Vierte Scene.


[324] Ghita. Don Juan hinter dem Vorhang.


GHITA kommt langsam in den Vordergrund zurück. Wie man nur lieber fürchten als hoffen mag, lieber zweifeln als glauben! Ach freilich, um recht fest und getrost zu sein, daß die ganze Welt unsern Frieden nicht erschüttern kann, dazu gehören Zwei. Wüßt' ich nicht, daß er so an mir festhält, wie ich an ihm – oh, es nur zu denken, jagt mir einen kalten Schauer über den Leib! Guitarrenklänge draußen vor dem Balkon. Himmel, das ist er! Lauscht hinaus.

GIANOTTO singt im Garten.

»Am Himmel steht der Mond in lichtem Prangen,

Die Stirn der Nacht mit Silberschmuck zu kränzen.

Ach, wären mir zwei Sterne aufgegangen,

Sie würden allen Mondglanz überglänzen.«

GHITA vor sich hin lächelnd. Seine weiche Stimme liebkos't mir das Herz wie eine sanfte, schmeichelnde Hand


Nähert sich der offenen Glasthür.


GIANOTTO singt.

»Da seh' ich meinen Doppelstern erscheinen,

Und weiß nicht, soll ich lachen oder weinen.

Da geht mein süßes Augenpaar mir auf –

Ach, keine Leiter reicht zu ihm hinauf!«

GHITA an der Schwelle des Balkons hinuntersprechend. Das ist auch ein Glück, mein schöner junger Herr! Man steigt nicht auf Leitern in den Himmel hinein, sondern fein sittsam durch die Kirchenpforte. – Gute Nacht, lieber Sänger, und Dank für die Serenade! Eure Stimme ist noch nicht eingerostet im Bücherstaube. Aber nun geh – geh! – Um Gott, was thust du? Heftig hinabwinkend. Nein, nimmermehr! Nicht am Spalier hinauf, hörst du wohl? Es darf – es kann nicht sein – wenn du mich liebst, Gianotto –[325]

GIANOTTO'S STIMME. Nur auf zwei Augenblicke, nur um eine gute Nacht zu sagen!

GHITA sehr entschieden. Wenn du mir nicht gehorchst und von diesem tollen Beginnen abstehst – ich scherze nicht – so wahr ich selig werden will: es ist aus zwischen uns, ich rede nie mehr ein Wort mit dir –

GIANOTTO'S STIMME. Grausame! Muß es denn sein?

GHITA milder. Es muß, lieber Gianotto! Ach, fühlst du nicht, daß ich grausam bin gegen mich selbst? Geh schlafen, geh und träume von deiner Ghita!


Ein Strauß fliegt über den Balkon herein.


Die schönen Rosen! Hebt den Strauß auf, tritt damit an den Balkon. Dank, Dank, mein holder, einziger, braver Gianottino! Und wart! Nimmt eine Rose heraus, küßt sie, wirft sie hinunter. Ich sende dir diesen Kuß zur guten Nacht. Fang'!

GIANOTTO'S STIMME. Liebste Geliebte! Gute Nacht!

GHITA winkt hinunter, tritt dann zurück. Er geht – er setzt sich an den Rand des Springbrunnens und drückt die Rose an die Lippen – süßer Liebster! – Wie mir das Herz noch klopft! – Wenn er dennoch heraufgekommen wäre, hätte ich wirklich die Kraft gehabt, zu fliehen? Und wohin? Sieht sich lächelnd um. Bin ja gefangen hier. Ich muß nur den Balkon schließen, sonst – wer weiß! – Und doch, wie ich schlafen soll in dieser dumpfen Luft – und seine Augen stehen wie zwei helle Sonnen vor meinem inneren Sinn – Drückt die Augen gegen den Strauß. O zu denken, daß, wenn man verheirathet ist, man immer beisammen sein darf, Tag und Nacht – es macht schwindlig. – Ich will zur Madonna beten, daß sie mir fromme, stille Gedanken giebt. Geht nach dem Betschemel, kniet nieder den Strauß immer zwischen den[326] gefalteten Händen, das Gesicht darauf gedrückt. Wie sie nach einer kurzen Pause sich erhebt und umblickt, steht Don Juan, der den Vorhang zurückgeschlagen hat, an den Bettpfosten gelehnt vor ihr.

GHITA mit unterdrücktem Schrei zurückfahrend, stützt sich auf den Betschemel. Die Rosen sind ihr entfallen. Schütze mich, Heiligste!

DON JUAN ohne sich zu regen. Ich hab' Euch erschreckt, Contessina. Ich bedaure – Ihr habt mich dazu gezwungen.

GHITA die Hand gegen ihn ausstreckend. Fort – verlaßt mich – augenblicklich –

DON JUAN. Verzeiht, ich werde bleiben.

GHITA sich mühsam fassend. So – so gehe ich!

DON JUAN ruhig, ohne Hohn. Wohin?

GHITA verzweifelt umherblickend. Gott, Gott! Plötzlich mit stolzer Ruhe. Wagt es nicht, mir nur einen Schritt näher zu treten – ich würde mich vom Balkon hinabstürzen, und müßt' ich unten zerschellen.

DON JUAN. Ich weiß es. Darum würde ich es mir nie verzeihen, wenn ich Euch bis dorthin gelangen ließe.

GHITA ausbrechend, ruft. Gianotto! Gianotto!

DON JUAN ohne sich zu regen. Er sitzt am Rande des Brunnens, der rauschende Strahl beraubt ihn des Vergnügens, Eure Stimme zu hören.

GHITA für sich, umherblickend. Und keine Waffe! Ein Messer – einen Stein –![327]

DON JUAN gelassen. Ihr denkt nicht freundlich von mir; Ihr glaubt meinen Worten nicht. Ihr fürchtet mich.

GHITA ihn anblitzend. Fürchten? Ich fürchte nur Gott und mein Gewissen. Euch – veracht' ich!

DON JUAN. Ich könnt' Euch vielleicht beweisen, daß ich immerhin nicht ganz zu verachten bin. Aber mein Geschäft hat Eile. Darum sucht' ich Euch noch in der Nacht zu sprechen, ich fand das Thor der Villa offen, so gelangt' ich unangefochten in dies Gemach, und gleich darauf tratet Ihr mit der alten Dienerin ein.

GHITA verächtlich. So habt Ihr gehorcht? Ein würdiges Geschäft für einen Edelmann!

DON JUAN. Ich hörte nur, was ich schon wußte. Aber wollt Ihr nicht einen Sessel nehmen? Ihr wankt. Da sie sich stolz aufrichtet. So erlaubt, daß ich selbst – Zieht den Lehnstuhl heran, bückt sich dann nach dem Strauß, der ihr entfallen ist. Ihr habt da schöne Rosen, Contessina. Sie sind nur zu hastig aufgeblüht. Morgen werden nur die Dornen übrig sein. Und darum, da ich es gut mit Euch meine –

GHITA einen Schritt vortretend. Nein! Ich will Euch nicht anhören. Ich habe Nichts mit Euch zu theilen, am wenigsten zu dieser Stunde und an diesem Ort. Wenn ein Hauch von ritterlichem Adel in Euch lebt, so werdet Ihr auf der Stelle mich verlassen.

DON JUAN an dem Strauß riechend Auf welchem Wege, da ich Euer Gefängniß theile?

GHITA mit einem plötzlichen Einfall. Ich werde vom Balkon herab meinem Verlobten zurufen[328] daß er mir seine Mutter schicke. Oeffnet sie dann, so gelobe ich, mit keinem Wort oder Wink zu verrathen, wer sich hier eingeschlichen, und dafür zu sorgen, daß Ihr ungesehen das Haus verlaßt. Ihr traut mir nicht? – O mein Gott, er traut mir nicht – es ist alles umsonst!

DON JUAN. Seid unbesorgt. Wir brauchen Niemand zu bemühen. Beweis't die Klugheit Eurer hochherzigen jungen Seele auch in dem, was ich Euch ans Herz zu legen habe – und wir scheiden ohne Lärm – und ohne Groll Steht auf, nähert sich ihr. Sie sieht ihn furchtlos an. Ihr müßt dem Jüngling entsagen, den Ihr Euren Verlobten genannt habt.

GHITA kalt. Ich muß? Wer will mich zwingen?

DON JUAN. Das Schicksal – Eure Eltern – ich selbst.

GHITA. Das Schicksal? Er ist mein Schicksal. Meine Eltern? Sie lieben mich und werden meinen Tod nicht wollen. Ihr aber – wer seid Ihr?

DON JUAN gelassen. Ein Mann, dessen Willen noch jedes Weib sich gebeugt hat. Auch Euren Trotz zu brechen, würde mir's nicht an Mitteln fehlen. Doch will ich Euch die Ehre anthun, was geschehen muß, von Eurer eigenen Vernunft, Eurem freien Entschlusse zu fordern. Ihr hört mich doch, Contessina?

GHITA entgeistert für sich. Wo bin ich denn? Träum' ich denn das Alles? Da brennt die Lampe noch. Ich will doch sehn, ob ich den Fuß bewegen kann –


Thut einen Schritt. Er tritt ihr entgegen, sie fährt schaudernd zurück.

Pause.


DON JUAN. Nie wird Euer Vater in diese Heirath willigen. Er sähe[329] sein einziges Kind lieber todt, denn als Gattin eines namenlosen Knaben von dunkler Herkunft. Ihr seid zu jung, Fräulein, um nicht an Wunder zu glauben. Ihr träumt, Eure Liebe werde Euch Flügel verleihen, Euch über alle Klüfte und Schranken hinwegzutragen. Je höher Ihr Euch im Traum emporschwingt, je unsanfter werdet Ihr niederstürzen auf den harten Boden der wirklichen Welt.

GHITA. So sei es! So geschehe Gottes Wille!

DON JUAN heftiger. Euer Eigenwille, kein göttlicher. Und sei es um Euch: aber auch ihn zieht Ihr in Euren Sturz mit hinab. Er ist geschaffen, um glücklich zu sein; Ihr wollt sein Unglück.

GHITA. Und Ihr? Und wenn er das Unglück, das er mit mir theilt, jedem Glück vorzöge, das ein Andrer, das Ihr ihm bieten könntet?

DON JUAN wieder ruhiger. Er wäre Tollkopf genug dazu. Und eben darum sollt Ihr ihn zur Vernunft bringen. Geht auf und ab. Ihr allein vermögt es. Wenn Ihr ihm sagt, daß Ihr selbst auf dieses Glück verzichtet, vielleicht um Eurer Mutter willen, daß Ihr der Madonna Euer Herz zum Opfer gebracht habt, – irgend eine fromme Lüge –

GHITA. Eine Lüge – um die er mich hassen und ich mich verachten würde!

DON JUAN wärmer und gütiger. Glaubt einem Manne, der den Lauf der Welt länger betrachtet hat, als Ihr: so sehr er Euch jetzt hassen und Euren Kleinmuth verwünschen wird, so dankbar wird er dereinst Euer Andenken segnen. Tritt vor sie hin. Contessina – ich liebe diesen Jüngling. Ich will für ihn sorgen, wie nur ein Vater kann. Er soll aus dieser niedern Lage, die ihn[330] drückt und erstickt, hinausgeführt werden auf die Höhen der Welt, wo all seine Kräfte sich frei entfalten. Nichts will ich zum Dank, als mich an seinem fröhlichen, stolzen Gang durchs Leben freuen dürfen. Nehmt es für nichts Besseres als eine Laune, Contessina. Aber fürwahr, es ist die selbstloseste meines Lebens, und darum helft mir sie erfüllen!

GHITA. Selbstlos? Ihr sagt, daß Ihr ihn liebt und ihn für Euch haben wollt, ihn reich zu machen und Euch an ihm zu freuen. Nun, auch ich liebe ihn und will ihn behalten, und mein Herz hat Schätze, die alle ihm gehören sollen. – Selbstsucht gegen Selbstsucht – ich sehe nicht ein, was die Eure vor der meinigen voraus hat. Und darum – es ist umsonst, daß wir weiter sprechen – Thut einen Schritt, um an ihm vorbeizugehen.

DON JUAN ergreift ihren Arm, den er mit drohender Geberde am Handgelenk festhält. Was ich vor dir voraus habe, Thörin? Meinen Manneswillen, an dem dein Mädchentrotz zersplittern wird wie ein Eiskrystall am Diamant. Höre denn mein letztes Wort: wenn du ihn nicht freigiebst, so löse ich mit Gewalt und ohne jede Schonung das Band, das ihn an dich fesselt, so zertrümmre ich das Phantom, das sich zwischen ihn und sein wahres Glück gestellt hat, so reiße ich dein Bild aus seiner Brust, und müßte ein Stück seines Herzens darüber mit verbluten.

GHITA ihn stolz anblickend. Ihr wollt – mich morden?

DON JUAN läßt ihren Arm fahren. Nein, Contessina, nicht Euch: nur den Glauben an Euch!

GHITA ihn verächtlich messend. Versucht's! Der ist zu tief gewurzelt! Um den zu vernichten, müßtet Ihr sein ganzes Herz in Stücke schlagen.

DON JUAN sie ernst anblickend. Armes, verblendetes Kind! Fast könntest du mich dauern. –[331] Doch du selber beschwörst dein Schicksal herauf. Es soll dir werden. Er geht langsam auf den Balkon zu, öffnet die Glasthür, bleibt auf der mondhellen Schwelle stehen, den Rosenstrauß in der Hand an dem er zuweilen riecht. Die Nacht ist schön, Contessina. In solcher Nacht geht ein Verliebter nicht zu Bett, so lang er noch das Lämpchen aus dem Fenster seines Mädchens äugeln sieht. Täuscht mich mein Auge nicht, so wandelt dort unten am Rande des Springbrunnens –

GHITA aus ihrer Erstarrung jäh auffahrend. Ewiger Gott! Das – das – Stürzt nach dem Balkon, ruft hinaus. Gianotto! Hülfe! Hülfe!

DON JUAN sie stark zurückdrängend. Er sieht uns. Schweigt und faßt Euch, Contessina!

GHITA macht sich von ihm los, die Stimme versagt ihr, sie sinkt auf den Lehnstuhl. Ich sterbe – Ihr habt mich gemordet –

GIANOTTO'S STIMME. Ha, Tod und Hölle!


Ghita bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.


DON JUAN. Ihr habt den Frieden verschmäht – so habt nun den Kampf. Indessen, wenn Ihr ihm sagen wollt, daß Ihr auf ihn verzichtet, werde ich dafür sorgen, daß auf Eurer Ehre kein Flecken bleibt.

GHITA macht eine Bewegung des Schauderns, blickt starr in die Höhe.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 324-332.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Don Juan's Ende
Dramatische Dichtungen: Bändchen 13. Don Juan's Ende

Buchempfehlung

Anonym

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.

310 Seiten, 17.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon