schöne Geliebte nicht vor mir aufs Pferd geschwungen und in die Welt entführt hatte. Ihre Thränen, die um den todten Vater flossen, entmannten mich. So ließ ich sie zurück und entfloh allein – und habe sie nie vergessen; und da ich heute ihren Ring verlor, den mir die Himmelsbraut Angesichts ihres göttlichen Verlobten unter scheuen, seligen Küssen an den Finger gesteckt, war mir's ein frischer Schmerz. Kannst du mir eine Buße nennen, die diesen Stachel mir au der Seele lös'te?

DER MÖNCH. Ich will beten, daß der Herr das Licht seiner Gnade in die Nacht deines Herzens sende. Auf deiner Stirn seh' ich ein Zeichen, das mir sagt: du bist ein Abtrünniger, doch aus der Schaar seiner Engel. Mitten in deinen Höllenflammen wirst du im Frost der Selbstsucht Qualen leiden und zurückstreben nach jener Liebe, die allein erleuchtet und wärmt. Gedenk an dieses Wort. Und Gott geleite dich!


Geht langsam ab nach links.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 285-289.
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Don Juan's Ende
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