Abschied

[439] 20. Mai


Hab' ich ihn nun ausgeträumt,

Meinen Wintertraum im Süden,

Wo die Flut am Strand verschäumt,

Als ein Schlummerlied dem Müden?

Nordwärts zieht das rasche Schiff

An der schönen Bucht vorüber;

Einen Abschiedsgruß hinüber

Schickt des Dampfers hoher Pfiff.


Lange noch zurück vom Bord

Wandern Augen und Gedanken

Zu dem hellen Häuschen dort,

Das die Rosen hoch umranken,

Wo im linden Sonnenschein

Unter Palmen und Zypressen

Holdbetrogen ich vergessen,

Daß es Winter sollte sein.


Doch getrost! Nun wirst du bald

Holden Heimatklängen lauschen.

Wieder wird der deutsche Wald

Kühl die Stirne dir umrauschen,

Wenn an des Benacus Strand

Alle Kreatur verschmachtet

Und die Luft, auch wenn es nachtet,

Nie sich kühlt vom Tagesbrand.


Danke, daß erreicht du hast,

Was dem Menschen blüht so selten,

Daß er als vertrauter Gast

Bürger sei in zweien Welten

Und zu träumen sich erkühnt,

Trotz des Alters frost'gem Schauer,

Daß in märchenhafter Dauer

Ew'ger Frühling ihn umgrünt.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 439.
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