Sechste Scene.


[364] Vorige. Die Gräfin stürzt mit verzweifelter Geberde herein, drängt sich durch die Menge durch nach der Bahre.


GRÄFIN. Wo ist sie? Wo habt ihr mein Kind? Todt, sagt ihr? Ihr lügt. Eher sollte mein graues Hanpt – Erblickt die Leiche. O grausam, grausam!


Sinkt neben der Bahre nieder.


MARTINA. Nein – seht – sie lebt – sie bewegt sich –

STIMMEN. Ja, ja! – Nein, nein! – O Madonna!

MARTINA. Helft der Frau Gräfin!


Um die bewußtlos Hingesunkene bemüht.


DER ALTE FISCHER zu Don Juan, nach einem mitleidigen Blick auf die Gräfin. Euch kann ich's ja sagen, Herr – Sich ihm nähernd. sie hat sterben wollen! Kaum hundert Ruderschläge vom Ufer weg – ich sitze vorm Hause und wink' ihr noch zu, wie ich sie hinausrudern seh' in ihrem kleinen Kahn – und auf einmal steht sie auf mitten im Boot – das Wasser war so glatt wie meine Hand, und ich sehe, wie sie die Arme ausbreitet, wie Jemand, der Abschied nimmt – und da ruft nach mir meine Enkelin, und wie ich wieder aufs Meer schaue – Herr des Himmels! da treibt der leere Kahn auf den Wellen.[364]

MARTINA. Rette sie, Gianotto! Rette sie! – Er hilft ihr gewiß.

GIANOTTO erhebt sich, blickt wild um sich. Hülfe? Hab' ich ihr geholfen, da sie noch athmete? ihr Herz nicht brechen lassen, da ein Wort von mir – Und ich lebe noch und ihr – ihr Alle – Leiser Donner von rechts. Ha, hört ihr's? Er murrt, der Alte droben, über diesen Haufen dreister Erdenwürmer, die noch zu athmen wagen, obwohl diese Engelslippen bleich und kalt sind. Stärkerer Donner. Komm herab, Alter! Mach ein Ende! Verschütte diese Stätte, wo die unschuldigsten Augen sich für immer geschlossen haben und Mörderblicke frech und thränenlos – Oh ärmste Mutter! Daß du nie wieder aufwachtest! Die Welt ist leer für dich.


Wankt zu der Gräfin hin, kniet, ihre Hand ergreifend, neben ihr nieder.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 364-365.
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