Auf Schloß Labers

[512] (An Max Kalbeck)


Vom luftigen Altan, an dessen Brustwehr,

In Efeu dicht gehüllt, ein Bienenschwarm

Geschäftig summend um die Blüthen schwirrt,

Gern schau' ich nieder, wenn der Tag verblaßt.

Zu meinen Füßen senkt die Halde sich

Mit ihrer Rebengärten Überschwang,

Noch glühend von der Sonne Feuerkuß,

Und aus dem Grün mit ihren Zinnentürmchen

Ragen die stillen Schlösser, Trautmannsdorf,

Rametz, zur Rechten Planta – wohlbekannt.

Und tiefer, wo in ihrer Felsenkluft

Die wilde Passer rauscht, die schatt'gen Gassen

Merans, aus deren Mitte sich der Turm

Der alten Kirche hebt. Weit drüben aber

Kommt, hin und wieder in der Sonne blitzend,

Die Etsch herab, wie ein mutwillig Kind

Die Treppenstufen niederspringt, und reicht

Der Schwester vom Passeiertal die Hand

Und grüßt vertraut hinauf zu Schloß Tirol.


Gesegnetes Gefilde, märchenhaft

Geschmückt mit Anmut, vom erhabnen Kranz

Der Bergeshöhn umblaut, der tiefer jetzt

Sich färbt, bis an den höchsten nackten Firnen

Der letzte Purpurhauch erlischt! Nun liegt

Die weite Runde still, als hielte sie

Den Atem an. Und drunten in den Häusern

Glimmt Licht an Lichtlein auf, wie in der Dämmrung[512]

Leuchtkäfer funkeln durch ein Gartenland,

Am dunklen Berge dort beim Eggerbauern

Noch ein versprengtes Fünkchen. Aber golden

Ob all dem Erdgeleuchte schwebt die Sichel

Des Mondes still dahin im reinen Äther,

Und ihre taubeschwerten Fittiche

Entfaltet jetzt die Nacht.


Auf meine Seele

Senkt Schwermut sich herab. Sie schweift zurück

In langversunkne Zeit, das Auge sucht

Im nächt'gen Schatten drunten jenes Haus,

Wo sommerlang ich schwerstes Leid erduldet

Und rings um mich die Kraft und Segensfülle

Der üppigen Natur ein Hohn mir deucht'

Auf mein verarmend Dasein. Ihre Zauber

Besel'gen nur den Glücklichen. Wer hat,

Dem wird gegeben – unbarmherz'ge Weisheit,

Die eines Bettlers spottet!

Doch die Nacht,

Die blasse Schatten aus den Gräbern weckt,

Hat Balsam auch für alte Wunden. Sacht

Vom hellgestirnten Firmamente träuft

Ein Friede nieder, an das Ew'ge mahnend,

Und schauernd fühlt von einer höhern Macht

Die Seele sich umfangen. In dem Hauch

Des Nachtwinds dehnt sich die beklommne Brust,

Und, das noch eben Geistertönen lauschte,

Das bange Ohr, nun hört's im Hause drinnen

Vertrauter Stimmen Ruf, der Kinder Lachen

Und deine seelenvolle Geige, Freund,

Die mit dem Zauber holder Harmonieen

Das Herz, von Jenseitsdämmerung umgraut,

Zurück ins Leben lockt.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 512-513.
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