Erste Scene


[336] Die Gräfin im Reisegewand, durch die Mittelthür, hinter ihr Martina.


GRÄFIN. Noch nicht aufgestanden? Seltsam! Und sonst die Früheste im Haus –

MARTINA. Und was noch viel wunderlicher ist und viel schlimmer: kaum zu Bett gegangen! Aber daß Ihr nur da seid, gnädigste Gräfin!

GRÄFIN. Wie? Sie hätte die Nacht durchwacht?

MARTINA. Zum Mindesten ist sie nicht aus den Kleidern gekommen, das beneidete Kind, das unbegreifliche. Und ich alte Gans von einer blinden Henne, ich meint' es noch Wunder wie gut zu machen, daß ich sie einschloß, das Kleinod, das liebe Perlchen, – und hör' auch die ganze Nacht keinen Laut aus ihrer Kammer; aber wie ich heut früh ganz sacht aufschließe – barmherziger Gott! liegt das Püppchen ganz angekleidet mit offenem Haar auf dem Bett und sieht mich mit großen stillen Augen an wie ein Marmorbild, und so viel ich rede und frage – kein Sterbenswort aus ihren armen blassen Lippen – ach, ach, ach![336]

GRÄFIN. Kein Wort? – nicht einen guten Tag?

MARTINA schüttelt den Kopf. Nur wie ich sie frage: Ghitina, mein Herzchen, mein Goldkind, fehlt dir was? – seh' ich, wie zwei große diamanthelle Tropfen langsam aus ihren lieben Augen quellen und an der Wimper hängen bleiben. O, sag' ich, Töchterchen, Contessinchen, früher Thau bringt hellen Tag. Aber willst du nicht aufstehen? Die Frau Mutter muß jeden Augenblick – da geht's wie ein kühler Schauer über ihren Leib, aber sie rührt sich nicht, die Hände immer still neben sich hingestreckt, als ob sie gar nicht zu ihr gehörten, und ein Blick – ein Blick –!

GRÄFIN auf und ab schreitend. Und Gianotto, sagst du –

MARTINA. Mit keinem Aug' hab' ich ihn mehr gesehen, seit gestern Abend, nur so viel weiß ich: sein Bett fand ich heut Morgen mit frischen Laken, wie ich's ihm gestern gemacht. O Frau Mutter, die Kinder, die Kinder! Man sagt wohl: auch eine schwarze Henne legt ein weißes Ei – aber wer kann's ändern, was bestimmt ist? Wenn die Zeit da ist, fangen die Bäume an zu blühen.

GRÄFIN. Sie haben eine Leidenschaft zu einander? Du glaubst es wirklich? Das wäre sehr, sehr traurig!

MARTINA. Ihnen schien's lustig, gestern Abend wenigstens. Und wenn ich die Angst nicht gehabt hätte – o kein Kirchenfest hätte mich so froh und andächtig machen können, wie diese zwei armen jungen Verliebten zu sehen, die sich so anblitzten und anfunkelten mit den Augen, als trüge Jedes im Herzen einen Hochaltar mit hundert brennenden Kerzen, darauf stünde das Bild seiner Liebe Und eben darum sagt' ich hernach zu der Ghitina: du mußt Vernunft annehmen, Engelskind, sagt' ich. Der Herzog von Candia, der dich heimführen soll –[337]

GRÄFIN. Das hättest du nicht sagen sollen, es mir überlassen. Sie war immer ein eigenes Kind, nie störrig und launenhaft, wie Andere, hatte immer den besten Willen, gehorsam zu sein, aber oft war etwas Unbezwingliches in ihr selbst, dagegen sie nicht an konnte, daß sie sich selbst mit Thränen darüber erstaunte, warum sie nicht konnte, wie sie doch gern gewollt hätte. Nun wird die Furcht sie verstört und erschüttert haben.

MARTINA. Nein, nein, nein! Ihr hättet sie nur hören sollen, ganz strahlend von Muth und Glauben, und kein Schatten von Furcht in ihr. Sie wissen's ja, sagte sie, alle Welt weiß es, daß ich ihn liebe! – O Mutter der Gnaden!

GRÄFIN. Ich will zu ihr. Such indessen den Gianotto. Ich hoffe zu Gott, daß noch Alles gut werde, obwohl mein banges Mutterherz –


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 336-338.
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