Dritte Scene


[322] Durch die Mittelthür links Martina ein brennendes Lämpchen tragend, hinter ihr Ghita.


MARTINA stellt das Lämpchen auf den Tisch. Nein, nein, nein! Sage, was du willst, Contessina, ich mußt' es thun, ich hätte sonst keine ruhige Stunde gehabt. Ich mußt' es der Frau Gräfin zu wissen thun, daß der Schelm, der Gianotto, wieder da ist, ja das mußt' ich, denn es ist ein wahres Wort: Furcht hilft vor Schaden, und immer ein Aug' auf die Katze und eins auf die Pfanne, ja ja ja!

GHITA. Wie der Mond so hell scheint!

MARTINA. Er brauchte nicht so hell zu scheinen, man könnt's im[322] Finstern mit den Händen greifen, daß nicht Alles ist, wie es sein soll. Nein, die alte Martina ist kein Wickelkind, nein, nein!

GHITA. Wie sollt's denn anders sein, Mütterchen? War' ich denn so vergnügt, wenn nicht Alles wäre, wie es sein soll?

MARTINA. O Mutter der Gnaden! die Jugend, die Jugend! Was Jugend freut, bringt dem Alter Leid. Meinst, Ghitina, ich hätte nicht gemerkt, warum er keinen Bissen aß, selbst nicht von dem Lammsbraten, der sonst seine Leibspeise war? Bloß, weil er immer nur dich mit den Augen verschlang. Und wie du das Glas hinstelltest, aus dem du getrunken, griff er nicht danach und trank auch daraus, an derselben Stelle, wo du deine Lippen angesetzt?

GHITA vor sich hinlächelnd. Er that's, weil er die Lippen selbst nicht berühren durfte. Er liebt mich! Geht nach dem Balkon, sieht hinaus.

MARTINA. Liebt dich? O Heilige des Himmels! Und das sagst du, als müßt' es so sein? so ruhig wie man ein Vaterunser betet?

GHITA. Warum nicht? Wird mir doch eben so still und froh dabei, an seine Liebe zu denken, wie wenn ich bete zu unserm himmlischen Vater. Und sollt' ich ihn nicht wiederlieben? Ist er nicht so liebenswerth, daß man ein Stein sein müßt', ein Ungeheuer, um ihn nicht zu lieben?

MARTINA schlägt die Hände zusammen. Allbarmherziger!

GHITA. Nein, liebe Alte, nicht jammern und wehklagen, frohlocken wollen wir und dem Himmel danken, daß wir ihn wieder haben und nun immer behalten. Die bösen, endlosen drei[323] Jahre – wie eine einzige lange, helldunkle Nacht liegen sie nun hinter mir, nur ausgefüllt durch den schönen, leuchtenden Traum von ihm, wie durch einen Mond, der nie unterging. Nun ist er da, nun hab' ich die Augen offen – und sehe wieder nur ihn! Steht in Sinnen verloren.

MARTINA. Wenn der Herr Graf dich so hörte und die Frau Mutter –!

GHITA. Hörten sie da etwas Neues? Sieh, Mütterchen Martina, oft war mir's, als wäre ich ganz aus einem durchsichtigen Kristall, und die stille Flamme in mir strahlte hindurch, daß Alle sehen müßten, wie's in mir war. Und zuweilen erschrak ich selbst darüber und schloß unwillkürlich die Augen, als bräche das innere Leuchten da heraus, und Alles müsse Feuer! schreien und sich ängstigen für sein eigen Leben. Und dann mußt' ich über meine Furcht lächeln, denn dieses Feuer thut nur wohl, nicht weh. Warum hätt' uns Gott so geschaffen, daß wir für einander sind, wie zwei Kastanien in Einer Schale, wenn etwas Böses dabei sein sollte? Und meine Eltern, die ihn mir zum Spielgefährten gaben –

MARTINA. O ärmste Unschuld! Das Leben, Kind, ist kein Spiel. Dein Vater, der dich mit dem Herzog von Candia vermählen will –

GHITA lächelnd. Der selbst mein Vater sein könnte? Laß sie nur kommen, Alte, den Vater und meine Mutter, und Gianotto wiedersehen! Glaubst du wirklich, daß irgend Jemand ihm widerstehen kann, wenn er so recht von Herzen um etwas bittet?

MARTINA. Gebenedeite! O die Kinder, die Kinder! Klein, treten sie uns auf den Leib, und groß, aufs Herz! Aber ich muß meine Schuldigkeit thun, das muß ich. Höre, Contessina, ich muß dich einschließen diese Nacht.

GHITA. Meinst du, ich könnte gestohlen werden?

MARTINA. Ja, und ich kenn' auch den Dieb, kenn' ihn nur zu gut! O daß die Nacht erst herum wär'!

GHITA. Dir braucht nicht bange zu sein. Wer mich haben soll dem geb' ich mich frei. Fängt an, ihr Haar auszuflechten. Aber wie du willst, Alte, wie du willst. Singt.

Drei Tag' schon liegt Ninette

Ninette

Im Bette frisch und roth –

Hast du gesehen, was er für weiße, kleine Ohren hat? Die hat er nicht von dir. Und wie ihm das schwarze Wamms steht? Singt.

Erweckt sie um die Wette,

Um die Wette!

Sie schläft sich sonst zu Tod –

MARTINA an der Thür, den Schlüssel abziehend. Schlaf du nur auch, armes Seelchen! Ach, ach, wirst früh genug aus deinem süßen Traum aufwachen! Wenn die Madonna kein Wunder thut –

GHITA läuft zu ihr hin, umarmt sie. Sie wird, Mütterchen! Warum wäre sie sonst Mutter der Gnaden? Du aber – hab tausend Dank, daß du ihn mir geboren hast!

MARTINA. Nein, nein! Laß mich! O ich bin die unglückseligste Creatur unter der Sonne!


Eilt hinaus, schließt hinter sich ab.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 322-324.
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