Vierte Scene.


[342] Gräfin. Don Juan.


DON JUAN sehr ernst. Legt meine Zudringlichkeit nicht einem Mangel an Sitte zur Last, edle Gräfin. Eine gebieterische Pflicht –

GRÄFIN. Welche Stimme! Ihn mit wachsender Unruhe betrachtend. Señor –

DON JUAN. Lange Jahre sind vergangen, Doña Maria –

GRÄFIN erkennt ihn, taumelt zurück, hält sich am Sessel. Ewige Mächte! – Die Todten stehen wieder auf!

DON JUAN ihr rasch nähertretend, mit ehrerbietigem Dringen. So betrachtet mich mit dem milden, versöhnlichen Auge, wie man auf abgeschiedene Feinde blickt. Bei der Liebe, die wir Beide zu jener Engelsseele gefühlt –

GRÄFIN sich stolz aufraffend. Ihr seid's, seid es wirklich – und wagt – wagt am hellen Tage, wo Gespenster sonst den tiefsten Schatten suchen, vor mein Angesicht zu treten? An der Schwelle dieses Hauses – hielten da nicht zwei Todte Wacht und wiesen Euch mit drohendem Geisterfinger zurück? Oder hat die Zeit, die so Vieles vermag, den gottlosen Trotz in Euch gegen alles Heilige nicht zu dämpfen vermocht? So soll er doch an meinem Haß zu Schanden werden!

DON JUAN ruhig. Ihr habt das beste Recht, mich zu hassen, Gräfin. Auch würden mich die Todten, die zwischen uns stehn, mehr noch als dieser Haß von Eurer Schwelle fern gehalten haben, wenn die Pflicht gegen zwei Lebende nicht alle Schauer der Erinnerung überwöge.[343]

GRÄFIN. Zwei Lebende?

DON JUAN. Eure Tochter – und mein Sohn.

GRÄFIN zusammenfahrend. Was wißt Ihr – wer hat Euch gesagt –

DON JUAN. Ich weiß es. Was liegt daran, wie ich es erfuhr? Ihr habt ihn auferzogen, ihm die Liebe seiner Nächsten, die er entbehren mußte, hundertfältig ersetzt – ich dank' Euch dafür, Doña Maria. Neigt sich tief vor ihr, will ihre Hand küssen, sie tritt zurück.

GRÄFIN. Den Dank eines Mörders, eines Frevlers gegen Gott und seine heiligsten Gebote verbitt' ich.

DON JUAN. Ich bin nur ein schwacher Christ, Gräfin, doch entsinn' ich mich des Gebots, daß man seinem sündigen Bruder sieben mal siebenzig mal vergeben solle. Dies scheint über Eure Kraft zu gehen. Doch werdet Ihr hoffentlich die Sünde des Vaters nicht an dem Sohne rächen wollen. Würde es doch Eure Tochter mit entgelten.

GRÄFIN bestürzt. Meine Tochter – Ihr seid meiner Tochter begegnet, Ihr habt ihr mitgetheilt –? Oh nun versteh' ich Alles – ihre Verstörung – die Zerrüttung all ihrer Gedanken und Gefühle –

DON JUAN. Niemand, als Ihr, in diesem Hause weiß, wer ich bin. Niemand soll es je erfahren, dafern Ihr meiner Bitte Gehör gebt. Ich werde verschwinden, wie ich kam. Die Welt soll fortfahren zu glauben, Don Juan Tenorio sei vor zwanzig Jahren zur Hölle gefahren.

GRÄFIN mit kalter Verachtung. Seid überzeugt, daß ich gern jeden Preis zahlte, um Euch nieder zu den Todten zu werfen. Jene Bitte also –?[344]

DON JUAN nach einer Pause. Vermählt Eure Tochter mit meinem Sohn.

GRÄFIN sich unwillig abwendend. Ihr seid älter geworden, Don Juan, aber, wie ich sehe, nicht weiser.

DON JUAN. Vielleicht habt Ihr Recht, Gräfin. Doch kann ich's einmal nicht ändern: ich liebe diesen Sohn und fühle mich verantwortlich für sein Glück. Ich hab' es leider mit ihm verschüttet und sein Herz mir abwendig gemacht. Nun hab' ich keinen dringenderen Wunsch, keinen festeren Vorsatz, als dieses Herz mir zurückzugewinnen, indem ich dem trotzigen Knaben, wie andere schwache Väter, zu seinem Herzenswunsch verhelfe. Und darum, Gräfin, noch einmal: vermählt ihm Eure Tochter und sagt ihm, daß ich, sein leiblicher Vater, für ihn geworben habe.

GRÄFIN kalt. Und wenn ich's wollte, steht es bei mir? Habt Ihr den Muth, bei meinem Gatten Eure Werbung anzubringen?

DON JUAN. Am Muth sollte mir's wohl nicht fehlen. Doch ist die Sache eilig. Ich glaubte ausgelernt zu haben; diese jungen Leute haben mich noch einmal in die Schule genommen, mich gelehrt, daß es etwas giebt, was ich für eine Fabel hielt: eine völlig erwachsene Leidenschaft in zwei reinen Kinderseelen. Es ist gefährlich, Kinder mit scharfen Waffen spielen zu lassen. Sie möchten sich tödtlich damit verwunden.

GRÄFIN. Das verhüte der Himmel! Wenn Ihr Recht hättet – Aber nein, Ihr kennt nur das Recht der Leidenschaft. Ihr wißt nicht, daß eine gute Tochter, um ihre Eltern nicht zu betrüben, ihr Herz bezwingen kann. Ich zwar, da ich Juanito wie ein eigenes Kind liebe, ich würde es über mich gewinnen, dem Sohn des Mannes, der so viel Unheil und Jammer über[345] uns gebracht, meine Tochter zu geben. Aber mein Gemahl ist unerschütterlich.

DON JUAN. So erbitt' ich von Euch nur noch die Eine Gunst: daß Ihr dem Knaben sagt, wer ich bin, ihn ermahnt, des Spruches zu gedenken: du sollst deinen Vater ehren, auf daß es dir wohl gehe auf Erden.

GRÄFIN. Ich? Ich soll ihm –? Und warum die heilsame Unwissenheit von ihm nehmen?

DON JUAN. Aus einem sehr triftigen Grunde: weil dieser unwissende Sohn danach lechzt, seinen Degen in das Blut des eigenen Vaters zu tauchen, und Vatermord doch immer eine heillose Sache bleibt, selbst wenn sich's nur um einen Vater meines Schlages handelt.

GRÄFIN. Dahin ist's gekommen?

DON JUAN zuckt die Achseln. Leider. Auch Vaterschaft ist eine Kunst, die gelernt sein will. Ich habe mir das Spiel verdorben, wie ein hitziger Neuling, und bin zehn Jahre älter darüber geworden. Ihr aber – Ihr habt Macht über ihn – Euch ist er so viel schuldig geworden –

GRÄFIN sinnt einen Augenblick, klingelt dann mit einer kleinen Glocke, die auf dem Tische steht. Ein Diener tritt ein. Geht zu Martina; fragt, ob ihr Sohn noch nicht zurückgekehrt sei. Ich wünsche ihn sofort zu sprechen.

DIENER. Herr Gianotto kommt eben die Treppe herauf. Ich glaube, er will zu Ew. Gnaden.

GRÄFIN. Es ist gut. Diener ab. Tretet einen Augenblick dort hinein Nach rechts deutend. Ihr sollt Zeuge dessen sein, was ich mit[346] ihm reden werde. Sobald es Euch angemessen dünkt, mögt Ihr hervortreten.


Don Juan verneigt sich tief vor ihr, geht nach rechts ab.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 342-347.
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