Das Konzert

[416] In meinem Zimmer mir zur Augenweide

Hängt überm Schreibtisch jenes Meisterwerk

Giorgione's, das Konzert, das Kleinod aus

Dem Schatz Palazzo Pitti's. In der Mitte

Der blasse junge Mann im schwarzen Kleid,

Der auf den Tasten eines Orgelwerks

Die schlanken Hände ruhen läßt, als schlüg' er

Den Schlußakkord, den feierlichen, an

Der geistlichen Motette, die den Zwei'n

Er vorgespielt, den Freunden, gleich ihm selbst

Verehrer Palestrina's. Oder war's

Ein Stück, entsprungen aus der eignen Seele

Des Spielers, oder freie Phantasie?

Nein, eines Meisters Schöpfung muß es sein.

Denn zu dem Alten hinter ihm das Haupt

Umwendend, scheint sein mystisch heißer Blick

Zu fragen: Ist's nicht wunderbar? Und hab'[416]

Ich dir's zu Dank gespielt? Allein der Freund

(Wohl ein Prälat, der Kleidung nach; ein Kranz

Von dunklem Haar umzirkt sein kahles Haupt),

In stiller Rührung zuckt's um seinen Mund,

Und traulich auf des Jünglings Schulter legt er

Die Rechte, gleich als spräch' er: Bravo, Freund!

Du spieltest wundervoll! – Die linke Hand

Hält einer Laute schlanken Hals umfaßt

(Auch er übt wohl Musik, als Dilettant),

Indes der Dritt' im Bunde, jener Jüngling

In Federhut und adligem Gewand,

Herausblickt aus dem Bilde, wie noch ganz

Versunken in Entzückungen, und scheint

Mich anzureden: Hättest du's gehört,

Du stündest unterm Zauber noch, gleich mir!


Und fühl' ich anders? In das seelenvolle

Gesicht des Spielers blickend, ist es mir,

Als höb' ein sanftes Klingen geisterhaft

Sich an und dringe mir mit magischer

Gewalt an Seel' und Sinn und fülle mir

Das Herz mit Wonneklang, indes von draußen

Der See, anstürmend an die Uferwehr,

Mit tiefem Orgelbaß die Melodie

Begleite.

Heil'ge Musen, schwesterlich

Fürwahr reicht ihr euch oft die Hand. Denn hier

Aus des Giorgione stummberedtem Bild

Tönt zauberisch mit längst verklungner Macht

Ein Hauch italischer Tonkunst mir entgegen.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 416-417.
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