Fünfte Scene.


[347] Gräfin. Gianotto tritt durch die Mitte ein.


GRÄFIN geht ihm entgegen, reicht ihm die Hand, die er ehrerbietig an die Lippen drückt. Lieber Gianotto – eine so überraschende Freude – ich bin hieher geeilt von Neapel, dich gleich zu begrüßen Betrachtet ihn prüfend. – aber das Wiedersehen hat dich nicht froh gemacht – deine Stirn ist umwölkt, dein Auge düster –

GIANOTTO. Theure – verehrte Frau, – meine edle, erlauchte Wohlthäterin –

GRÄFIN. Gianotto – ich erkenne dich nicht wieder! Sonst so freien Blicks – so das volle Herz auf den Lippen deiner alten Freundin entgegengetreten – und jetzt – dein Auge irrt am Boden, dein Mund spricht wirre, blöde Worte – nein, Gianotto ist noch nicht von Salern zurückgekehrt, unser Gianotto noch nicht.

GIANOTTO stürzt vor ihr nieder, faßt ihre Hände. O Mutter, meine geliebte gütige Mutter, Ihr habt Recht, er ist's noch nicht – Euer Gianotto noch nicht. Vielleicht wird er's nie wieder werden. Aber scheltet ihn nicht darum; ihm ist weher dabei zu Muth, als Euch.

GRÄFIN. Steh auf, mein Kind! Sage mir, was dich so niederwirft.

GIANOTTO springt auf. Mutter – Euren Segen, und dann laßt mich fort, in die Fremde, wo mir's vielleicht gelingt, wieder heimisch zu werden in mir selbst![347]

GRÄFIN. Fort? Du willst fort? Heute schon? Was ist denn geschehen, Kind, das dich so jählings wieder hinwegscheucht? Sind hier nicht Alle, die du liebst, die dich lieben? Ich und mein Gemahl, die treue Martina, Ghita, deine Jugendgespielin –

GIANOTTO fährt zusammen, wendet sich ab. O Frau Mutter, fragt mich nicht! Die Heiligen wissen's: ich kam hieher mit einem Herzen – so offen wie der Himmel über mir. Jetzt – ist meine Brust wie ein verschlossener Brunnen. Niemand wälzt den Stein hinweg, drinnen ist Nacht. Ich tauge nicht mehr unter Tagesgeschöpfe. Ihr werdet mich des Undanks zeihen: ich verlasse Euch – meine gütige Mutter, die mir stets nur Liebes gethan – fortgerissen von meinem unseligen Herzen! O denkt milde von mir, von Einem, der nie, nie Euer vergessen wird – und – Gott segne Eure Tage!


Wendet sich, um zu gehen.


GRÄFIN die in einen Sessel gesunken ist, rathlos vor sich hin blickend. Weiß Ghita um deinen Entschluß?

GIANOTTO fährt zusammen. Ghita! – Faßt sich, kalt. Die Contessina wird ihn gewiß billigen. Ich habe ihr nichts davon gesagt. Wir sind einander – ein wenig fremd geworden.

GRÄFIN. Ueber Nacht?

GIANOTTO tonlos. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Ich darf Euch wohl bitten, meine Abschiedsgrüße, auch an den Grafen, meinen erlauchten Gönner, zu bestellen – Wendet sich wieder.

GRÄFIN für sich. Umsonst! O ein Zauberwort, seine verschlossene Brust zu öffnen! Laut. Gianotto, wenn du denn im Ernst mit so unbegreiflicher Hast hinwegstrebst, bin ich es dir schuldig, dir[348] noch ein Geheimniß zu enthüllen, das ich nur dem Mündiggewordenen anvertrauen durfte. Lieber Gianotto, die Frau, die dich auferzogen hat, unsre gute Martina – ist nicht deine Mutter.

GIANOTTO. Was hör' ich? Martina –

GRÄFIN. Hat dich nicht geboren. Deine Mutter ist im Paradiese, seit langen Jahren. Sie starb, noch ehe du den Mutternamen stammeln lerntest. Dein Vater aber – dein Vater lebt.

GIANOTTO. O Gott – o meine theure, einzige Freundin – ist es wahr? Mein Vater – ich habe einen Vater – er lebt – ein Mensch lebt, den ich lieben darf, der vielleicht auch mich lieben wird, nachdem ich meine Mutter verloren – und Euch und Alles, Alles? Viel habt Ihr mir gegeben, so lang ich athme, überschwängliche Wohlthat an mir gethan – nie eine größere, als durch dieses Wort! Küßt stürmisch ihre Hand. Nun aber vollendet Euer Werk – sagt mir, wo er ist, wo ich ihn finden kann, warum ich so lang hinleben mußte, ohne ihn zu kennen. O foltert mich nicht länger! Ihr seht meine Qual. Denkt, wie viel ich an Sohnesliebe und Sohnesglück –

GRÄFIN. Und doch – wenn dieser Vater den Weg zu deinem Herzen so leicht nicht finden könnte, den er zwanzig Jahre lang nie gesucht hat –?

GIANOTTO. Wie sollt' er ihn nicht finden, wenn ich ihm entgegengehe, den halben Weg – den ganzen, wenn es sein muß! Denn ich bin so arm, so bettelarm an Liebe, ich habe es leicht, vorlieb zu nehmen. Ein Vater – der kann uns doch nicht plötzlich untreu werden, wenn wir ihn einmal an unsere Brust gedrückt und Vater genannt haben. Und wenn es der Letzte, der Niedrigste aller Menschen wäre, ein Tagelöhner, ein Fischer, der Nichts besitzt, als seinen Kahn und das Meer – ich will ihm zu Füßen stürzen, seine Kniee umklammern und rufen: Vater, ich bin dein Sohn; sei du mein Vater!


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 347-349.
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